Die Heimat für Zugezogene

AZ-Leserin Kristina Kopp schildert ein Erlebnis in einem neuen Café, das ihr "ein Gefühl von Heimat vermittelt" hat.
Kristina Kopp |
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Im ASZ Neuhausen wird literarisch Kaffee getrunken.
Daniel von Loeper Im ASZ Neuhausen wird literarisch Kaffee getrunken.

AZ-Leserin Kristina Kopp schildert ein Erlebnis in einem neuen Café, das ihr "ein Gefühl von Heimat vermittelt" hat.

Schwanthalerhöhe - Es war März und wir haben allesamt verzweifelt auf den Frühling gewartet. Oder zumindest etwas, was uns in dem Glauben gelassen hätte, es sei Frühling. Am Sonntag, den 10. März konnte man sogar ein paar Sonnenstrahlen am Himmel im Westend erkennen.

Es waren nicht viele, aber immerhin - dieser Frühling hat uns ja gelehrt: Nimm was du kriegen kannst. Ich wollte an diesem Tag mit Freundinnen ein neues Café ausprobieren. Denn davon gibt es viele bei uns. Diese kleinen süßen Läden, die mit Charme überzeugen und wo der Kaffee noch richtig nach Kaffee schmeckt und nicht nach einem überteuerten Coffee-Shop-Mit-Zahlreichen-Extrawünschen-Kaffee. Ich finde, dass einem in diesen liebevoll eingerichteten und geführten Cafés wenigstens noch das Gefühl von "Daheim" vermittel wird.

Diese besondere Geborgenheit eben. Denn wie so viele, bin auch ich eine Zugezogene. Eine von vielen in diesen anonymen Großstädten. Aber in diesen kleinen individuellen Lokalen, da bin ich tatsächlich noch ich. Dort werde ich mit einem Lächeln begrüßt, freundlich geduzt und fühle mich wie eine Stammkundin, die hier jede freie Minute verbringt - obwohl ich gerade das erste Mal zur Tür rein komme.

Genau so ein Café haben wir gefunden. Ein ehemaliger Lebensmittelladen. Hohe Decken. Große Ladenfenster. Viel Licht. Vintage-Einrichtung. Daheim-Flair. Einfach zum Wohlfühlen. Vor dem Laden standen pinke Stühle mit Decken und Blumen. In dieser heimeligen Atmosphäre haben wir Kaffee getrunken, uns unterhalten und gelacht. So wie alle. Der Laden war bis auf den letzten Stuhl gefüllt.Und die Besitzerin überfordert und alleine. Die Schweißperlen rannen ihr über die Stirn, als sie unsere Bestellung aufnahm. Der Stift mit dem sie schrieb wurde

durch das Zittern der Hand geleitet. Und trotzdem wollte sie einem jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Während die Dame hinter dem Tresen stand und die Getränkeliste versuchte abzuarbeiten, zogen tiefschwarze Wolken über das Westend. Auch der Mann mit der Lesebrille, der am Tisch gegenüber saß, blickte mit hochgezogener Augenbraue in den Himmel. Wir dachten wohl alle das Gleiche: Gleich geht die Welt unter.

Die Besitzerin war hingegen noch immer mit Milch aufschäumen, Sandwiches machen und Kaffee brühen beschäftigt. So dass sie gar nicht bemerkte, wie die ersten riesigen Tropfen auf dem Asphalt landeten. Der Mann nahm seine Lesebrille ab und legte sie neben das Buch, das vor ihm lag. Wir beobachteten ihn und wunderten uns - er verließ ohne seine Jacke, sein Buch, seine Brille und ohne zu zahlen das Café.

Durch die riesigen Fenster konnten wir sehen, wie er anfing, die Polster und Decken von den Stühlen zu räumen. Ohne dass ihn jemand darum gebeten hat. Völlig bepackt - mittlerweile auch klatschnass - kam er durch die Tür herein und ging auf den Tresen zu: "Bevor die auch noch ganz nass werden, dachte ich mir, räume ich sie mal lieber rein."

Die Besitzerin schaute den ihr völlig fremden Mann an und war sprachlos. Auch wir verfolgten die Szene. Wildfremde Menschen helfen sich gegenseitig. Weil man das eben so macht. Weil es nett ist. Weil man sich damit kein Bein ausreißt.

Und genau das ist es, was mir das Gefühl von Heimat vermittelt. Mir der eigentlich fremden Zugezogenen. Es ist nicht nur das Café an sich. Es sind die Leute. Obwohl wir in einer Großstadt wohnen, muss das ja noch lange nicht bedeuten, dass man nicht auf den anderen schauen kann.

Es sind die kleinen Dingen, die einen Lächeln lassen. Es ist das Westend, in dem man gerne wohnt.

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