Sklaven in München: Das Los bulgarischer Bauarbeiter
MÜNCHEN - In ihrer Heimat Bulgarien verdienen sie höchstens 300 Euro – wenn es dort überhaupt Arbeit gibt. Deshalb verließen 39 Bauarbeiter ihre Familien, um in München auf Baustellen zu schuften. 60 Stunden die Woche. Doch schon nach einem Monat gab’s kein Geld mehr.
Ventsislav Kanchev braucht gar nicht nach Hause zu kommen. Seine Frau will ihn nicht, so ganz ohne Geld – was sollen die Kinder essen? Ventsislav kann das verstehen, ist aber machtlos. Der kräftige Mann mit der kupfernen Haut und den buschigen schwarzen Haaren kam nach München, um Geld zu verdienen. Jetzt hat er seinen Job verloren und sie zwingen ihn wieder heim, zu seiner wütenden Frau und einem Winter ohne Arbeit. Der Bauarbeiter wurde beschissen. Er weiß nur nicht, von wem.
Vor drei Monaten hatte Ventsislav weniger Sorgen: Im August steigt er in seiner Heimatstadt Veliko Tarnovo, 67 000 Einwohner, 241 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Sofia, in einen Bus Richtung München. Sein Vertrag verspricht ihm einen Lohn von 1500 Euro netto im Monat. Sein Arbeitgeber ist die bulgarische Firma Altona, die wiederum vom Freilassinger Generalunternehmer Max Aicher GmbH & Co. KG engagiert wurde.
Sein Arbeitsort: der Rohbau des Vier-Sterne-Hotels „Leonardo Royal“ an der Moosacher Straße. Eine Münchner Immobiliengruppe hat das Grundstück von der Knorr-Bremse gekauft, Israels größte Hotelgruppe Fattal ist der Betreiber. Ende 2010 soll das Leonardo stehen.
1500 Euro für 60 Wochenstunden Arbeit
Tagsüber baut Ventsislav mit 38 weiteren Bulgaren Verschalungen und gießt Beton hinein, abends sitzt er in einen der 18 blauen Container an der Moosacher Straße, raucht und denkt an seine Söhne (8 und 12). Dann wieder Maloche, 60 Stunden die Woche, manchmal mehr.
Im August bekommt er die vereinbarten 1500 Euro netto – ein Stundenlohn von rund sechs Euro. Der Mindestlohn in der Baubranche beträgt neun Euro netto, auch für Ausländer. Ventsislav und seinen Kollegen ist das egal, in Bulgarien gibt’s noch viel weniger.
Mitte Oktober aber bekommen sie gar nichts mehr. Der Bauleiter der Firma Altona sagt, die „Deutschen“ von Max Aicher hätten nichts überwiesen. Ventsislav glaubt das, hat aber ein Problem: Was soll er essen? Er hat sein ganzes Geld nach Bulgarien geschickt. Den anderen geht’s genauso. Nach der Arbeit schleichen sie ins Olympiadorf und wühlen in Abfalltonnen nach Essen. Todor Colakov (52) erzählt, dass er abgelaufenes Brot vom Tengelmann und schimmelige Kartoffeln vom Netto essen musste. Ein anderer biss in eine alte Salami aus dem Wegwerfcontainer. Ventsislav hat mehr Glück: Sein Kumpel Nikola (42) hat noch etwa 700 Euro, er teilt mit ihm.
Die Bulgaren werden rausgeworfen - und bekommen noch 150 Euro
Das Geld reicht bis zum 24. Oktober, dann zwingt sie der Hunger, sich zu wehren. 15 Männer gehen zur Polizeiwache an der Moosacher Straße und erzählen den Beamten, dass sie wie Sklaven schuften und wie Hunde essen. Am vergangenen Montag durchsuchen Fahnder der Finanzgruppe Schwarzarbeit des Münchner Hauptzollamts den Bürocontainer von Altona und befragen die 39 Arbeiter, zwei Poliere, den Bauleiter und einen Übersetzer bis spät in die Nacht.
Jetzt ist alles raus, den Bulgaren bringt das aber nichts. Die Max Aicher GmbH hat Altona am 24. Oktober gekündigt, am Montag, den 26. Oktober, ziehen schon neue Arbeiter auf der Baustelle ein, als Ersatz für die Bulgaren. „Die Arbeit muss ja weitergehen“, sagt Aichers Anwalt. Die Bulgaren rücken zusammen, teilen sich zu fünft einen Container.
Bis Donnerstag schläft Ventsislav auf vier Holzstühlen – dann lädt man ihn um 14 Uhr in einen Bus nach Veliko Tarnovo. Im Bauleiterbüro drückt ihm ein Aicher-Mann einen Hundert- und einen 50-Euro-Schein in die Hand, Ventsislav bestätigt per Unterschrift. Alles ganz korrekt. Er hat aufgegeben, wo soll er sonst hin – verzweifelt ist er trotzdem: „150 Euro, das ist nichts! Bei uns gibt es im Winter keine Arbeit auf dem Bau. Erst hungern wir hier, jetzt hungern wir dort.“
Ein Geschäftsführer sitzt in Haft, der andere in Bulgarien
Ob die „Deutschen“ an all dem Schuld sind, ist unklar. „Im Moment gibt es keine Ermittlungen gegen Max Aicher“, sagt der Sprecher des Hauptzollamts München, Thomas Meister. „Wir müssen aber erst alle Unterlagen durchsehen.“ Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit nur gegen Altona wegen Lohnwuchers. Einer der beiden Geschäftsführer, Dimo B., sitzt in U-Haft. Der zweite, Nanko B., sitzt in Bulgarien und schiebt die Schuld auf die Max Aicher GmbH & Co. KG. Der bulgarischen Zeitung „Trud“ sagte er, Aicher habe sich über Baumängel beschwert und die Zahlungen plötzlich eingestellt – mit welchem Geld hätte er seine Arbeiter da bezahlen sollen?
„Nanko B. ist ein Lügner“, sagt der Geschäftsführer der Bausparte von Max Aicher, Rupert Helminger. „Wir haben der Altona insgesamt 709 000 Euro gezahlt – das sind für jeden Arbeiter 3310 Euro brutto im Monat. Der B. braucht sich überhaupt nicht rauszureden.“ Max Aicher habe sogar die Sozialbeiträge und Zahlungen an die Urlaubskasse direkt überwiesen, außerdem habe man eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von Altona erhalten – die besagt, dass der Sub-Unternehmer die Lohnsteuer bis Ende Oktober korrekt abgeführt hat. „Die liegt dem Zoll vor“, sagt Helminger. Damit sei seine Firma aus dem Spiel: „Wir haben darauf geachtet, dass die Männer ihr Geld bekommen.“
Wohin wieviel Geld floss und was jeder Einzelne damit machte, müssen Zoll und Staatsanwaltschaft klären. Ob die Bulgaren ihren Lohn bekommen, ist unklar, eine Anwältin will sich darum kümmern. Ihre Würde kriegen sie so aber auch nicht zurück.
Thomas Gautier