Gärten zu Residenzen

Solln - Wie man aus den AZ-Forschungsexpeditionen durch die Münchner Stadtviertel lernen kann, verändern sich Lebensklima, Müll und Geist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt frappant.
Aus jungen Leuten werden alte Leute, aus Gutverdienern werden Rentner - und aus erfolgreichen Strebern zielstrebige Erbengemeinschaften.
Im grünen Solln, wo viele Künstler leben und sich der Prinzipal der Iberl-Bühne oft zum Frühstück im Café Kustermann einfindet, wuchsen ringsum in den letzten Jahren aus großen verwunschenen Gärten viele pompös aufgedonnerte „Residenzen“.
Die Edelmakler solcher Luxus-Immobilien werfen mir jeden Tag Hochglanzprospekte in meinen vermoosten Briefkasten. Als mein Nachbar, ein skurriler Architekt, der mit 91 noch in seinem verwegenen Rollmobil durch die Straßen kurvte und dabei auch mal die Friedhofsmauer rammte, mit 92 gestorben war, versammelten sich seine drei Söhne (der vierte und jüngste, ein hochbegabter Maler, lebte nicht mehr) und meine drei Kinder, die (alle im gleichen Alter) zusammen aufgewachsen sind, zu einer sentimentalen Nostalgie-Runde in dem alten Fachwerk-Elternhaus.
Es sieht nach Denkmalschutz aus, ist aber nun leider schutzlos neuer „Verdichtung“ ausgeliefert , denn der Nachbar war nur Mieter.
Für eine Nacht tauchten die Nachkommen noch einmal in ihre Kindheitserinnerungen ab - in all die Jugendschandtaten, mit denen sie uns ein abwechslungsreiches Elternleben beschert haben (Beschwerden alller Art samt Polizeibesuch wegen Rockmusiklärm und Sachbeschädigung inbegriffen).
Der alte Architekt warf mir oft gereimte Briefchen ein, in denen er mich, stellvertretend für alle Filmkritiker, für die Lobeskritiken zu Roehlers „Agnes und seine Brüder“ beschimpfte.
Daraus wurde ein Kulturkampf-Briefwechsel, der ihn zu reimerischen Exzessen von Ringelnatz- und Morgenstern-Ausmaßen beflügelte. Die poetischen Zettel unterschrieb er stets mit Pauly-Uralt oder Nachbar-Steinalt.
Er war ein leidenschaftlicher Sammler von Löwen in allen Größen (Bronze, Stein, Porzellan), behaftet mit Sollner Familiengeschichten.
Denn das Pauly-Haus war das erste in dem Wald-und-Wiesen-Areal an der Stadtgrenze zu Pullach und Großhesselohe, ursprünglich eine Rennbahn-Tribüne. Später ein Kinderlungensanatorium (Panikreaktion meiner Mutter, als wir dort ein Grundstück kauften: bazillenverseuchte Erde?).
Aber die Gefahren lauerten ganz woanders: Der Sohn einer wunderbaren Sollner Klavierlehrerin überzeugte die Schüler seiner Mutter, von Klavier auf Gitarre und Schlagzeug umzusteigen.
So kam die Rockmusik nach Solln!