Sonden messen Verschmutzung: Dicke Luft im Münchner Norden

Die an München angrenzenden Kommunen kämpfen mit viel Verkehr und Luftverschmutzung. Mit einem neuen Projekt wollen sie auf das Problem aufmerksam machen: Intelligente Sonden messen den Dreck.
Conie Morarescu |
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Franz-Josef Loscar zeigt eine der Sonden, mit denen im Münchner Norden die Luftqualität gemessen wird.
Franz-Josef Loscar zeigt eine der Sonden, mit denen im Münchner Norden die Luftqualität gemessen wird. © Bernd Wackerbauer

München - Die Luft in Münchens Norden ist dreckig. Zu dreckig. Zwar überschreiten die Werte nicht die geltenden Grenzwerte, doch liegen sie deutlich über jenen, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt. Und das ärgert die dortigen Bürgermeister.

Im Norden Münchens: "Smart Air Quality" soll her

Acht Kommunen im Norden Münchens haben sich zu einem Interessenverbund zusammengetan. Sie wollen gemeindeübergreifende Themen wie Verkehr, Umweltschutz und Digitalisierung geschlossen angehen. Und das seit 1982. Ein aktuelles Projekt der Nordallianz: die Luftqualität in der verkehrsreichen Region, das Smart Air Quality Projekt.

Zwei Jahre lang wurden Luftschadstoffe an 35 von den Kommunen festgelegten Standorten digital erfasst. Gemessen wurden die Luftschadstoffe Stickstoffdioxid (NO2), PM2,5 und PM10 (Feinstaub) sowie bodennahes Ozon.

Die beteiligten Kommunen der Nordallianz sind Eching, Garching, Hallbergmoos, Ismaning, Neufahrn, Oberschleißheim, Unterföhring und Unterschleißheim.

Das Ergebnis: Zwar überschreiten die Werte nicht die bei uns geltenden Grenzwerte, wie sie in der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung festgelegt sind, aber ebenjene der Weltgesundheitsorganisation.

Die Grenzwerte lagen mal höher 

Im September hat die WHO die empfohlenen Grenzwerte für Luftschadstoffe stark heruntergesetzt. In der Europäischen Union und in Deutschland lagen bereits zuvor die Grenzwerte zum Großteil weit über den Empfehlungen der WHO.

"Wir wollten mit diesem Digitalisierungsprojekt die geltenden Grenzwerte zur Diskussion stellen", sagt Dr. Dietmar Gruchmann, Bürgermeister von Garching. "An allen Messstellen in der Nordallianz wurde der WHO-Grenzwert für Stickstoffdioxid von 10 µg/m³ überschritten. Der niedrigste Wert lag bei 13 µg/m³. Würden die WHO-Grenzwerte bei uns gelten, müsste die Regierung von Oberbayern aktiv werden."

Die zuständigen bayerischen Behörden ignorieren die Daten

Aktiv wird die Bezirksregierung aber erst, wenn 40 µg/m³ überschritten werden. Dann erst werden Maßnahmen nach einem Luftreinhaltungsplan ergriffen, wie der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs oder die Förderung des Radverkehrs und der Elektromobilität.

Die Geschäftsstellenleiterin der Nordallianz Anna-Laura Liebenstund ist auch vom Umweltministerium enttäuscht: "Wir haben der Behörde unsere Ergebnisse zukommen lassen, doch bis heute keine Antwort erhalten. Die Werte sind nicht schlecht genug, dass etwas passiert. Unsere Gesundheit ist trotzdem betroffen."

Ministerium hat nur sparsame Antworten

Auf Nachfrage der AZ weist das Landesamt für Umwelt auf die eigenen Luftqualitätsmessungen hin. Bayernweit gebe es 50 Messstationen, davon in München insgesamt fünf. Zusätzlich würden diese durch mobile Messungen und Passivsammler ergänzt.

Auf das Projekt der Nordallianz geht der Sprecher nur kurz ein: Es diene hauptsächlich dem Zweck der "Orientierung für die kommunale Planung". Die Sensoren, die bei dem Nordallianz-Projekt eingesetzt wurden, würden zudem nicht den strengen Kriterien der Bundesimmissionsschutzverordnung gerecht werden.

Viele Stellen sind am Projekt beteiligt

Das Smart Air Quality Projekt ist ein wissenschaftlich fundiertes Projekt. Die Studentin Magdalena Staudt hat am Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TU München ihre Masterarbeit zu diesem Projekt verfasst. Die Auswertung der Daten wurde von der TU Graz vorgenommen, begleitet wurde das Projekt von einem ehrenamtlichen Daten-Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts.

Franz-Josef Loscar ist der Leiter der Gemeindewerke Ismaning und war von Beginn an stark an der Umsetzung beteiligt. Es wurden innovative digitale Messmethoden eingesetzt, welche das Münchner Start-up-Unternehmen Hawa Dawa zur Verfügung gestellt hat. "Wir wollten selbst schauen, wie es um die Luftqualität in der Region steht", sagt Loscar.

Künstliche Intelligenz darf nicht fehlen

Die digitalen Messungen sind leichter umzusetzen, günstiger als die großen Messstationen und basieren auf künstlicher Intelligenz. Die kleinen Sensoren lernen durch Kalibrierung dazu. Mit Hilfe digitaler Datensätze werden beispielsweise Umwelteinflüsse wie Wetter oder Vandalismus berücksichtigt.

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Die Methode ist TÜV-geprüft, sagt der Geschäftsführer von Hawa Dawa, Karim Tarraf. Die erforderliche Genauigkeit sei erfüllt. Gerade fehle aber noch der gesetzliche Rahmen für die neue Messmethode.

Wer digital misst, bekommt die Daten in Echtzeit

Ein Vorteil der digitalen Methode sei, dass eine Echtzeit-Messung möglich ist, die es erlaubt, zum Beispiel Stoßzeiten zu erfassen. "Wir wollen Daten an die Hand geben, die praktische Lösungsansätze ermöglichen", erklärt Tarraf.

Wie die EU-Umweltagentur EEA mitgeteilt hat, starben im Jahr 2019 schätzungsweise 307 000 Menschen in der Europäischen Union vorzeitig durch die Belastung der Luft mit Feinstaub. Hätten die EU-Mitgliedstaaten die aktuellen WHO-Grenzwerte eingehalten, so hätten nach Einschätzung der EEA mehr als die Hälfte der Todesfälle verhindert werden können.

Ergebnisse der Messungen gibt es hier: luftdaten.thomas-zastrow.de

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31 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • 1Muenchner am 04.01.2022 16:18 Uhr / Bewertung:

    Der Kettenraucher Helmut Schmid wurde fast 100. Und rauchte in seiner Wohnung. Dort war die Feinstaub- und Stickoxidbelastung sicher um ein vielfaches Höher.

  • Sebastian B. am 04.01.2022 20:58 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von 1Muenchner

    Damit haben sie bewiesen, dass es auch keinen Lungenkrebs gibt. Bravo!

  • Leserin am 05.01.2022 04:23 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von 1Muenchner

    Wer sich nur ein bisschen mit Statistik auskennt, weiss, dass es solche Fälle, wie Helmut Schmidt als Raucher gibt, ja geben muss. Dann weiss man aber auch, dass es nur sehr wenige sind und es für die meisten schlecht ausgeht. Rauchen wie Feinstaub.

    Schlagen Sie also vor, die Grenzwerte zu unser aller Schutz nach wernigen glücklichen Ausnahmen zu bemessen?

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