Konstantin Wecker: „Ich bin ein Bühnentier“
AZ: Herr Wecker, wie gefällt Ihnen das Kaffee Giesing im Jahr 2013?
KONSTANTIN WECKER: Ich find’s sehr nett hier. Schöne Einrichtung. Bisserl wenig los im Moment, ich muss mal abends herschauen.
Wie kam es damals, 1984, zur Idee für das Lokal?
Fast jeder Musiker träumt davon, sich eine Wirtschaft als künstlerisches Wohnzimmer einzurichten. Ich bin natürlich weder ein Gastronom noch ein ökonomisch denkender Mensch. Viele haben gesagt: Du machst gleich Pleite mit dem Laden. Aber wir haben es geschafft. Die Idee, Studio, Bühne und Café zu verbinden, war schon grandios. Zum Beispiel haben wir hier die Filmmusik für Kir Royal aufgenommen. Das Orchester stand auf der Kaffeehaus-Bühne.
Also hat sich der Traum vom musikalischen Wohnzimmer für Sie erfüllt?
Ja, hat er. Wobei es immer zwei Probleme gibt. Erstens bist du als dein eigener Wirt immer gefährdet, zu tief ins Glas zu schauen. Und das Finanzielle kann dir entgleiten. Beides ist mir passiert. Es ist ja bekannt, dass ich dann irgendwann verhaftet worden bin. Die Jahre vorher war ich nicht mehr richtig klar im Kopf. Das hat sich ungut aufs Geschäft ausgewirkt.
Trotzdem war das Kaffee Giesing ein kulturelles Zentrum.
Ja, schon zur Eröffnung. Da hat jeder mitgemacht, Hildebrandt, Polt, die ganze Szene. Sissi Perlinger, Hubert von Goisern. Irgendwann schneite mal Peter Fonda rein. Oder die Band Pur. Die haben hier gespielt – und ein halbes Jahr später in der Olympiahalle.
Sie selbst sind nie dort aufgetreten, oder?
Nein, ich wollte nicht der Wirt sein, der sich irgendwann selber ans Klavier setzt. Da hätte ich sonst jeden Abend fünfmal den „Willy“ singen müssen. Aber einmal habe ich eine Lesung gemacht mit Gedichten von Gottfried Benn. Da waren viele junge Leute da. Die haben nachher gefragt: Das ist ja gut, wer ist denn dieser Benn? Die habe ich vielleicht zur Lyrik animiert.
Gibt es in München heute ein vergleichbares Lokal?
Vielleicht gibt es das in den Clubs, in der Techno- oder DJ-Szene, da kenne ich mich nicht aus. Was Orte für Rockmusiker oder Kabarettisten betrifft, ist heute nicht mehr viel geboten. Am besten gefällt mir, was Till Hofmann in Schwabing macht, das Vereinsheim, das Lustspielhaus. Das ist vergleichbar. Aber unser Kaffee war auch noch so schön eingerichtet!
Klingt alles sehr idyllisch.
Naja, wir hatten unendlich viel Ärger mit Nachbarn, die sich wegen dem Lärm beschwert haben. Wir haben damals etwas arrogant gesagt: Wenn es um Kultur geht, hat die Bürgerruhe zu schweigen! Heute verstehe ich, dass einer wahnsinnig wird, wenn er im gleichen Haus wohnt.
Die Beschwerden nehmen immer mehr zu, viele Kneipen müssen deshalb schließen.
Ja, das liegt auch daran, dass in München sehr viele reiche Leute unterwegs sind, mit denen sich wenig reden lässt. Wenn einer für sein Loft eine Million zahlt, will er seine Ruhe haben. Dem ist auch egal, ob da Kultur stattfindet, weil er eh nur am Wochenende da ist. Ich frage mich manchmal, wo die ganzen reichen Menschen herkommen.
Jedenfalls nicht aus den Stadtvierteln selbst.
Die Viertel wandeln sich dramatisch. Irgendwann wohnen da keine Leute mehr, die wirklich hier leben, die sich beteiligen am Geschehen. Das war früher anders. Ich bin im Lehel groß geworden. Damals ist man bis zum zehnten Lebensjahr gar nicht rausgekommen aus seinem Viertel. Wenn ich die Oma in Schwabing besucht hab, dann war das ein längerer Fahrradausflug. Heute gibt’s im Lehel keine kleinen Geschäfte mehr. Und die Mieten sind unbezahlbar.
Verändern sich auch die Menschen? Sie klagen oft über die Angepasstheit der Leute.
Die Leute haben Angst. In den Siebzigern gab es niemanden, der nicht das Gefühl hatte: Irgendwas finde ich immer, auch wenn ich nach dem Studium erst mal keinen Job bekommen habe. Heute fürchten sich die Jugendlichen vor der Zukunft, die Arbeitnehmer genauso. Und deshalb werden sie angepasster.
