Sex-Shop-Besitzerin im AZ-Interview: Charlotte Binder - Draußen grüße ich Kunden nie

Charlotte Binder führt den Sex-Shop im Tal seit fast 30 Jahren. Bald wird aber Schluss sein – AZ hat mit ihr gesprochen.
von  Irene Kleber
Seit fast drei Jahrzehnten betreibt Charlotte Binder den Sex-Shop im Tal. Wir haben sie besucht - klicken Sie sich durch!
Seit fast drei Jahrzehnten betreibt Charlotte Binder den Sex-Shop im Tal. Wir haben sie besucht - klicken Sie sich durch! © Daniel von Loeper

München - So gar kein Blick dringt durch den roten Vorhang in der Passage im Tal. 1972 hat hier der "Sex-Shop" mit einem versteckten Lustfilmchen-Kino aufgemacht, den es immer noch gibt. Vor 30 Jahren hat ihn die damalige Zahnarzthelferin Charlotte Binder (65) übernommen – weil damit erfreulich viel Geld zu verdienen war.

In vier Wochen läuft der Mietvertrag aus, dann ist Schluss mit der kleinen Welt aus Sexspielzeugen, DVDs, Lustpillen und Dauerkino. Die Vermieterin mag ein "seriöseres" Geschäft dort haben. Ein AZ-Gespräch zum Abschied.

AZ: Grüß Gott, Frau Binder, Sie sind aber ganz schön versteckt hier hinterm Vorhang.
CHARLOTTE BINDER: Ja, freilich. Hier sind wir schön unter uns, gell. Es mag sich ja nicht jeder Kunde beim Hereingehen so genau zuschauen lassen.

So sündig schaut's hier doch gar nicht aus. Ist es heute noch peinlich, in einen Sexladen zu gehen?
Es kommen oft Paare miteinander, für die ist das einfach lustig. Genauso bei Freundinnengruppen, ein Viertel meiner Kunden sind ja Frauen. Aber wenn die Münchner Herren einzeln kommen? Da sind ja viele auch aus der Nachbarschaft. Da ist man schon lieber diskret.

Man kennt sich?
Sicher. Zu mir kommt fast jeder aus der Gegend hier. Anwälte, Direktoren, Richter, Handwerker, Büroleute, auch viele Münchner aus anderen Vierteln. Und Touristen aus Südtirol, Australien oder den Emiraten. Das fängt bei 18-Jährigen an und hört bei 92 auf.

Gerade geht's hier ja zu wie am Stachus. Ist mittags immer so viel los?
Freitagmittag sowieso. Da kommen 50, 60 manchmal 70 Münchner Herren aus der Arbeit.

Die wollen alle ins Sex-Kino?
Klar, und dann gehen sie entspannt heim ins Wochenende.

Hinten im Laden führt diese schwarz lackierte Tür ins Kino. Dort laufen täglich drei neue Erotikfilme. Für: 9,50 Euro schaut man, so lang man will.
Hinten im Laden führt diese schwarz lackierte Tür ins Kino. Dort laufen täglich drei neue Erotikfilme. Für: 9,50 Euro schaut man, so lang man will. © Daniel von Loeper

Die Filmchen kann man doch daheim im Internet auch schauen.
Schon. Aber daheim hat man nicht immer seine Ruhe. Und so ein kleiner Bildschirm ist doch langweilig im Vergleich zu einer Großleinwand. Manche Herren nehmen sich danach auch noch einen Vibrator, Liebeskugeln oder eine Liebescreme für die Ehefrau mit.

Aha. Sind viele verheiratet?
90 Prozent.

Woher wissen Sie das?
Weil ich gerade für die Stammkunden keine Verkäuferin bin oder ein Sexobjekt, sondern ein Spezl. Wir ratschen ja viel.

Kann es sein, dass Sie mehr über die Münchner wissen als die Psychologen in der Nachbarschaft?
Logisch. Wir sind hier sehr familiär. Ich weiß alles über die Eheprobleme, die Kinder, die Schwiegereltern, den Urlaub, den Ärger in der Arbeit oder wo sie ihr Geld verstecken. Bloß dass ich nicht so nachbohre wie ein Psychologe, ich nehm die Geschichten mit mehr Humor.

Was machen Sie, wenn Sie Ihren Kunden auf der Straße begegnen?
Da kenne ich natürlich nie einen. Ich grüße nie!

Gab's noch keine, sagen wir, skurrile Begegnung?
Doch. Letzten Sommer im Biergarten hat der Kellner meinen Mann und mich zu einer Frau gesetzt, mit der wir eine nette Unterhaltung angefangen haben. Dann ist ihr Mann mit zwei Hellen an den Tisch zurückgekommen, und ich dachte: um Gottes Willen, der..! Der arme Kerl hat mich angeschaut wie ein Geist, sich dazugesetzt, furchtbar geschwitzt und kein Wort rausgebracht. Weil, was die Frau uns über ihre Kinder und den Urlaub erzählt hat, das habe ich natürlich alles schon gewusst. Die wollte gar nicht mehr von uns weg und danach sogar Nummern austauschen...

"Hautfarbene Plastikpenisse – schön waren die nicht"

Jetzt schauen wir mal 30 Jahre zurück, als Sie hier angefangen haben. Was waren denn da Ihre Verkaufsrenner?
In den 1990ern waren das eindeutig die Magazine. Ich hab an die 600 verschiedene Hefte hier gehabt. Und VHS-Kassetten. Aber das zieht natürlich überhaupt nicht mehr. Damals haben sich auch hautfarbene Plastikpenisse mit Batterien gut verkauft, schön waren die ja nicht. Und Sexpuppen waren gefragt.

