Seit 1874 Teil von München: Traditions-Gasthaus schließt seine Türen

Manch versteckte Perle unserer Stadt nimmt man erst so richtig wahr, wenn sie nicht mehr da ist. Nun verschwindet wieder so ein Highlight. Zum Jahresende schließt der Ratskeller unter dem Rathaus am Marienplatz seine Türen.
Ende einer Ära
50 Jahre hat die Familie Wieser die Traditionsgaststätte mit ihren vielen Stuben und Gewölben und über 1000 Plätzen betrieben. Zum Jahresende zieht der aktuelle Wirt Peter Wieser den Schlussstrich. In den nächsten Jahren stehen größere Sanierungen an, im Jahr 2032 muss dann das ganze Rathaus für eine Generalsanierung schließen. Das alles wollte sich der 69-Jährige nicht mehr zumuten und geht in den wohlverdienten Ruhestand.
Der Ratskeller ist ein fester Bestandteil der Münchner Stadtgeschichte. Im Jahr 1874 zieht die Stadtverwaltung in die ersten fertigen überirdischen Räume des Neuen Rathauses am Marienplatz – und das Wirtepaar Ernst und Franziska Steidl eröffnet darunter den Ratskeller. Später wird das Rathaus inklusive Keller erweitert.

Künstlerische Gestaltung
Die sechs Kreuzgewölbe des Bierkellers hatte der Künstler Ferdinand Wagner bemalt. Er erzählte dort in 48 Darstellungen die Geschichte des Biertrinkens und Münchner Geschichte.
Seit dem Zweiten Weltkrieg war davon nichts mehr zu sehen. Die Ausschmückung der Räume "Arche Noah" und "Sumpf" übernahmen mehrere Künstler. In allen Darstellungen ist das Thema Trinken humoristisch und mahnend zugleich dargestellt.

Vom Weinlokal zur Kultstätte
Der Ratskeller war zunächst als "Gaststätte für die gehobenen Weintrinker" gedacht. Heute kaum vorstellbar wurde Bier damals nur in der Flasche verkauft. Bereits im Jahr 1909 umfasste die Weinkarte 231 Tropfen. 1928 steht in der Stadtchronik, der Ratskeller sei "zu einer Stätte solider Trinkfestigkeit aufgestiegen" – und die Stadt profitierte von der Getränkesteuer.

Zwischen 1933 und 1945 galt das Neue Rathaus als zentraler Repräsentationsort der nationalsozialistischen Bewegung. Es wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Nach dem Krieg schloss der Ratskeller für ein Jahr. In den Jahren darauf wurden Teile immer wieder renoviert. Nach einer Generalsanierung übernahmen Christian Wieser und seine Frau Maria 1975 den neuen Ratskeller.

Ein letzter Abschied
Wiesers Sohn Peter und sein Schwiegersohn Toni Winklhofer waren ab 1986 Gesellschafter, ab 1996 führten sie die Gaststätte alleine. Die Familie Wieser machte den Ratskeller zur Anlaufstelle für Einheimische wie Touristen gleichermaßen. Von "Touristen-Abzocke" keine Spur. Die Speisekarte war typisch münchnerisch, die Qualität stets hoch.

Legendär waren die Faschingsfeste. Dafür nahmen die Münchner gerne in Kauf, sich in die lange Schlange quer über den Marienplatz für Tickets anzustellen. Der Wirtsgarten im Innenhof galt bis zuletzt als lauschiger Geheimtipp mitten in der Stadt. Mit der diesjährigen Silvester-Sause verabschiedet sich Peter Wieser von seinen Gästen.

Die AZ erreicht ihn Mitte Dezember. Zeit, über den Ruhestand nachzudenken hat er da nicht. "Hier ist die Hölle los", erzählt er am Telefon. Die AZ kann’s verstehen. Denn die Zahl derer, die noch ein letztes Mal in diesem besonderen Gasthaus sitzen wollen, ist groß.