Inklusive Luftschutzbunker: So lebt Münchens Alt-OB Christian Ude in seiner Wohnung in Schwabing

Fünf, sechs Treppenstufen hinauf, eine hohe Decke über dem Kopf, einen knarrenden Parkettboden unter den Füßen. Dann öffnet Christian Ude die Tür zu seiner Paterrewohnung am Kaiserplatz, in Schwabing. Er grüßt, mit einem inzwischen weißen Schnauzer über der Oberlippe, einer Brille mit dünnen Rändern, einem blau-weißen Hemd und einer braunen Cordhose. So wie Münchner den SPD-Politiker spätestens seit 1993 kennen, als er zum Oberbürgermeister gewählt worden ist.
Mit seiner Frau Edith von Welser-Ude lebt der 77-Jährige seit einem halben Jahrhundert in dem Mietshaus – mit Erinnerungsstücken und einem Luftschutzbunker im Keller.
Bevor er seine Wohnung zeigt, lädt Ude ein zu einem Rundgang. Dafür geht es zunächst wieder raus auf die Straße. Fünf, sechs Treppenstufen hinab, knarrenden Parkettboden unter den Füßen, Ude stützt sich am Geländer, öffnet die schwere hölzerne Eingangstür.

Er blickt auf seinen liebsten, begrünten Kaiserplatz. In seiner Mitte befindet sich ein Spielplatz, nebenan die St.-Ursula-Kirche. Das Haus an der Ecke zur Viktor-Scheffel-Straße gehört den Udes. "Gesucht hatten wir damals eigentlich nur einen Speicher, doch das Haus war als Schnäppchen zu kaufen, deshalb haben wir zugeschlagen." Es sei der Glücksgriff im Leben des Ehepaares gewesen.
"Die Wohnung ist mehr als ein Castle"
1975 ist Ude mit seiner Frau Welser-Ude (86) eingezogen, für ihn steckt das Haus voller Erinnerungen. Nicht zuletzt, weil auch der Großteil seiner Familie darin lebt. Seine Frau hat sechs Kinder in die Ehe mitgebracht, vier von ihnen wohnen mit ihren Angehörigen im Haus.
Wohnen bedeutet für Ude "das Zentrale und Wichtigste", denn dort findet das Leben innerhalb der Familie statt, dort sind die wichtigsten Dinge zu Hause. "Die Wohnung ist mehr als ein Castle", sagt er und nennt sie die "zweite Haut".
Der Alt-OB zeigt auf die Fassade des viergeschossigen Mietshauses mit Stuckdekor. "Das Haus, gebaut 1902, hat ökologische Qualitäten." Dicke Wände halten im Winter die Räume warm, im Sommer kühl. Vor dem Haus, das unter Denkmalschutz steht, können die Bewohner der insgesamt acht Wohnungen auf einer von einer Hecke umrahmten Terrasse einen Kaffee trinken. Den Efeu, der das Haus teils bedeckt, hat Welser-Ude vor 40 Jahren selbst gepflanzt. Zwei Kiwis, die Ude zum 60. Geburtstag geschenkt bekommen hat, reichen heute bis unter das Dach, klettern rechts und links am Schlafzimmer des Paares im Erdgeschoss vorbei.
Ude, am 26. Oktober 1947 geboren, ist in Schwabing aufgewachsen. Nach dem Abitur 1967 arbeitete er als Journalist, später als Rechtsanwalt, bevor er 1990 in den Stadtrat und am 12. September 1993 zum OB gewählt worden ist. Dreimal ist Ude insgesamt wiedergewählt worden.
"Ohne Milliardeninvestitionen des Bundes bahnt sich eine Tragödie an."
In der Vergangenheit hat der 77-Jährige mehrere Bücher geschrieben, darunter "Wege aus der Wohnungsnot", 1990 erschienen. Wohnen sei auch heute das soziale Thema in der Landeshauptstadt, sagt Ude. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde in Zukunft weit auseinandergehen: "Ohne bodenrechtliche Reformen und Milliardeninvestitionen des Bundes bahnt sich eine Tragödie an."
Die schwere hölzerne Eingangstür wird geöffnet, fünf, sechs Treppenstufen hinauf, knarrenden Parkettboden unter den Füßen, viele Stufen mehr hinab, es wird kühler. Die Besichtigungstour im Hause Ude führt nun in den Keller, der auch einer der wenigen in der Stadt noch erhaltenen Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg ist. "Der Keller ist die größte Besonderheit des Hauses. Wir wollten den Charakter des ehemaligen Luftschutzkellers erhalten."
Zwei Stahltüren hintereinander, Ude klopft dagegen, ein blechernes Geräusch, dahinter eine Gasschleuse. Sie sollte einst dazu dienen, bei einem Angriff mit Giftgas zu schützen.

