So schlecht steht's um die Barrierefreiheit in München

Altstadt/Lehel - Veronika Petschat ist eine aufgeweckte 30-jährige Frau, die ihr Leben im Griff hat. "I bin die Vroni", stellt sie sich bei unserem ersten Gespräch vor. Getroffen haben wir uns im "MouseArt", dem digitalen Kunstatelier der Stiftung Pfennigparade, wo Vroni arbeitet. Es gibt dort ein kleines Fotostudio sowie Bildschirmarbeitsplätze.
Von da aus gehen wir zwei Tage später auch los. Ja, richtig, wir gehen, denn auch wenn Vroni im Rollstuhl sitzt, sagt sie: "Wir gehen."

Fahrt mit der U-Bahn - alles andere als einfach
Wir gehen also zur U2-Haltestelle Milbertshofen und hoffen, dass der Fahrstuhl funktioniert. Falls nicht, kann Vroni nicht zum Bahnsteig und sie muss vor zum Scheidplatz. Es gibt sogar eine Smartphone-App, um das (einigermaßen zuverlässig) vorher abzufragen.
In der Regel fahren hier noch die alten U-Bahnen – und bei denen ist der Einstieg zu hoch. Sie braucht Hilfe.
Am Hauptbahnhof angekommen, zeigt sie mir eine gelbe Rampe, die es ihr ermöglicht, fast alleine auch in die alten U-Bahnen zu kommen. Allerdings nutzen diese Rampe natürlich auch Eltern mit Kinderwagen und die sind schneller, so dass sie dann nicht mehr in die Bahn kommt.
Bei den Eisbachsurfern kommt Vroni ins Schwärmen
Was ebenfalls ungünstig ist: Der Lift ist am ganz anderen Ende des Bahnsteigs, und so muss sie mit dem Rollstuhl den ganzen Bahnsteig entlang. Nicht alle Menschen machen ihr freiwillig Platz.
Weiter müssen wir zunächst mit dem Lift hoch, aus dem Bahnhof raus und zwischen Straßen und Baustellen einen anderen Lift wieder runter zur U5 – wir wollen zu den Eisbachsurfern. Ich verliere langsam die Geduld wegen der Umstände. Doch Vroni verblüfft mich. Sie beschwert sich nicht, dass es für sie fast unmöglich ist, innerhalb des Bahnhofs umzusteigen. Nein, sie ist froh, dass es überhaupt geht.
Im Lehel angekommen, beobachtet sie gebannt die Surfer. "Das würde ich auch machen, wenn ich könnte,"sagt sie. Ich glaube ihr das sofort.

Rücksichtslose Menschen machen es schwer
Weiter geht’s zum Haus der Kunst. Hier gibt es eine lange Rampe und Rollstuhlfahrer können gut hochfahren. Durch den Hofgarten und zum Odeonsplatz. Vronis Rollstuhl hat eine Antriebshilfe, ähnlich wie bei einem E-Bike, aber das Anfahren ist schwer, besonders auf Kies oder Kopfsteinpflaster. Oft, wenn sie anfährt, ist es sehr anstrengend, bis es einigermaßen rollt. Dann flitzen durch die Lücke oft noch ein paar Radler oder eine Gruppe Touristen. Es wirkt so, als wären sie nicht bereit, kurz zu warten, um die Rollstuhlfahrerin durchzulassen. Das erleben wir auf dem weiteren Weg immer wieder.
Ebenso gibt sehr viele nette Leute, die ihr gerne helfen, wenn sie danach fragt, aber leider eben auch genügend Rücksichts- oder Gedankenlose, die uns eigentlich alle aufregen.
Das ist auch Vronis Fazit. Natürlich gibt es in München noch Handlungsbedarf, und man könnte noch einiges tun. "Aber die Stadt ist da sehr weit", sagt sie, "auch wenn ich nicht bei jedem Gehweg überall rauffahren kann, ist es doch meistens ein paar Meter weiter möglich."
Viele Gehwege werden achtlos zugeparkt
Sicher wird der neue Hauptbahnhof barrierefreier gestaltet, hofft sie. "Was wahrscheinlich nie aufhört, sind die zugeparkten Gehwege, achtlos hingeworfene Radl und E-Scooter – viele Kleinigkeiten, die vermeidbar sind."
Einfach weil München so viel zu bieten hat, egal aus welcher Perspektive, sollte jeder, ob sitzend oder stehend, die Chancen haben, das Stadtleben ohne Hindernisse zu erkunden.
Vielleicht denken Sie einmal daran, bevor Sie auf einem Gehweg parken oder das gemietete Radl mittendrauf abstellen.
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