Spitzenforschung: Diese Münchner revolutionieren die Medizin
Ins Gleichgewicht gebracht
Professor Klaus Jahn, Leiter des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum am Klinikum Großhadern
„Wir sind für viele Patienten die letzte Rettung. Bei Gleichgewichtskrankheiten besuchen sie oft fünf oder sechs Ärzte. Wenn Patienten zu uns kommen, erfahren sie dann oft, welche Krankheit sie haben. Neue Tests helfen zum Beispiel festzustellen, ob sie in der Lage sind, die Senkrechte richtig wahrzunehmen. Wir stellen sie dafür in ein Rad, das sich in alle Richtungen bewegt.
Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass wir eng mit vielen Wissenschaftlern und Fachärzten zusammenarbeiten. Dadurch werden oft neue Ideen geboren. Etwa 20 verschiedene Fachrichtungen arbeiten hier zusammen. Das gilt in der Forschung und auch bei Patienten. 100 Wissenschaftler – Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Psychologen aber auch Ingenieure und Biologen forschen und heilen hier im Team. Diese interdisziplinäre Arbeit gibt es so nur einmal auf der Welt. In der klinischen Forschung etablieren wir einheitliche Leitlinien für die Diagnostik und die Therapie. Dadurch können wichtige klinische Studien durchgeführt werden. Die Ergebnisse verbessern die Behandlungen zum Beispiel bei Schwindelmigräne oder bei akutem Gleichgewichtsausfall. Mit unserem Zentrum koordinieren wir weltweit die Forschungsaktivitäten in unserem Bereich.
Wir forschen auch an Tieren. Zum Beispiel schauen wir uns die Sinnes- und Nervenzellen im Gleichgewichtssystem bei Krallenfröschen an. Damit können wir Krankheiten beim Menschen besser verstehen. Forschung auf diesem Gebiet ist wichtig, da Schwindel eines der häufigsten Symptome in der Medizin ist.“
Letzte Hoffnung im Haunerschen
Kinder mit seltenen Krankheiten bei Christoph Klein: „Die Waisen der Medizin“
Wir kümmern uns um die Waisen der Medizin. Das sind Kinder mit seltenen Krankheiten, die oft tödlich enden. Solche Kinder kommen nach einer Odyssee von Arztbesuchen und falschen Therapien zu uns. Das liegt nicht an schlechten Ärzten, sondern daran, dass es sich häufig um unbekannte Genfehler handelt.
In Bayern sterben im Jahr etwa 500 Kinder an seltenen Krankheiten, weil die Medizin machtlos ist. Das nehmen wir nicht hin. Wir gehen den den Krankheiten auf den Grund und entwickeln neue Therapieformen. Ein Beispiel ist der kleine Sevkan. Alles, was in den Lehrbüchern stand, war schon probiert worden, als der Sechsjährige zu uns kam. Von Geburt an hatte er schwere Darmentzündungen. Der Dickdarm war ihm bereits entfernt worden, die Entzündungen blieben aber.
Wir haben dann nach der genetischen Ursache gesucht. Nach drei Jahren fanden wir den Fehler: Seit Sevkans Geburt war sein Immunsystem dabei, Bakterien zu bekämpfen – selbst die guten, wie die aus der Muttermilch. Das Gen, das normalerweise “Stopp“ sagt, funktionierte nicht.
Also tauschten wir Sevkans Immunsystem aus. Dafür zerstörten wir sein Knochenmark mit einer Chemotherapie und pflanzten ihm Stammzellen seines Bruders ein. Einen Monat später war der Kleine gesund. Unsere Arbeit ist oft die Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Wenn auf der DNA einer Zelle eine von gut drei Milliarden Informationen verrutscht ist, kann das schon tödliche Konsequenzen haben. Es dauert ungefähr zwei Monate, die DNA von Maschinen analysieren und auslesen zu lassen.
Es kann dann Jahre dauern, die Ergebnisse auszuwerten. Das heißt: unsere Forschung nützt nicht immer dem kranken Kind. Manchmal profitieren erst spätere Generationen davon. Aber immer häufiger haben wir rechtzeitig Erfolg. Wie beim kleinen Sevkan.
Der Knochenzüchter
Professor Martijn van Griensven leitet die Experimentelle Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar TU München (TUM):
Wir züchten Knochen in der Petrischale. Das Verfahren heißt Tissue Engineering. Wir machen das für Patienten, bei denen Brüche nicht gut heilen. Etwa, weil sie Diabetes haben, sehr viel rauchen oder weil ihre Knochen zertrümmert sind. Das kommt bei Bauarbeitern vor, denen eine Betonplatte auf den Oberschenkel gefallen ist, oder bei Motorradfahrern, die bei hoher Geschwindigkeit stürzen.
