Jazzclubs, GIs und Vorstadtkinos: Foto-Raritäten aus Haidhauser Nachkriegskindheiten

Voll mit liebevollen Details und seltenen Fotos schaut eine neue Ausstellung im Kulturzentrum Einstein auf die Kindheit und Jugend in Haidhausen - von der Nachkriegszeit bis in die 60er Jahre.
von  Myriam Siegert
1945: Zerstörte Straßenbahnen auf der Maximiliansbrücke. Im Hintergrund das teilweise ausgebrannte Maximilianeum.
1945: Zerstörte Straßenbahnen auf der Maximiliansbrücke. Im Hintergrund das teilweise ausgebrannte Maximilianeum. © Wilhelm

Haidhausen - Ruinen und amerikanische Soldaten, notdürftig reparierte Häuser und Musik aus Kofferradios und tragbaren Plattenspielern, schummrige Vorstadtkinos und Jazzlokale - von all dem zeugen viele Aquarelle und Gouachen, Fotos, Texte und Dokumente, die Hermann Wilhelm für seine neueste Ausstellung zur Kultur- und Alltagsgeschichte im Haidhausen der Nachkriegszeit zusammengetragen hat.

"Off Limits - Zutritt verboten! Bilderwelten einer Haidhauser Kindheit in den 1950er und frühen 60er Jahren" ist der Titel der Schau, die ab heute im Kulturzentrum Einstein zu sehen ist, garniert mit einem umfassenden Begleitprogramm wie Führungen und Filmabenden.

"GI und Schmuckkastl 606". Aquarellfarbe und Gouache aus der Serie "Kindheit 1949 - 1963", 2023
"GI und Schmuckkastl 606". Aquarellfarbe und Gouache aus der Serie "Kindheit 1949 - 1963", 2023 © Hermann Wilhelm

Auch diesmal hat Hermann Wilhelm wieder weitgehend unbekanntes Fotomaterial zusammengetragen. So manches hat der Stadtteilhistoriker auch aus dem eigenen Archiv beigesteuert, der Gründer und Leiter des Haidhausen-Museums ist selbst im Viertel aufgewachsen.

Kindheit zwischen Trümmern, Kino und Comics

Es geht um die Kindheit und Jugend(kultur) in einem München, das zunächst unbewohnbar schien. Die Kriegsschäden und Ruinen zwischen Max-Weber- und Rosenheimer Platz, Einsteinstraße und Ostbahnhof waren noch nicht beseitigt; 1945 sind in München über 300.000 Menschen obdachlos. Die Wohnungen werden selbst repariert, etwa mit Pressspanplatten, Asche und Schutt.

1950er Jahre: In der Senke "An der Kreppe" zwischen Max-Weber- und Wiener Platz.
1950er Jahre: In der Senke "An der Kreppe" zwischen Max-Weber- und Wiener Platz. © Wilhelm

Tagsüber kommen die Abgeordneten, nachts die Animierdamen

Auch die US-Soldaten gehören zum Bild: Angehörige der amerikanischen Militärregierung und GIs treffen sich im Bürgerbräukeller an der Rosenheimer Straße, im Hofbräukeller am Wiener Platz organisieren die "German-Youth-Activities" Veranstaltungen, eine Bibliothek für Kinder und sogar eine Kinderklinik.

Im Astoria-Kino an der Ecke Breisacher- und Elsässer Straße sind die Kindervorstellungen sonntags um 10 Uhr regelmäßig ausverkauft. In Blues- und Jazzlokalen wie dem "Birdland" in der Kirchenstraße, Rock 'n' Roll-Kneipen wie dem "Schmuckkastl 606" an der Balan- und Pariser Straße und dem Halbstarkentreff "Zum blauen Affen" an der Ismaninger Straße" schwoft die Jugend durch die Nacht. Im "Café Maximilian" kehren tagsüber die Abgeordneten ein, nachts ist es ein Animier- und Nachtlokal mit üblem Ruf.

1945: Zerstörte Straßenbahnen auf der Maximiliansbrücke. Im Hintergrund das teilweise ausgebrannte Maximilianeum.
1945: Zerstörte Straßenbahnen auf der Maximiliansbrücke. Im Hintergrund das teilweise ausgebrannte Maximilianeum. © Wilhelm

Kicken auf der Straße und heimliche Zigaretten

Und es geht auch um die Menschen im Viertel und das Lebensgefühl; die Trambahner, die sich im verqualmten Trambahnhäusl am Max-Weber-Platz zum Mittags-Leberkas setzen, um Herrn Plank und seine Bettfedernreinigung oder Giovanni und seine Eisdiele.

An den Trambahnen kann man noch außen auf dem Trittbrett mitfahren, an den Haustüren klingeln, häufig Kriegsversehrte oder Hausierer, die Bürsten, Seifen oder Schnürsenkel feilbieten. Die Mütter, oft alleinerziehend, arbeiten ganztags, die Kinder vertiefen sich in Jerry-Cotton-Hefte oder Karl-May-Romane aus teils privat betriebenen Leihbüchereien, treffen sich zum Schussern, Pfennig-Schutzen oder kicken auf den Plätzen, oder zum Baden an der Isar. In den verwilderten Isaranlagen werden heimlich die ersten Zigaretten aus den Vier-Zigaretten-Kleinstpackungen ausprobiert.

Der Ausstellungsmacher und Autor der Ausstellung im Fasching 1956 oder 57 als "Cowboy mit Zorro-Maske" vor dem "Feuer- und Spritzenhaus (heute Kindergarten) an der Ecke Schloß-/Kirchenstraße.
Der Ausstellungsmacher und Autor der Ausstellung im Fasching 1956 oder 57 als "Cowboy mit Zorro-Maske" vor dem "Feuer- und Spritzenhaus (heute Kindergarten) an der Ecke Schloß-/Kirchenstraße. © Wilhelm

Bis in die 60er Jahre schaut die Ausstellung, die Ruinen verschwinden, die Kinos werden weniger, die Musiklokale bleiben noch - für die Besucher gibt es also viel zu entdecken.

1960er Jahre: Auf der Ludwigsbrücke vor dem Eingang zum Groß-Kino im Deutschen Museum.
1960er Jahre: Auf der Ludwigsbrücke vor dem Eingang zum Groß-Kino im Deutschen Museum. © Robert Hetz

Ausstellung bis 15. Dezember 2024. Do, Fr. und Sa 19-21 Uhr, So 15-19 Uhr. Eröffnung am 15. November 2024, 19 Uhr, Einsteinstraße 42. U. a. mit originalen Radio-Mitschnitten, Film und Live-Musik. Gesamtes Programm unter einstein-kultur.de/event/off-limits-zutritt-verboten-von-hermann-wilhelm/

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