"Ich hab’s doch gleich gewusst!"

"Zigeuner, oder was?" AZ-Leser Wolf Bruns schildert ein Erlebnis aus einer Bäckerei in Ramersdorf, das zum Nachdenken anregt.
Wolf Bruns |
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Wechselgeld. Manchmal ist hier Ehrlichkeit gefragt.
AZ-Archiv Wechselgeld. Manchmal ist hier Ehrlichkeit gefragt.

Sieben Uhr zehn beim Bäcker M. in der O-Straße in Ramersdorf. Eine Schlange von Leuten wartet an der Theke. Ein zirka 14-jähriger, etwas dicklicher Junge mit glänzenden schwarzen Locken ist dran.

Sicher kein Deutscher, denkt die Schlange.

Er zahlt mit einem größeren Geldschein. Die Bäckersfrau nörgelt, ob er es nicht kleiner habe.

Nein, habe er nicht.

Er schaut auf die Straße, wo ein großer Mercedes mit laufendem Motor steht. Am Steuer ein korpulenter Mann mit öligen schwarzen Haaren.

Kann der nicht seinen Motor ausmachen? Das machen wir hier in Deutschland so.

Der Junge nimmt sein Wechselgeld und die große Brötchentüte und geht.

Ja, so sind sie, diese Ausländer, von der Sozialhilfe leben und mit dicken Autos rumfahren. Die ältere Dame vor mir in der Schlange erwartet meine Zustimmung. Ich sage nichts, weil meine eigenen Gedanken schon ein bisschen in die gleiche Richtung gedriftet waren, aber das will ich nicht zugeben.

Der Junge kommt wieder herein, die Geldscheine noch so in der Hand, wie er sie entgegengenommen hatte. Er drängelt sich zur Theke vor, hält der Bäckersfrau die Scheine hin und sagt: „Sie haben mir falsch rausgegeben.“

Aha, denkt die ganze Schlange, der gute alte Wechselgeldtrick! Zigeuner oder was?

Aber nicht mit uns, wir stehen der Bäckersfrau bei, und wenn wir den Lümmel eigenhändig verprügeln müssen. Und den unsympathischen, fetten Vater draußen in seinem stinkenden Auto gleich mit. Die sollen mal sehen, dass so was bei uns hier nicht läuft.

„Was soll falsch sein?“ fragt die Bäckersfrau. Jetzt sind wir gespannt, wie er das anstellt. Er wird sagen, er habe mit einem Hunderter bezahlt aber nur auf einen Fünfziger Wechselgeld herausbekommen.

„Es war alles korrekt“, behauptet ein großer Man in weißem Overall, „ich hab’s gesehen“.

Er bekommt einen dankbaren Blick von der Bäckersfrau. Die ältere Dame vor mir schimpft: „Hab ich mir doch gleich gedacht, dass das hier eine Betrügerbande ist. Geben Sie ihm ja nichts, das ist ein abgekartetes Spiel, hab ich schon mal im Kino gesehen.“

„Papermoon hieß der Film“, denke ich, aber sage es nicht. Ich überlege, ob ich den Betrug irgendwie verhindern kann. Die Polizei rufen? Den Burschen einfach festhalten. „Sieh zu, dass Du Land gewinnst!“ brüllt ein weiterer Mann aus der Schlange. Zustimmendes Gemurmel.

Der Junge hält seine Hand mit dem Geld unbeirrt der Bäckersfrau entgegen. „Hast du nicht gehört? Verschwinde!“ Das war wieder der Mann mit dem Overall. „Das könnt ihr in Rumänien machen oder in Albanien, oder wo ihr herkommt, aber nicht hier bei uns, verstanden?“ Der Junge ignoriert ihn.

Ziemlich abgebrüht, der Kleine, denke ich noch, dann sagt er: „Sie haben auf 100 Euro rausgegeben, ich habe aber nur mit einem 50er bezahlt. Nehmen Sie bitte zurück.“

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