Interview

"Seit fünf Jahren nicht berührt": Warum Männer in diesem Münchner Massagestudio weinen

Früher hat Stefan Treuer (60) als Händler für Designmöbel gearbeitet. Heute betreibt er ein Massagestudio nur für Herren in Bogenhausen. Wie es dazu kam und was er insbesondere einsamen Männern mit seinem Konzept bieten will – die AZ hat mit ihm gesprochen.
Sophia Willibald
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Stefan Treuer in seinem Studio "Titurel“ in Bogenhausen. Den "Berührungsraum“ hat er in Schwarz und Grau eingerichtet.
Stefan Treuer in seinem Studio "Titurel“ in Bogenhausen. Den "Berührungsraum“ hat er in Schwarz und Grau eingerichtet. © Sophia Willibald

Der Münchner Stefan Treuer (60) betreibt in Bogenhausen ein Massagestudio nur für Männer. Weil er festgestellt hatte, dass viele Herren sehr einsam sind – egal wie alt sie sind und egal wie sie sich sexuell definieren. Die AZ sprach mit ihm über Einsamkeit, Wünsche und was eine Massage alles auslösen kann.

AZ: Herr Treuer, Sie haben dieses Jahr Ihr Studio Titurel in der Titurelstraße 12 eröffnet. Das ist speziell für Männer. Warum haben Sie sich für diesen Fokus entschieden?
STEFAN TREUER: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer sich oft unter Gleichgesinnten leichter öffnen können –ähnlich wie Frauen es unter Frauen tun. Dabei geht es nicht um etwas Sexuelles, sondern um Achtsamkeit und ganzheitliche Berührung.

Masseur Bob Wu (35) bei einer Anwendung. Er hat in Bangkok in einem Kloster Massageerfahrungen gesammelt.
Masseur Bob Wu (35) bei einer Anwendung. Er hat in Bangkok in einem Kloster Massageerfahrungen gesammelt. © StudioTiturel

Was kann man sich denn unter so einer Massage bei Ihnen konkret vorstellen?
Wir, also mein Team und ich, beziehen nicht nur klassische Massagebereiche mit ein, sondern auch Brust, Oberschenkel, Kopf, Fuß – also alles, was dem Körper guttut und ihm Wohlbefinden schenkt. Gerade Menschen, die sich im eigenen Körper unsicher fühlen, zum Beispiel wegen ihres Bauchs oder anderer Körperstellen, finden bei uns Raum. Auch viele Männer, die ihre Homosexualität nicht offen leben, kommen zu uns.

Es klingt, als würde hinter Ihrem Konzept mehr stecken als ein klassisches Massageangebot. Ist Ihr Studio auf eine bestimmte sexuelle Orientierung ausgerichtet?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind explizit gay-friendly, aber auch offen für heterosexuelle Männer, non-binäre Menschen – eigentlich für alle, die einsam sind oder sich nach Berührung sehnen. Es geht uns nicht um Sexualität, sondern um Nähe, Menschlichkeit und echte Verbindung. Unser sogenanntes Achtsamkeits-Studio ist ein Ort, an dem sich Menschen wohlfühlen, egal ob jung oder alt, offen oder noch im Verborgenen lebend.

"Die Einsamkeit ist viel größer als wir erwartet hatten"

Sie erwähnen Einsamkeit – wie erleben Sie die konkret bei Ihren Klienten?
Die Einsamkeit ist viel größer, als wir erwartet hatten. Viele unserer Gäste sind zwischen 25 und 30 Jahre alt und fühlen sich sehr isoliert. Manche haben ihr Coming-out spät oder werden familiär nicht akzeptiert. Gerade in einer großen Stadt wie München ist es erschreckend, wie wenige Menschen echte Nähe erfahren. Das betrifft auch ältere Menschen, die keine Familie mehr haben. Manche unserer Klienten haben schon seit fünf Jahren keine Berührungen mehr erlebt. Bei der Massage kommen oft starke Emotionen hoch, viele weinen. Berührungen sind ein Grundbedürfnis – fast wie bei Tieren, die gestreichelt werden.

Auch Fußreflexzonenmassagen werden angeboten.
Auch Fußreflexzonenmassagen werden angeboten. © StudioTiturel

Wie gehen Sie und Ihr Team damit um, wenn jemand anfangs noch sehr vorsichtig oder unsicher ist?
Wir schaffen einen geschützten Raum und nehmen uns viel Zeit. Vor jeder Massage gibt es ein ausführliches Vorgespräch, meist eine halbe Stunde. Dabei klären wir Erwartungen. Wir bieten keine Tantra-Massage an, sondern eine bodenständige, achtsame Berührung, die alle Körperbereiche respektvoll einbezieht – auch intime, ohne etwas anzufassen, was unangemessen wäre. Der Poppes kann zum Beispiel noch massiert werden, aber ab dann ist Stopp. Unsere Gäste unterschreiben eine Einverständniserklärung, damit Missverständnisse ausgeschlossen sind. Vertrauen und Respekt sind die Basis.

Im Studio gibt es auch einen Hometrainer und Boxhandschuhe

Ich sehe hier neben der Massageliege einen Hometrainer stehen – was hat es damit auf sich?
Hier können sich Gäste warm machen, wenn sie das möchten. Ich habe aber auch Boxhandschuhe zum Auspowern oder zum Frustabbau. Wir nehmen uns Zeit und gehen auf die Bedürfnisse der Gäste ein.

Wie viel kostet eine Stunde in Ihrem Studio?
60 Minuten Wellness-Massage kosten 80 Euro, 120 Minuten 160 Euro. 30 Minuten Fußreflexmassage kosten 40 Euro. Die Lomantra-Massage ist teurer als die anderen beiden, dort kosten 60 Minuten 100 Euro. Das ist ein Mix aus Lomi Lomi Nui, einer traditionellen hawaiianischen Massage und Tantra. Uns ist bewusst, dass sich nicht jeder jederzeit eine Massage leisten kann. Deshalb ist es uns besonders wichtig, dass finanzielle Mittel kein Hindernis darstellen. Menschen mit geringem Einkommen bieten wir deshalb Sonderpreise an.

Klangschalen sollen ebenfalls für Entspannung sorgen.
Klangschalen sollen ebenfalls für Entspannung sorgen. © StudioTiturel

Wie reagieren Ihre Gäste auf Ihr Angebot?
Viele kommen wieder. Anfangs sind manche unsicher, aber oft höre ich: "Endlich nimmt sich jemand Zeit für mich.“ Es entsteht ein kleines, feines Netzwerk – fast wie eine Familie. Außerdem wollen wir bald Treffen organisieren, etwa im Biergarten oder beim Sport wie Stand-up-Paddling oder Langlauf, um soziale Kontakte zu fördern und Berührungsängste abzubauen.

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