Schulstart heute - und vor 40 Jahren
Die 62-jährige Carolina Rösner ist Rektorin der Grundschule an der Schäferwiese in Langwied. Im AZ-Interview spricht sie über den Schulstart heute und vor 40 Jahren.
AZ: Frau Rösner, wir groß ist der Einschnitt für die Erstklässler?
CAROLINA RÖSNER: Die größte Umstellung ist der Stundenplan. Im Kindergarten gab es zwar kleinere Einheiten, in denen man etwas zusammen machte. Jetzt müssen die Kinder sich aber für eine viel längere Zeit einer vorgegebenen Ordnung fügen.
Wie lange müssen Erstklässler am Stück still sitzen?
Da hat sich viel verändert. Der moderne Unterricht arbeitet viel mit Bewegung. Länger als 15 oder zwanzig Minuten sitzt man da nicht still. Man wechselt die Orte, wir machen zum Beispiel Sitzkreise oder ein Laufdiktat.
Wie geht das?
Die Kinder holen sich an der Wand, am Schrank oder an der Tafel Wörter ab, die sie sich merken sollen und gehen dann zur ihrem Platz zurück. Man weiß heute, dass Bewegung das Lernen fördert – Johann Wolfgang von Goethe hat auch nicht im Sitzen geschrieben, sondern an einem Stehpult, wo er auf und ab gehen konnte.
Was tun, wenn Erstklässler ungern zur Schule geht?
Wir singen viel, das ist genau wie Bewegung ein typischer Angstlöser. Und wir machen Kennenlernspiele, weil viele ja ihre Klassenkameraden vorher gar nicht kennen.
Sie sind seit vierzig Jahren im Dienst. Was hat sich Ihrer Meinung nach am stärksten verändert?
Die Gesellschaft. Heute haben wir deutlich mehr Kinder, die nicht in einer klassisch „heilen“ Familien aufwachsen. Und bei uns sind von 368 Kindern 200 im Tagesheim, also auch nachmittags betreut und zusätzlich noch 45 in der Mittagsbetreuung.
Bedauern Sie das?
Nein, das fördert die Kinder, und nach meiner Erfahrung leiden sie nicht darunter. Eine Mutter, die ihre Kinder immer mittags heimgeholt hat, hat sogar mal gesagt: Eigentlich sind die Kinder im Tagesheim die bevorzugten Kinder.
Was unterscheidet das Leben eines Sechsjährigen heute und vor zwanzig Jahren noch voneinander?
Die Kinder haben schon in der Grundschule ein Handy. Die Eltern machen das aus Angst, die Kinder sind im Grunde immer überwacht. Ich verstehe die Sorgen, aber ich denke, es gibt heute auf Elternseite einen gewissen Aktionismus.
Wie meinen Sie das?
Die Kinder haben kaum Zeit, die sie sich frei einteilen können, es geht am Nachmittag nahtlos mit Sport, Musik und anderem Programm weiter. Das bedeutet aber auch Anspannung, wie bei jedem Erwachsenen auch, der noch einen Termin hat. Für das freie Spielen bleibt zu wenig Zeit.
Langeweile gibt’s nicht mehr?
Wenn ein Kind heute sagt: „Mir ist langweilig“, wird es meistens sofort von den Eltern bespielt. Dabei kann Langeweile ja auch heißen, dass man sich etwas einfallen lässt, dass man kreativ wird.
Müssen Kinder heute mehr lernen?
Vom Pensum in der Schule her nicht. Aber der Leistungsdruck hat zugenommen. Eltern fürchten verständlicherweise um die Zukunft der Kinder. Spätestens in der dritten Klasse geht es mit dem Druck für das Übertrittszeugnis los. Die Hauptschule hatte ja ein katastrophales Ansehen. Wir hoffen, dass das mit den Mittelschulen besser wird.
Wie viel Hausaufgaben sind für einen Schulanfänger ok?
In der ersten Klasse sollte das nicht länger als eine halbe Stunde, maximal eine dreiviertel Stunde dauern. Am besten machen die Kinder das immer zu einer ähnlichen Zeit. Und nicht zu spät, denn sie sollen danach am Nachmittag noch den Kopf frei haben.
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