Fehlt nach einem Bruch ein Knochenstück von mehr als zwei Zentimetern, wächst der Knochen nicht mehr von allein zusammen. Das ist, als wolle man eine Brücke bauen, könne aber das andere Ufer nicht sehen. Wir helfen, dieses Loch zu füllen. Dafür brauchen wir ein Gerüst, auf dem die Knochenzellen wachsen, zum Beispiel aus Polyester oder Kollagen. Dann brauchen wir lebendige Stammzellen, die wir dem Patienten meist aus einer Fettschicht entnehmen. Außerdem benötigen wir Wachstumsproteine, die den Stammzellen sagen, dass sie Knochenzellen werden sollen. Im Labor wird dann alles gemischt.
Momentan forschen wir am perfekten Material, auf dem die Zellen wachsen können. Acrylate sind stabil wie Knochen, werden aber im Körper nicht schnell genug abgebaut. Irgendwann blockieren sie deshalb die Zellen. Alginate bauen sich zum Teil so schnell ab, dass der Knochen noch nicht ausgewachsen ist. Dann entsteht wieder ein Loch. Die Gesetzeslage ist so, dass die Knochen im Körper nachwachsen müssen. Wir mischen alles an und hoffen, dass es nach der Operation im Körper dann so klappt wie geplant. Knochen fertig zu züchten ist nur für die Forschung erlaubt.
Eine zweite große Herausforderung ist die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen. Unsere Wirkstoffe sind ausgelegt auf Knochenzellen und regen die Verkalkung an. Gefäßzellen, die Blut und somit die Nährstoffe transportieren, dürfen nicht verkalken, sitzen aber direkt an den Knochen. Damit das funktioniert, müssen die unterschiedlichen Wirkstoffe sehr präzise und zum richtigen Zeitpunkt hinzugegeben werden.
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Um die Forschung voranzutreiben, arbeiten wir an der TUM sehr interdisziplinär – Ärzte, Chemiker, Materialwissenschaftler, Zellbiologen und Bioingenieure forschen gemeinsam, um Lösungen zu finden. Ich denke, in fünf bis zehn Jahren wird man Tissue Engineering routinemäßig in der Unfallchirurgie einsetzen können.
Bürgerkrieg im Körper
Hartmut Wekerle ist Hertie-Senior-Professor und ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie:
Wir gehen der Multiplen Sklerose (MS) auf den Grund. Das ist eine Krankheit, die zu schweren Behinderungen führen kann. Es gibt Hinweise darauf, dass die MS auf einer Autoimmunreaktion beruht. Das heißt: das Immunsystem richtet sich gegen den eigenen Körper. Im Fall der MS gegen das Gehirn und das Rückenmark. Das ist sozusagen ein Bürgerkrieg im Körper.
Neue Forschungen deuten darauf hin, dass die Hirnerkrankung merkwürdigerweise im Darm entsteht. Das Immunsystem soll uns vor dem Meer an Mikroben schützen, in dem wir schwimmen. Aber in einem gesunden Menschen sind auch Zellen, die sich gegen den Körper richten können. Diese Zellen bleiben meist das ganze Leben lang friedlich. Sie können allerdings auch aggressiv gemacht werden. Solche friedlichen Immunzellen kommen in den Darm und werden dort mit unserer normalen Darmflora konfrontiert. Teile der Darmflora machen diese Zellen aggressiv. Die Zellen wandern durch den Blutkreislauf ins Gehirn, dort greifen sie an.
Zusammen mit dem Institut für Klinische Neuroimmunologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sind wir nun dabei, das Universum der Darmbakterien aufzuschlüsseln. Was macht die Immunzellen aggressiv? Gibt es Bakterien, die dagegen schützen? Hat MS etwas mit der Ernährung zu tun? Wir machen Tierversuche, um diese Fragen beantworten zu können. Wir hoffen, unsere Beobachtungen bald auf den Menschen übersetzen zu können.
Angriff auf die großen Killer
Professor Maximilian Reiser leitet das Institut für Klinische Radiologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München:
Wir forschen an der Phasenkontrast-Bildgebung. Das ist ein neues Röntgenverfahren, mit dem wir einen zehn Mal höheren Kontrast bekommen als beim normalen Röntgen. Wir sehen also viel mehr und nehmen damit die großen Killer in den Blick: Brustkrebs, Lungenkrankheiten, Schlaganfälle, Herzinfarkte.