Wundern Sie sich manchmal noch über Ihre Kundschaft?
Schon. Neulich hat ein Mann mir seine neue aufgeblasene Sexpuppe nach 14 Tagen wütend auf die Kasse geschmissen. "Ich tu da rum", hat er gesagt, "und des Weib geht ned." "Ja, wos geht denn ned", hab ich ihn gefragt. Der hat im Ernst gedacht, die Puppe müsste mit ihm sprechen.

Was hätte die denn sagen sollen?
Ja, aaahhh und ooohhh!

"Die Lust findet im Kopf statt"

Ach so.
Ein Paar, das regelmäßig kommt, um einen neuen Vibrator zu kaufen, spielt immer das Spiel, dass er ihr erst eine Watschn geben muss, bis sie sich für ein Modell entscheidet.

Gehört das zum Liebesspiel?
Glaub schon. Die haben inzwischen schon zwölf Vibratoren gekauft. Und ein Mann, der Hausverbot bei mir hat, hat neulich versucht, sich mit einer Perücke hereinzuschleichen.

Wieso hatte er Hausverbot?
Weil er auf dem Weg hinter ins Kino immer Sexpillen aus dem Regal geklaut hat.

"Frau Doktor kann's nicht lassen ein": Im Ausverkaufs-Wühlkorb finden sich noch allerlei Film(chen)titel aus diversen Jahrzehnten.
"Frau Doktor kann's nicht lassen ein": Im Ausverkaufs-Wühlkorb finden sich noch allerlei Film(chen)titel aus diversen Jahrzehnten. © iko

Viagra haben Sie auch?
Nein, das gibt's nur in der Apotheke. Ich verkaufe als Aphrodisiaka nur pflanzliche Sachen wie Spanische Fliege.

Und das macht dann ganz wuschig?
Wenn man dran glaubt, schon. Die Lust findet ja eh im Kopf statt.

Wie haben Sie eigentlich den Internet-Bestellboom im letzten Jahrzehnt mit dem Laden überlebt?
Als das losging, dachte ich erst, das ist eine Katastrophe. Ich hatte schlagartig einen echten Einbruch in meinem Geschäft. Aber nach drei Jahren waren die Kunden alle wieder da. Denen hat einfach das Menschliche gefehlt. Ich habe dann nie einen Onlineshop gebraucht.

Hat der Hype um den Sado-Maso-Bestseller "50 Shades of Grey" ihr Geschäft angekurbelt?
Gar nicht, ich habe eine kleine, harmlose SM-Ecke mit ein paar Plüschhandschellen, Fesseln und Federpeitschen. Das echte Lack- und Leder-Publikum geht in Fachgeschäfte. Die Sachen müssen ja sehr gut sitzen und sind dann richtig teuer.

Heute sind viele Sextoys niedlich bunt und technisch ausgefeilt. Was empfehlen Sie denn den Frauen so?
We-Vibes, das sind Klitoris-Kitzler, mit denen kommt man ruckzuck in den Lust-Himmel. Oder den Womanizer, der funktioniert auch super, mit Druckwellen.

Bei den Scheichs ist geschlossene Gesellschaft

Was ist Ihr bestverkauftes Spielzeug aus der Herren-Ecke?
Die Penis-Pumpe.

Das ist jetzt aber kein so ganz sexy Verkaufsname.
Aber ein Renner. Das ist ein Trainingsgerät, das den Muskel trainiert. Wenn man das ein halbes Jahr übt, schaut's beim Mann untenrum schon ganz anders aus. Ich kriege manchmal Vorher-Nachher-Fotos und darf da ja nie lachen, weil das eine ernste Sache ist. Aber da sieht man schon einige Zentimeter Größenunterschied.

Vorhin sagten Sie, Sie hätten viel Kundschaft aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Zu meinen Lieblingskunden gehört ein älterer Scheich, der ganz in Weiß kommt, mit seinem Sohn und dem Enkel. Der Opa ist ein stattlicher Mann. Er tippt mit einem goldenen oder einem silbernen Stab alle Artikel an, die er haben will. Lauter Spielzeuge für Frauen. Der Enkel stapelt sie an der Kasse, der Sohn zahlt - und abholen tut alles der Hotelpage.

Von welcher Summe reden wir da pro Besuch?
Mindestens 1.000 Euro. Die Ladys aus den Emiraten kommen übrigens immer abends nach acht. Zu dritt, zu viert, zu fünft. Da sperre ich vorn den Laden zu. Geschlossene Gesellschaft.

Und was passiert dann so Geheimes?
Die Damen probieren Wäsche. Das ist immer sehr lustig. Sie lieben Modelle mit viel Spitze und Rüschen.

Nicht das, was die Münchnerinnen tragen, gell?
Die Münchnerinnen sind viel praktischer. Da soll nix zwicken, das regt sie auf, wenn man lange herumzupfen muss, und sie brauchen Strümpfe, die von selber halten.

Was machen Sie denn mit all den Sachen, die Ihnen in vier Wochen übrigbleiben?
Ich gebe am Ende alles für den halben Preis weg. Die Videos und meine letzten fünf Sexpuppen kriege ich wahrscheinlich nicht mehr los. Vielleicht will sie ein Mitbewerber. Aber die alten Schilder überm Kino und die großen Plakate, die haben sich schon Stammkunden reserviert. Denen geb ich das gern, so haben sie wenigstens ein bissl eine Erinnerung an mich.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.