Gerade haben Sie in einem Artikel für mehr Anarchie plädiert. Wo müsste München denn anarchischer werden?
Die Anarchie ist ja ein utopisches Gebilde. Der poetische Gedanke der Herrschaftsfreiheit. Kein Mensch braucht einen anderen, der über ihn bestimmt. Es liegt an jedem einzelnen, wieder Tabus zu brechen – auch seine eigenen.
Sie selbst sind aufmüpfig geblieben und oft dabei, wenn in München protestiert wird.
Das stimmt. Occupy fand übrigens auch in München statt, am Odeonsplatz – das weiß nur niemand. Sonst kommen schon ein paar Leute, wenn ich irgendwo umsonst singe. Aber diesmal waren es nur ungefähr hundert. Den Menschen ist 20 Jahre lang eingeredet worden: Politisches Engagement ist unsexy. Wenn ein Jugendlicher es gewagt hat, sich zu positionieren, war er in seiner Klasse out. Ich habe oft Mails von jungen Leuten bekommen, die Hilfe wollten von mir. Aber denen kann ich nur sagen: Wenn du Außenseiter bist, sei stolz drauf. Mitläufer haben wir schon genug.
Diese Haltung haben Sie seit Jahrzehnten – daran hat sich nichts geändert. Am Rest der Welt aber auch nicht.
Ich bin vor 40 Jahren angetreten, diese Welt mit meinen Liedern zu verändern. Wenn ich mir die Welt jetzt anschaue, kann ich nur sagen: Ich war’s nicht. Freilich habe ich nicht mal mit 19 geglaubt, dass ich die ganze Welt ändere. Aber jede einzelne mutige, empathische Tat verändert sie ein Stück. Wenn es diese kleinen Mosaiksteinchen nicht gäbe, wäre alles viel schlimmer.
Ärgert es Sie, wenn Leute Ihr Engagement als Pose abtun?
Ja, aber das sind oft Leute, die auch gerne hätten, dass es nicht mehr als eine Pose ist. Man muss sich jedes Mal aufs Neue überprüfen, ob die revolutionäre Haltung mehr als nur Attitüde ist. Ich bin mittlerweile in einem Alter, wo ich mich lieber um schöne Literatur und Liebeslieder kümmern würde als um Politik. Aber es geht halt nicht, weil ich dann so eine Wut bekomme zwischendurch.
1995 haben Sie das Kaffee Giesing aufgegeben – im Jahr, in dem Sie verhaftet wurden. Können Sie auf diese dunkle Zeit mit einer gewissen Leichtigkeit zurückschauen?
Es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Gerade jetzt, wo man geiziger wird mit seinen Jahren, muss ich schon sagen: Es gibt Dinge, da hätte ich vernünftiger sein können. Ich war da früher noch anders: Da habe ich gesagt, es gehört alles zum Leben. Stimmt ja auch. Aber es gibt Sachen, wo ich mich nicht so toll find. Da ist schon eine Bitternis mir selbst gegenüber.
Ihr Leben heute hat mit diesem exzessiven Leben nicht mehr viel gemeinsam. Da ist schon ein Bruch.
Naja, ich bin kein Asket geworden. Ich süffel nach wie vor gern meinen Wein.
Hätten Sie sich vor 30 Jahren vorstellen können, so wie heute zu leben – mit Familie, in einer schönen Wohnung? Ein Leben, das auf den ersten Blick fast bürgerlich scheint?
Das klingt viel bürgerlicher, als es ist. Ich habe im Jahr 130 bis 140 Konzerte. Meine Frau hat die Kinder, wofür ich ihr ewig danke, fast allein groß gezogen. Aber zurück zur Frage: Damals hätte ich mir nie Kinder vorstellen können.
Warum nicht?
Kinder waren nicht in meiner Welt vorgesehen. Vielleicht war ich auch zu egomanisch. Man ist ja als Künstler sehr auf sich fixiert. Das ist eine große Gefahr, wenn man so viel unterwegs ist. Und jeden Abend fokussieren sich tausend Augenpaare auf dich. Das kann auch einen verderblichen Einfluss haben. Ich habe viel dazu gelernt in den letzten fünfzehn Jahren.
Zum Schluss noch was ganz anderes: Macht es eigentlich noch Spaß, zum tausendsten Mal „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ zu singen?
Ich glaube auch nicht, dass ein klassischer Sänger ein Problem damit hat, zum tausendsten Mal die Winterreise zu singen. Er interpretiert dabei ja. Und ich bin noch viel freier. Ich kann aus dem Sommer machen, was ich will. Das ist ja mein Lied. Es macht immer noch Spaß. Ich bin ein Bühnentier, das war ich immer.
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