Heute sind in dem Zwischenraum an den Wänden die Titel-Plakate diverser Medien und Udes persönliche Schlagzeilen verewigt: "Ude zapft an - mit zwei bis drei Hieben", "Exklusiv! OB Ude: Mein Freund, der Monaco Franze". Über den Titelblättern thront ein Bild auf Leinwand, von Ude als Zeitungsverkäufer, beim Derblecken zum 50. Geburtstag der Abendzeitung.

Zwei weitere Stahltüren, harte Kellerfliesen unter den Füßen, dann ein als urige Wirtsstube eingerichteter Raum, in den Gewölben des ehemaligen Luftschutzbunkers. Wöchentlich wird der Ort genutzt, für politische Veranstaltungen, literarische Lesungen, Familien- und Bewohnerfeste, Vereinstagungen, etwa von der Lach- und Schießgesellschaft. Ude hatte mit dem Förderverein "Laden-Hüter" maßgeblich dazu beigetragen, dass die zu der Zeit insolvente, 1956 von Dieter Hildebrandt und Sammy Drechsel gegründete Kabarettbühne, bestehen bleibt und 2024 wieder öffnen konnte.
"Für ein dörfliches oder heimatkundliches Museum hätte ich genug Material"
21 Oktoberfest-Maßkrüge, Holzkunst von Ernst Hoferichter, eine Simplicissimus-Ausgabe, ein Ziegelstein von dem ersten jüdischen Gebäude in München, gefunden bei den Ausgrabungen am Marienhof, auf Regalen. Originalplakate von Franz von Stuck, oder von Hundertwasser zu den Olympischen Spielen 1972 an den Wänden. "Für ein dörfliches oder heimatkundliches Museum hätte ich genug Material", meint Ude. Lachfalten zieren sein Gesicht.

Parkettdielen knarzen wieder. Dann öffnet Christian Ude die Haustüre zu seiner Sechs-Zimmer-Wohnung mit 200 Quadratmetern Fläche. Rechts ein langer Flur, gefüllt mit sich aneinanderreihenden Bücherregalen. Dahinter Arbeits- sowie Schlafzimmer, Küche und Bad. Links das Esszimmer, verbunden mit dem Wohnzimmer.
Dort setzt sich der ehemalige Bürgermeister auf eine schwarze Ledercouch. Um ihn herum in Regalen, Schränken und an den Wänden überall Unikate, Erbstücke, Geschenke, auf Flohmärkten Entdecktes, Gemälde - "unser Museum".

All die Dinge, die ihn umgeben, machen Ude stolz - auf seine Vergangenheit, als OB, Journalist, Autor, Anwalt, Kabarettist. Oder lassen ihn erinnern - an Erlebnisse, Reisen mit seiner Frau. Der Einrichtungsstil ist "weder minimalistisch, noch hypermodern oder antiquiert, hier gilt das Prinzip: Was sagt uns das?".
Zu jedem Gegenstand kann Ude eine Geschichte erzählen
Zu dem Wahlplakat über dem Sofa. Es wurde schon vor der Wahl 1993 gestaltet, von Rupprecht Geiger, mit der Aufschrift "Ude bleibt OB". Zu dem Buddha, der für die Liebe zu seiner Frau steht. Zu dem Original- Gussabdruck eines kleinen Fingers der Bavaria. Zu der Löwenpfote als Auszeichnung für seine Anwaltsarbeit "gegen Spekulanten und Mietervertreiber und für die Erhaltung preiswerten Wohnraums in München". Zu dem Leichtholzkrokodil, zu der Holzfigur in kurzen Hosen von einer Afrikareise, die Ude an Hoferichter erinnern lässt.


Abschließend zeigt Ude im Esszimmer eine Malerei von Herbert Achternbusch. "Er hat einen riesigen Scheißhaufen gemalt, darauf sitzt ein Geldesel, daneben ist klein die Frauenkirche gezeichnet worden." Eine Kritik zur Hochhauspolitik.

Dann ist der Rundgang vorbei. "Der Rest ist privat", sagt Ude. Zum Abschied winkt seine Frau aus dem Schlafzimmerfenster.