AZ-Stadtspaziergang: Kein Zug nach Nirgendwo am Olympia-Bahnhof

Milbertshofen - Stellen Sie sich vor, es ist ein strahlend-schöner Sommertag Ende August 1972. Hunderte Besucher im bunten Sommeroutfit strömen aus der neuen S-Bahn an der Haltestelle Oberwiesenfeld und gehen Richtung Olympiagelände.
Als die Stimme von Joachim Fuchsberger aus dem Lautsprecher kam
Ein Lautsprecher am Bahnhof schnarrt, nennt die Station und von weitem hört man die Stimme von Joachim Fuchsberger, dem Stadionsprecher der Olympischen Sommerspiele 1972 in München, aus den Lautsprechern.
Die Sommerspiele, die später von dem Attentat überschattet werden, sind in vollem Gange, aber noch ist alles frisch, riecht alles neu - und man kann erwarten, dass alles so bleibt auf dem Gelände, am Stadion, am Olympia-Bahnhof.
Kleine Birken drängen sich durch den Bahnsteigboden
In amerikanischen Thrillern kommt jetzt die Überblende, die fröhlichen Stimmen, die bunten Besucher verschwinden, die neu lackierten Metallteile werden langsam von Rost bedeckt.
Kleine Birken drängen sich durch den Bahnsteigboden und wachsen im Zeitraffer, bilden kleine Wäldchen. Moos kriecht über den Boden und bedeckt den Bahnsteig. Die frischen Betonwände der Haltestelle werden schmuddelig, Graffiti erscheinen auf den Wänden. Die Apokalypse?
Kann die Stadt nicht mehr Buntes vertragen?
So tragisch nun auch wieder nicht. Als ich zwischen den Büschen und Bäumchen hindurch das Gelände betrete, ist wieder so ein typischer Apriltag im März. Dunkle Wolken jagen über den Himmel, ab und zu blitzt kurz die Sonne milchig durch und taucht die Szene in unwirkliches Licht.
Am Bahnhof lerne ich einen jungen Sprayer kennen, der mir begeistert die Graffiti erklärt. "Weißt du, wenn ich an der Wand stehe und spraye, vergesse ich die Welt um mich herum und bin nur bei meiner Kunst", erzählt er mir. Ich lerne viel von ihm über Graffiti, über die Werke und die Szene. Und irgendwie bin ich der Meinung, dass wir einfach mehr Buntes in der Stadt vertragen könnten. Bunt wie die 70er, als dieser Bahnhof entstand.
Unwirkliche Szenerie am Rande des Olympiaparks
Ein Stück weiter, geschützt in einer Nische, vier Matratzen, ordentlich aufgereiht, alles sauber, wie in einem großen Schlafzimmer mit bunten Wänden. Ich mache mich auf den Rückweg, laufe auf den Gleisen entlang, sehe verrottende Bahnschwellen, Moose zwischen den groben Schrauben an den rostigen Gleisen.
Ein Eichelhäher beobachtet mich misstrauisch, Krähen werden im Sturm wie Herbstlaub über den Himmel geweht. Es ist eine recht unwirkliche Szenerie hier am Rande des Olympiaparks. Ich komme mir vor wie auf einem anderen Planeten.
Was ist hier passiert? Nichts. Einfach nichts.