Agnesstraße 48: Das Ende des Literatenhauses

Das Haus und die Bewohner der Agnesstraße 48 waren charakteristisch für das alte Schwabing. Jetzt droht der Abriss.
von  Lea Kramer und Paul Nöllke
Das Haus in der Agnesstraße 48 ist nun offiziell ein Denkmal - und damit vor dem Abriss geschützt.
Das Haus in der Agnesstraße 48 ist nun offiziell ein Denkmal - und damit vor dem Abriss geschützt. © Daniel von Loeper

Schwabing - Ein Faxgerät steckt noch in der Dose, ein Plastik-Regal steht in der Ecke, eine Stehlampe ist auch zurückgeblieben: Wer durch die Fenster der Agnesstraße 48 schaut, würde kaum glauben, dass in dem Mietshaus seit Monaten fast keiner mehr lebt. Bald könnte es komplett abgerissen werden. Heute wie einst ist das Gebäude beliebt – wenn auch bei unterschiedlichem Publikum.

Das Haus in der Agnesstraße 48 ist nun offiziell ein Denkmal - und damit vor dem Abriss geschützt.
Das Haus in der Agnesstraße 48 ist nun offiziell ein Denkmal - und damit vor dem Abriss geschützt. © Daniel von Loeper

Literatenhaus in der Agnesstraße 48 droht der Abriss

Ein Bild aus dem Jahr 1913 zeigt das Eckhaus mit seiner ursprünglichen Fassade. Im Erdgeschoss befindet sich ein Laden, geschützt von großen Markisen. Die Maxvorstadt und auch das angrenzende Schwabing sind damals bei Künstlern und Literaten beliebt. Einer von ihnen zieht 1915 mit seiner Frau in das erste Obergeschoss der Agnesstraße 48. Sein Name: Ludwig Leitl. Der gebürtige Traunsteiner arbeitet tagsüber bei der Post, nachts schreibt er für die Zeitung, an Theaterstücken oder seinem Roman "Jakob Murr". Seine Darstellung des bayerischen Landlebens kommt bei Zeitgenossen an: Viele sehen ihn als würdigen Nachfolger von Ludwig Thoma.

Finanziell schlägt sich das offenbar nicht nieder. Leitl stirbt im Alter von 48 Jahren – auch durch die berufliche Doppelbelastung. Freunde haben ihm in seinem Geburtsort Tittmoning ein Denkmal errichtet, das heute noch erhalten ist.

Zog 1915 in die Agnesstraße 48: Ludwig Leitl.
Zog 1915 in die Agnesstraße 48: Ludwig Leitl. © Stadtarchiv

Agnesstraße 48: Wohnort für Kreative

Mit dem Schriftsteller und Universitätsprofessor Hans Egon Holthusen zieht 1950 ein weiterer Literat in das Mehrfamilienhaus. Holthusen lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität, ist bis in die 70er Präsident der "Bayerischen Akademie der Schönen Künste". Als Autor und Kritiker übt er starken Einfluss auf die Literatur der Nachkriegszeit aus. Das ist nicht unproblematisch, denn Holthusen war schon in jungen Jahren bei der SS. 1937 trat er in die NSDAP ein, kämpfte an der Ostfront und versuchte 1940, den Überfall auf Polen in einem Artikel zu rechtfertigen. 1960 lehnt Lyrikerin Mascha Kaléko einen Literaturpreis aus seinen Händen ab. 1997 stirbt Holthusen in München.

Das Haus in der Agnesstraße blieb Wohnort für Kreative in Schwabing. Bis zuletzt wohnten ein Schriftsteller und ein Fotograf in dem Gebäude. Das war auch wegen der günstigen Miete möglich, die die ehemalige Besitzerin verlangte. Die Mieter richteten dafür viel selbst her. Es gab keine Zentralheizung, ein Mieter baute sich eine Sauna samt Tauchbecken in den Keller. Als die Eigentümerin verstarb, verkaufte ihre Tochter das Gebäude. Nun soll es abgerissen oder entkernt werden.

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