Das Ledigenheim im Westend: Günstige Bleibe für 382 Männer

Das über 100 Jahre alte Konzept im Münchner Westend hat sich bewährt: Männer aus 52 Ländern leben friedlich zusammen in einem Haus. Geleitet wird es von einer Frau.
von  Nina Job
Die Chefin: Claudia Bethcke (55) führt das Heim seit 2011.
Die Chefin: Claudia Bethcke (55) führt das Heim seit 2011. © Petra Schramek

Sendling - Ein schmales Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Wandschrank, ein Waschbecken. Viel Platz ist nicht. Aber es ist ein Dach überm Kopf. Zu einem fairen Preis - erst recht in München.

Als sich Reinhold Dietz vor fast 14 Jahren im Ledigenheim an der Bergmannstraße im Westend vorstellte, war er in einer schwierigen Lebenssituation. Er hatte seine Gaststätte in Niederbayern aufgeben müssen, Schulden drückten ihn, er brauchte Arbeit.

Der 58-Jährige zog in eines der Sieben-Quadratmeter-Zimmer. Nur wenige der 382 Räume sind größer. Alle sind möbliert und werden täglich gereinigt. Immer montags wird das Bett frisch bezogen - für 195 Euro Warmmiete. Wer einen Kühlschrank im Zimmer hat, zahlt fünf Euro mehr für Strom.

"Das Haus hat es mir ermöglicht, wieder Fuß zu fassen"

"Am Anfang dachte ich, dass ich nach vier Monaten wieder umziehe", sagt Reinhold Dietz. Doch er wohnt bis heute in dem imposanten Bau, der wie eine rote Trutzburg im Westend steht. Das mehr als 100 Jahre alte Männerwohnheim, dessen Name nie an modernere Zeiten angepasst wurde, ist das einzige noch existierende Haus dieser Art in Europa. Fast 400 alleinstehende Männer aus 52 Nationen leben hier friedlich zusammen. "Aus polizeilicher Sicht gibt es keinerlei Auffälligkeiten. Und von Anwohnern gibt es auch keine Beschwerden", bestätigt Polizeisprecher Sven Müller.

Rund 80 Heimbewohner sind gebürtige Deutsche, die anderen kommen aus der ganzen Welt. "60 bis 70 Prozent gehen arbeiten, ein Drittel bekommt Hartz IV", weiß Claudia Bethcke.

Das Büro der zierlichen, blonden Frau ist gleich am Eingang hinter der Pforte, dort, wo alle Bewohner ihre Post abholen und ihren Zimmerschlüssel abgeben, wenn sie das Haus verlassen. Die 55 Jahre alte quirlige Frau war in einem früheren Leben Rechtsanwältin, seit sieben Jahren ist sie die Chefin im Haus - und wird von vielen auch so angesprochen. "Sie wird respektiert und geachtet", sagt Reinhold Dietz.

Die Regeln sind im Ledigenheim heilig

Für Bethcke ist die wichtigste Regel für ein gutes Zusammenleben, dass sich alle an die Regeln halten. "Ich erkläre jedem neuen Bewohner alles genau. Mit seiner Unterschrift akzeptiert er die Hausordnung. Bei Verstößen läuft er Gefahr, sein Zimmer zu verlieren."

Die Chefin erwartet, dass sich die Bewohner mit Respekt und Achtung begegnen. Das scheint wohl ebenfalls zu funktionieren. Vize-Hausmeister Norbert Waldmann erzählt von einem Iraner und einem Iraker, die in der Gemeinschaftsküche Kochrezepte austauschen. "Vielleicht trinkt mal einer zu viel, aber es gab noch nie eine Schlägerei", sagt Reinhold Dietz, der seit fünf Jahren nebenbei an der Pforte aushilft. Sie ist rund um die Uhr besetzt. Im schlimmsten Fall droht Dietz mit der Polizei. "Aber kommen musste sie noch nie."

Bedarf für Häuser wie Ledigenheim ist da

Es sind nicht nur die Regeln oder die Angst, die günstige Bleibe wieder zu verlieren. Dass das Zusammenleben funktioniert und man aufeinander achtet, dafür sorgen auch die neun Reinigungskräfte. Die Frauen sind fest angestellt und kennen jeden im Haus. "Wenn es jemandem schlecht geht oder es Probleme gibt, erfahre ich es von ihnen", sagt Claudia Bethcke.

Sie erinnert sich an einen Mann, der sein Zimmer nicht mehr öffnen wollte. Am dritten Tag zwang sie ihn dazu. "Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, hatte aus Geldnot tagelang nichts gegessen." Hätte Bethcke nichts davon erfahren, wäre der Mann wohl in seinem Zimmer verhungert.

Claudia Bethcke ist es ein Rätsel, warum Häuser wie das Ledigenheim heute nicht mehr gebaut werden. Der Bedarf ist da: Die Anträge für ein Zimmer füllen einen Aktenordner. Dietz hat bereits vor Jahren Arbeit als Koch gefunden. Mittlerweile kann er sich ein größeres Zimmer im Heim leisten. "Das Haus hat es mir ermöglicht, wieder Fuß zu fassen."

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