Spitzen-Medizin in München: Forscherglück zu dritt

Das Ehepaar Eyerich hat unbekannte Zellen entdeckt – sie sind der Schlüssel für neue Therapien gegen Allergien und Asthma
Den Moment, als sie eine bislang völlig unbekannte Art von Zellen entdeckten, beschreiben Kilian und Stefanie Eyerich so: „Es war eine Mischung aus Adrenalin und Zweifel.“ Hatten sie wirklich gerade wissenschaftliches Neuland betreten? „Man ist im ersten Moment natürlich unsicher, ob das sein kann“, erzählt das junge Forscherpaar. „Aber je mehr Informationen man dann sammelt, desto mehr glaubt man sich selbst.“
Die Entdeckung der beiden hat in Wissenschaftler-Kreisen für Furore gesorgt: Sie fanden sogenannte Th22-Zellen, eine bisher nicht bekannte Untergruppe von T-Helferzellen. Deren Aufgabe ist zwar einerseits wichtig: Sie schützen vor Entzündungen, helfen bei der Abwehr von Viren und Bakterien und unterstützen die Wundheilung. Doch die eigentlich „guten“ Th22-Zellen können auch großen Schaden anrichten und zu gefährlichen Überreaktionen führen. So gehen die Forscher davon aus, dass sie mitverantwortlich sind für chronische Entzündungskrankheiten. Darunter: Allergie-Erkrankungenwie Asthma, Neurodermitis und Schuppenflechte oder die Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Ist die Entdeckung der Zellen ein erster Schritt zu einer neuen Therapie für all diese Leiden?
Helmholtz Zentrum München und am Zentrum für Allergie und Umwelt (Zaum) der Technischen Universität sind sehr zuversichtlich: „Wir halten die Entdeckung der Th22-Zellen für einen Meilenstein in der Immunologie“, sagt Heidrun Behrendt, Leiterin des Zaum. Und auch der Koordinator der Studie, Carsten Schmidt-Weber vom Imperial College London, erklärt: „Das bedeutet, dass wir chronische Erkrankungen in Zukunft besser und spezifischer behandeln können werden – und auch langfristiger.“ Stefanie und Kilian Eyerich hatten an den Zellen geforscht, während sie im Ausland arbeiteten. Sie war in London und er in Rom – daraus ergab sich eine länderübergreifende Kooperation. Eine Kooperation im Kampf gegen eine Volkskrankheit: Zehn bis zwanzig Prozent der erwachsenen Bundesbürger geben an, dass sie an einer Allergie leiden. Die Pollen werden immer aggressiver.
Mittlerweile sind die Eyerichs wieder in München. Und auch nicht mehr zu zweit. Denn vor neun Monaten kam ihr kleiner Sohn Julian zur Welt. „Ihr liebstes Zell-Agglomerat“, wie eine Labor-Kollegin witzelt. Wenn Stefanie Eyerich (31) in diesen Tagen am Mikroskop sitzt, liegt neben all den Labor-Utensilien auch ein Babyfon. Julian hat noch keinen Krippenplatz bekommen, und so ist der Kleine mit dabei, wenn Mama forscht. Er schläft im Büro nebenan. Ob er später wohl auch ein erfolgreicher Wissenschaftler wird? „Wir dachten eher an etwas Sinnvolles“, flachst sein 30 Jahre alter Vater. „Vielleicht wird er ja Fußballer.“
AmAbendbrottisch, so versichern die Eltern, geht es auch nicht bloß um Zellen, um Entzündungen oder Therapie-Ansätze. „Wir führen ein normales Leben, aber wir finden unseren Beruf sehr spannend.“ Und besonders spannend ist er natürlich, seit sie die Th22-Zellen entdeckten. Es gelang ihnen, sie direkt aus der Haut von Menschen zu isolieren, die an Entzündungen litten. Zuvor war immer nur mit Zellen gearbeitet worden, die aus dem Blut gewonnen worden waren. Die Eyerichs waren einfach die ersten, die erfolgreich an anderer Stelle suchten. Und die dafür auch das nötige Equipment hatten. Denn um Zellforschung betreiben zu können, müssen aus einer einzigen Zelle 100 Millionen andere gezüchtet werden.
Unterm Mikroskop betrachtet sehen die einzelnen Exemplare eher langweilig aus. Rund, hell, das war’s. Doch nun ruht große Hoffnung auf ihnen. Schon kommen Pharma-Unternehmen auf die Forscher zu und wollen mit ihnen über die klinische Anwendbarkeit der neuen Erkenntnisse reden. Bis es tatsächlich Antikörper gegen die Zellen gibt, könnte es nach Einschätzung von Kilian Eyerich noch zehn Jahre dauern. Schneller aber wird es wohl möglich sein, deren Botenstoffe zu blockieren. Auch das wäre ein großer Fortschritt.
„Derzeit versuchen wir, die Zellen noch besser zu verstehen“
So wie Menschen über die Sprache miteinander kommunizieren, tauschen Zellen über Botenstoffe Informationen aus. Sprich: Wenn diese Signale unterbunden werden, könnten die Th22-Zellen keine Überreaktion mehr hervorrufen. Beispiel Schuppenflechte – da teilen sie den Hautzellen mit: „Ihr müsst euch vermehren.“ Mit unangenehmen Folgen für die Betroffenen. Solche Nachrichten sollen in Zukunft einfach ausgeschaltet werden. „Bis man alle Botenstoffe kennt und blockieren kann, wird es aber wohl noch drei bis fünf Jahre dauern“, schätzt Kilian Eyerich. Bis dahin wartet noch viel Arbeit auf die jungen Wissenschaftler: „Wir sind noch am Anfang. Derzeit versuchen wir, die Zellen noch besser zu verstehen.“ Dabei gibt es gewiss noch einigeHürden zu überwinden. Und sei es bloß, dass zuerst einmal ein Financier für das Forschungs- Projekt gefunden werden muss. Interessenten gibt es bereits. Außerdem wissen die Eyerichs: „Frustrationstoleranz und Optimismus sind Grundeigenschaften, die man als Forscher braucht.“
Auf Konferenzen und Fachkongressen tauschen sie sich mit anderen Wissenschaftlern aus. „Es geht da nicht nur um Konkurrenz.“ Dafür sei auch das gemeinsame Ziel zu wichtig: endlich ein wirksames Mittel gegen chronische Allergie- und Entzündungskrankheiten zu finden. Auch die Eyerichs gehören zu der großen Gruppe der Betroffenen. Er leidet an Neurodermitis, sie hat diverse Pollen- Allergien. „Daher kommt auch ein bisserl die Motivation für diesen Bereich der Forschung“, erklärt Stefanie Eyerich. „Wir haben schon den Eindruck, etwas sehr Sinnvolles zu tun. Für uns und alle Mitleidenden.“
Julia Lenders