Selbstmord: Abmahn-Anwalt ist tot
SCHWABING - SEK-Einsatz in Schwabing: Der bekannte Jurist Günter Freiherr von Gravenreuth erschießt sich im Haus einer Studentenverbindung - unmittelbar bevor er seine Gefängnisstrafe antreten musste.
Der Anwalt Günter Freiherr von Gravenreuth (†61) war eine schillernde Figur in der deutschen IT-Branche: Er war ein erbarmungsloser Jäger von Raubkopierern und heftig angefeindeter Spezialist für Massen-Abmahnungen im deutschen Web. In den 90er Jahren versandte er als angeblich 13-jährige Tanja Briefe, mit der Bitte um Software-Tausch. Wer darauf einging, wurde von Gravenreuth abgemahnt oder angezeigt. Neben seinem unerbittlichen Verfolgungseifer galt der Münchner gleichzeitig als glänzender Jurist. Er veröffentlichte viel Fachliteratur und hatte ein Fachhochschul-Diplom in Maschinenbau. Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich gestern wie ein Lauffeuer in den einschlägigen Internetforen und über das Netzwerk Twitter.
Freiherr von Gravenreuth agierte im juristischen Grenzbereich – und geriet selbst ins Zwielicht: Er wurde wegen 60-facher Urkundenfälschung, Untreue und versuchten Betrugs verurteilt. Unter anderem soll er zu Unrecht Mandantengelder einbehalten haben.
Ein juristischer Streit mit der Berliner „taz“ brachte ihm schließlich 2008 zusammen mit seinen offenen Bewährungen aus anderen Verfahren eine 14-monatige Gefängnisstrafe ein. In einer Aufsehen erregenden Aktion hatte Gravenreuth den Domain-Namen der taz beschlagnahmt und angekündigt, ihn zu versteigern. Begründung: Die taz schulde ihm Geld - was aber nicht stimmte.
Nach dem Urteil bat der Freiherr um Aufschub, um seine Kanzlei-Angelegenheiten zu ordnen. Gleichzeitig jagte er wie besessen weiter: Vor zwei Wochen zeigte der 61-Jährige die Steuerfahnder in Wuppertal an, die für den Ankauf der Steuer-CD verantwortlich sind. Begründung: Die Daten der Steuersünder seien urheberrechtlich geschützt, die CD eine Raubkopie.
Doch die Zeit lief dem Freiherrn davon, sein Haftantritt rückte immer näher. Die Gefängnisstrafe bedeutete auch, dass er seine Zulassung verlor. Seine Zeit als Anwalt war vorbei.
In der Nacht zum Montag sah der kinderlose 61-Jährige keine Zukunft mehr für sich. Ein User namens „cd“ schrieb im Internet-Forum „gulli.com“, um 1.15 Uhr habe er sich von seinen Freunden mit einem „letzten Gruß in die Runde“ verabschiedet und angekündigt, dass er sich nun erschießen werde. Als Motiv nannte er eine Vielzahl privater Gründe.
Ein Empfänger der Todesnachricht informierte die Polizei. Da bekannt war, dass der Anwalt rechtmäßig eine Pistole besitzt, rückte das Spezialeinsatzkommando aus. Die Polizisten fanden Günter von Gravenreuth im Haus der Studentenverbindung Rhaetia in der Luisenstraße nahe des Königsplatzes. Der Anwalt war seit seiner Studienzeit in der – nicht schlagenden – katholischen Studentenverbindung. Ihr Wahlspruch lautet: „Cum fide virtus“, die lateinische Umformung des Wittelsbacher Hausspruchs „In Treue fest“.
Doch diese lebenslange Freundschaft und Zugehörigkeit sollte für Gravenreuth nicht mehr gelten. Nach AZ-Informationen sollte der Anwalt wegen schädigenden Verhaltens ausgeschlossen werden.
Von Gravenreuth erschoss sich im Gemeinschaftsraum der Verbindung, als die Polizisten in das Gebäude eindrangen. Der Notarzt konnte nichts mehr für ihn tun.
Auf der Homepage von Gravenreuths Kanzlei steht seit gestern seine Todesanzeige. Sonst nichts mehr. Nina Job