Seit Wilhelm Conrad Röntgen 1895 die Röntgenstrahlen entdeckt hat, ist das Prinzip immer dasselbe: Der Strahl wird im Körper unterschiedlich absorbiert. Wenn Sie einen Röntgenstrahl durch den Körper schicken, wird er vom Knochen stark absorbiert. Der Knochen zeigt sich dann sehr gut. Wenn Sie die Weichteile bestrahlen, kann man nicht so viel erkennen, weil keine großen Unterschiede bei der Abschwächung des Röntgenstrahls bestehen.
Bei der Phasenkontrast-Bildgebung wird der Strahl durch das Gewebe etwas abgelenkt. Das verbessert den Kontrast der Bilder und wir sehen mehr. Wir versprechen uns davon, Diagnosen genauer und früher treffen zu können.
Besonders profitieren wir von der neuen Technik bei den Gefäßen. Die Gefäße sind eine „heiße Kiste“, weil man durch die neue Bildgebung genau sehen kann, was sich an den Gefäßwänden so ablagert. Solche Ablagerungen können zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen. Physiker und Ingenieure vom Munich-Center for Advanced Photonics (MAP) versuchen gerade, lasergestützte Röntgenstrahlen zu erzeugen, mit denen die Phasenkontrast-Bildgebung durchgeführt werden kann. Der nächste große Schritt ist es, das auf Geräte zu übertragen, mit denen wir betroffenen Patienten helfen können. Wir warten noch auf Forschungsgelder, um einen Prototypen zu erstellen. Das kostet ja alles. Aber wir hoffen, dass das neue Verfahren dem Menschen bald schon hilft.
Ein Nasenspray gegen Angst
Dr. Ulrike Schmidt leitet die Trauma-Ambulanz und die Arbeitsgruppe „Molekulare Psychotraumatologie“ am Max-Planck-Institut für Psychiatrie:
Wir suchen nach einem neuen Artzney, das gegen Angststörungen hilft. Angst hat jeder von uns, Angst kann aber auch krankhaft sein: Wenn man Angst in Situationen hat, die nicht bedrohlich sind. Wenn die Angst so schlimm wird, dass man nicht mehr schlafen oder arbeiten kann. Es gibt dagegen bereits Artzney, aber die haben Nachteile. Antidepressiva brauchen Wochen bis sie wirken und helfen nicht allen Patienten. Benzodiazepine machen abhängig. Man kann mit diesen Artzney gut behandeln, aber nicht perfekt.
Was wäre ein ganz neuer Therapieansatz? Das habe ich mich gefragt und bin auf eine Arbeit gestoßen, in der es um den Botenstoff Neuropeptid-S (NPS) ging. NPS wurde Mäusen ins Gehirn gespritzt, die Tiere waren dann weniger ängstlich. Allerdings sollte man einem Menschen nichts ins Gehirn spritzen, schon gar nicht als Dauertherapie.
Daher habe ich mir überlegt, dass man NPS als Tablette verabreichen könnte. Das funktioniert aber nicht, denn NPS wird im Magen abgebaut. Es gibt außerdem eine Barriere zwischen Gehirn und Blut, die dazu dient, dass nicht alle Erreger ins Gehirn kommen. Sie versperrt auch vielen Substanzen, die dort ankommen sollten, den Weg – so dem NPS. Gespritzt und als Zäpfchen kommt es auch nicht über diese Schranke.
Was bleibt dann? Die Nase. Deshalb haben wir NPS als Nasenspray an Mäusen getestet. Wir haben das NPS an eine leuchtende Substanz gekoppelt, die man im Mikroskop sehen kann. Ein paar Tröpfchen in die Nase, 20 Minuten später leuchtete es in bestimmten Hirnregionen auf. Als es da im Mikroskop nachts auf einmal heller wurde, dachten wir: Das ist unglaublich.
Danach hat meine Mitarbeiterin Irina Ionescu Verhaltensversuche gemacht. Es hat sich gezeigt, dass NPS relativ gut im Hirn bleibt und die Mäuse weniger Angst zeigen – und zwar ohne die beruhigenden Effekte von Benzodiazepinen und ohne dass man lange warten muss bis sich etwas tut. Das Ganze fanden wir so überzeugend, dass wir ein Patent angemeldet haben. Wir arbeiten jetzt daran, NPS für den Menschen als Therapie verfügbar zu machen. In fünf Jahren, schätze ich, könnte das klappen.