Ein Bauern-Sohn wird mit Sexfilmen zur Kultfigur
„Graf Porno“, „Katharina, die nackte Zarin“: Nach 45 Jahren wird Sexfilmkönig Alois Brummer endgültig zur Kultfigur – in Pasing erhält er eine eigene Ausstellung.
München - Im Jahr 1968 war bekanntlich die Revolution ausgebrochen. Auch die „sexuelle Revolution“. Auch und gerade in München. In der noch heimlichen Hauptstadt wurde sie begeistert und intensiv erlebt. Im Stadtmuseum etwa erzielte eine Akt-Ausstellung mit kleinem Porno-Kabinett einen Besucherrekord. Im neuen Erotik-Theater spielten Damen mit freiem Oberkörper. Im Musical „Hair“ standen 30 Schauspieler nackt auf der Bühne. In der Kunstakademie wurde, wie sich ein Abgeordneter erregte, „das Obszönste“ an die Wände gepinselt.
In der Katholischen Akademie wurde eine offene Sexualerziehung diskutiert. Im Buchhandel und auf dem Boulevard erschienen die ersten Sexbücher und allerlei Lustblätter. Sexläden machten auf und eine „Liebesakademie“. Den Höhepunkt – besser: Tiefpunkt – erreichte diese Sexwelle Ende 1968 mit der ersten „volkstümlichen“ Pornofilmserie. Sie wurde vorwiegend in einer bescheidenen Villa in Pasing gedreht. Ihr widmet die Pasinger Fabrik bis 30. November eine Veranstaltungsreihe mit dem etwas rätselhaften Titel „Sex X Pasing“.
Originalfilme und filmische und andere Dokumentationen, eine Ausstellung im Keller, Zeitzeugen, Sachkundige und damalige Darsteller sollen vor allem eines Mannes gedenken, dessen Werke in einem gewissen Sinn – so der Filmpublizist Georg Seeßlen – „ehrlicher das kulturelle Klima der sonderbaren 70er Jahre wiedergaben, als es die zeitgenössische Kritik sehen konnte oder wollte“. Der Mann hieß Alois Brummer. Als seinerzeit Deutschlands erfolgreichster Filmemacher scheute er die Öffentlichkeit.
1957 hatte der Bauernbub aus Niederbayern „wegen einer Sache“, über die er nie reden wollte, seine Spedition verkauft und dafür einige Kinos eingehandelt. Frühzeitig erkannte er die Chancen des neuen Geschäfts mit dem Sex. Mit Hilfe des aus Sachsen zugewanderten Regisseurs und Drehbuchschreibers Günter Hendel und eines schlecht bezahlten Kameramanns produzierte er schnell hintereinander zwei Filmchen, deren Held ein vertrottelter, jedoch lüsterner Graf war.
Er übernahm die „künstlerische Gesamtleitung“ und eine Nebenrolle als Pfarrer auf Abwegen. Mit „Graf Porno und seine Mädchen“, der in 55 Kopien lief und lief und lief, lockte er rasch über drei Millionen Besucher an. Auf die „Goldene Leinwand“, die ihm nun zustand, verzichtete er lieber. Von den 4,5 Millionen eingespielten Mark kaufte er sich das Häuschen in Pasing, das er bis in den Hobby-Keller hinunter als Studio einrichten ließ. Bei der Produktion der Graf-Porno-Serie – ihr folgte „Gräfin Porno von Ekstasien“ – tauchte 1969 ein anderer Filmemacher auf, Hans-Jürgen Syberberg. Er durfte die Doku „Sex-Business made in Pasing“ drehen.
Sechs Tage lang beobachtete er das Treiben seines 53-jährigen Kollegen im trauten Heim, in oberbayerischen Kuhställen, in abgelegenen Kiesgruben und auf idyllischen Almen, Brummers favorisierter Bühne. Syberberg wollte einen „Beitrag zur Filmsoziologie“ leisten; er gewann mit dieser Motivation das ZDF, das aber nach Ansicht einiger Szenen einen Rückzieher machte. Das Bayerische Fernsehen brachte dann ein paar Ausschnitte im Nachtprogramm.
Eine Frauengruppe der CSU stürmte das Funkhaus. Immerhin konnte der komplette Film über den sonderbaren Filmemacher im Januar 1970 in einem Schwabinger Kunstkino, unter schallendem Gelächter, uraufgeführt werden. Brummer selbst fehlte bei der Premiere. Brummer machte alles selbst. Vom oft improvisierten Exposee bis zum Plakatentwurf (er schnitt Bildchen aus dem „Playboy“). Als Supermann engagierte er für wenig Gage den italienischen Kellner Rinaldo Talamonti.
Anfangs war gar noch UFA-Star Carola Höhn dabei. Als Talente wurden die Steeger und die Volkmann entdeckt. Die Filme verkauften sich: Nicht nur in der Bundesrepublik, wo sie bei insgesamt 30 Millionen Besuchern mindestens 22 Millionen Mark erlöst haben sollen, sondern auch in Griechenland, Israel, Japan und sogar im Ostblock. Die Produktionskosten spielten fortan keine Rolle mehr. Brummer, sonst extrem sparsam, flog nach Rom, um die Skandalnudel Maria Schneider zu gewinnen.
Er kaufte eine Yacht, um seine Nackerten bei einer Kreuzfahrt im Mittelmeer zu filmen. Er kam ins Schlingern. Für eine Doku über seinen Geburtsort Mainburg bekam er keine Drehgenehmigung. Eines seiner Werke wurde als „Skandalfilm“ beschlagnahmt, eine Anzeige wegen Körperverletzung folgte. Ärger gab es auch immer wieder mit der Freiwilligen Filmselbstkontrolle. Um seinen Ruf aufzubessern, wandte sich der Porno-Papst aus Pasing dem aufwändigen Kostümfilm zu: „Katharina, die nackte Zarin“ und „Rasputin – Orgien am Zarenhof“ – derlei Schinken brachten viel Geld, kosteten aber auch viel.
Das letzte Projekt „Pussy, lasst mich zuschauen“ wurde nichts mehr. Irgendwann war die Luft raus aus der Filmfabrik in der Vorstadt, wo ein Unikum der Kinematografie jahrelang die Sau raus gelassen hatte. Brummer entwickelte sich zum Einsiedler. Er starb am 4. Mai 1984 in München. Alle seine Filme und einige Materialien mehr lagern heute in einem Keller in Halberstadt. Jetzt plötzlich also ist der Alois Brummer samt seinem Grafen Porno zur Kultfigur erhoben worden.
Bei der Vernissage in der Pasinger Fabrik, dem heutigen Stadtteilkulturzentrum, erinnerten sich einige alte Mitarbeiter an viele erheiternde Szenen. „Es hat Spaß gemacht und ich stehe dazu“, bekannte Porno-Star und Gastronom Rinaldo Talamonti, den Brummer „mein kleiner Italiener“ nannte. Für seine Paraderolle musste er fest trainieren. „Immer auf und ab, bis mir der Rücken weh tat.“ Diese ganze Sexfilmerei sei „hundertprozentige Parodie gewesen“. Insgesamt seien die Brummer-Filme, bis auf die Titel, harmlos gewesen.