Echt haltlos
Hier schreiben AZ-Redakteure über Glanz und Elend des Pendler-Lebens. Heute: Nicht alle Wege führen nach Tutzing
Ludwigsvorstadt - Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Das ist grundsätzlich sehr nachvollziehbar, kann aber zu Problemen führen, wenn sich Dinge ändern. Bisher hielten alle Züge der Werdenfels-Bahn München-Garmisch auch in Tutzing. Neuerdings, seit dem Fahrplanwechsel, gibt es ein paar zusätzliche sogenannte Sprinter: Die halten in nur in München Hbf, Pasing, Weilheim und Murnau; nirgends sonst. Also nicht in Tutzing und auch nicht an anderen Milchkannen. Und diese Erkenntnis setzt sich nur langsam durch. Heute ist eine ganze Schulklasse daran gescheitert.
Einige besonders fürsorgliche Zugbegleiter weisen mit Extra-Durchsagen ("Liebe Fahrgäste! Willkommen an Bord! Dieser Zug hält niiiiiicht in Tutzing") noch vor der Abfahrt darauf hin, und in Weilheim haben sie es an der Abfahrts-Tafel sogar extra dazugeschrieben ("München Hbf, Abfahrt 8.12 Uhr, hält nicht in Tutzing, fünf Minuten Verspätung"). Man muss auch wissen: All diese Züge gab es vorher nicht. Das wäre wirklich hinterlistig, wenn bei einer der bisherigen Verbindungen plötzlich ein Halt wegfällt. Aber bisher ist um 8.12 Uhr eben überhaupt gar kein Zug irgendwohin gefahren, weder nach Tutzing noch nach sonstwo. Sprich: Wer von der Existenz des Zuges weiß, muss mal einen der neuen Fahrpläne angeschaut haben, sonst hätte er sich um diese Uhrzeit erst gar nicht auf den Bahnsteig bemüht. Aber es gibt immer wieder Tutzing-Reisende, die offenbar nicht auch noch die nächste Zeile gelesen haben, ob er an ihrem Wunschziel überhaupt hält.
Aber heute früh wieder ein kleines Drama. Ein Mann stürmt (genau, kurz hinter Tutzing) auf den Schaffner zu: "Sie haben ja gar nicht in Tutzing gehalten! Das ist ein Problem, weil ich bin Lehrer, und meine ganze Klasse und ich wollten in Tutzing aussteigen." "Tscha", sagt der Schaffner, "aber das ist ein Sprinter, wir halten gar nicht in Tutzing". "Ja, was machen wir denn da?", fragt der Lehrer, der den falschen Zug ausgesucht hat. "Sie steigen in Pasing aus und nehmen einen Zug, der in Tutzing hält", schlägt der Schaffner vor. "Ja, so könnten wir's machen", sagt der Lehrer. Und leicht erschrocken: "Dann muss ich ja nochmal neue Fahrkarten für alle kaufen!" Tscha. Zumindest bei der Planung von Wandertagen kann das Heranziehen von Fahrplänen schon sinnvoll sein.
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