Schluss mit der Abrissbirne: München plant eine spektakuläre Bauwende

Mit jedem Abriss wird Baumaterial vernichtet, und jeder Neubau bedeutet auch mehr Ausstoß von CO2. Elisabeth Merk will deshalb in München künftig lieber um- statt neubauen – und zeigt Beispiele dafür.
Irene Kleber |
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Das Herzstück des Werksviertels ist das orange Werk 3 im ehemaligen Pfanni-Produktionsgebäude.
Das Herzstück des Werksviertels ist das orange Werk 3 im ehemaligen Pfanni-Produktionsgebäude. © Stefan Mueller-Naumann/Steidle Architekten

München - Über Jahre war "bauen, bauen, bauen" das große Credo in München, und gemeint war vor allem: Neubau. Jetzt scheint sich was zu drehen. Denn nicht nur die Baukrise – mit Insolvenzen und Stillstand an Baustellen – ist längst auch an der Isar angelangt. Es dreht sich immer mehr um die Frage, wie klimaneutral gebaut werden kann. Ohne viel Baumaterial zu verschwenden und mehr CO2 in die Luft zu blasen, als nötig.

"Müssen intensiver mit unseren Beständen umgehen": Was sich in München ändern soll

Eine Lösung wäre Umbauen statt Abreißen – und wie das gehen kann, hat die Bundesstiftung Baukultur bereits vor einem Jahr in ihrem Bericht "Neue Umbaukultur" in Berlin vorgestellt. Zum "Tag der Umbaukultur" (der am 8. November stattfindet) hat Stadtbaurätin Elisabeth Merk jetzt mit Architekten und Stadtplanern auch auf Umbau-Projekte in München hingewiesen.

Dazu gehört das Werksviertel am Ostbahnhof, aber auch das Bergson Kunstkraftwerk in Aubing oder der Hochbunker an der Blumenstraße. Und die Stadtbaurätin fordert: "Wir brauchen eine Bauwende. Wir müssen viel intensiver mit unseren Beständen umgehen." Heißt das, dass sie künftig häufiger Abrisse von Gebäuden verhindern will? "Ich möchte das lieber so formulieren", sagt sie zur AZ, "ich will Wendemöglichkeiten öffnen und öfter ja zu Genehmigungen sagen, wenn jemand einen spannenden Umbau wagen will."

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Umbau-Glanzstück in München: Das Werksviertel

Bis in die 1990er Jahre war es ein Industrieareal, vor allem mit der Kartoffelfabrik der Pfanni-Werke und den Optimolwerken. Dann wurde es als "Kunstpark-Ost" und "Kultfabrik" Münchens verrücktestes Ausgehviertel – mit Bars, Clubs und Flohmärkten in den früheren Industriegebäuden. Seit einigen Jahren entsteht im fast 40 Hektar großen Werksviertel am Ostbahnhof ein Stadtquartier, in dem alles möglich sein soll: Wohnen, Arbeiten, Kreativsein, Erholen, Kultur und Ausgehen.

Und etliche der ehemaligen Industriegebäude sind dafür erhalten und so umgebaut worden, dass man ihre ursprüngliche Nutzung noch gut erahnen kann. Werk 3 etwa, das orangefarbene, ehemalige Pfanni-Produktionsgebäude ist modernisiert und aufgestockt. Es hat heute Loftbüros, Handels- und Showroom-Flächen, Restaurants, Bars, Ateliers (und manchmal auch Schafe auf dem Dach).

Auf dem ehemaligen Kartoffelsilo ist das Werk 4 entstanden.
Auf dem ehemaligen Kartoffelsilo ist das Werk 4 entstanden. © Johanna Bilz

Das 86 Meter hohe Werk 4 ist auf dem alten Kartoffelsilo entstanden – oben ein Hotel, darunter Hostel, und das Kartoffelsilo ist nun Kletterhalle. Die Kartoffelhalle heißt nun Werk 7 und ist zur Veranstaltungshalle umgebaut. Und um die Musikbühne Technikum ist das Werk 13 dran- und draufgebaut.

Dort finden sich nun Loftbüros, Galerien, Handel, Gastro, Ateliers und Werkstätten. Für Stadtbaurätin Elisabeth Merk ist das Werksviertel ein Glanzstück der Umbaukunst.

Statt Abriss: Neue Bäder und Balkone in der "Alten Heimat" in Laim

Auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Gewofag und GWG, die 68.000 Wohnungen in München verwalten, können Umbau-Projekte vorzeigen. Die "Alte Heimat", zum Beispiel, eine Stiftungssiedlung in Laim, die Anfang der 1960er Jahre als kleines Dorf für rund 1000 Kriegsversehrte und ausgebombte Münchner gebaut wurde, ist über die letzten Jahre saniert worden – obwohl auch hier anfangs im Raum stand, es werde alles abgerissen.

Ebenfalls mit neuem Anstrich: die Alte Heimat in Laim.
Ebenfalls mit neuem Anstrich: die Alte Heimat in Laim. © Gewofag

Viele der in die Jahre gekommenen Wohnungen zwischen Zschokkestraße und Kiem-Pauli-Weg haben von der Gewofag einen neuen Anstrich, neue Bäder und auch Balkone bekommen. Dazu kommen seit 2020 mehrere Neubauriegel, die sich architektonisch in die alte Anlage einfügen, mit Pflegestützpunkten, einer Kita und einem Nachbarschaftstreff.

Am Harthof im Münchner Norden hat die GWG über die letzten 20 Jahre die Siedlung aus zwei- bis fünfstöckigen Zeilenbauten modernisiert, die in den 1950er Jahren als Sozialwohnungen für geflüchtete und wohnungslose Münchner gebaut worden waren. Einige der marodesten Gebäude sind aber abgerissen worden – für Neubauten.

Saniert und mit Neubau ergänzt: die Siedlung Harthof.
Saniert und mit Neubau ergänzt: die Siedlung Harthof. © © Oliver Heissner / www.oliverh

Rettung des Siemens-Hochhauses spart über 5000 Tonnen CO2

Beim ehemaligen Siemens-Hochhaus in Obersendling aus den 1960er Jahren mit 22 Stockwerken ist Elisabeth Merk schon in ihrem ersten Amtsjahr als Stadtbaurätin 2007 weitsichtig gewesen. "Ich habe dem geplanten Abriss damals nicht zugestimmt", erinnert sie sich. Das zahlt sich nun für ihre Bauwende aus.

Das alte Siemens-Hochhaus in Obersendling wird nun zum modernen Büroturm umgebaut.
Das alte Siemens-Hochhaus in Obersendling wird nun zum modernen Büroturm umgebaut. © Studio Henn

Nach 15 Jahren Leerstand wird es jetzt bis 2027 zum Büroturm "The Source" umgebaut. Damit werden über 33.000 Tonnen Beton vor dem Abbruch bewahrt und 5100 Tonnen CO2-Emissionen (die ein Neubau fordern würde) vermieden – so viel, wie ein Auto bei 30 Millionen Kilometern Fahrt ausstoßen würde.

Hochbunker an der Blumenstraße dient bald als Galerie

Es ist ein vergleichsweise kleines Umbau-Projekt, aber eins, das es in sich hat: Seit 2016 nutzen die Architekturgalerie und das Planungsreferat den ehemaligen Hochbunker aus der NS-Zeit an der Blumenstraße als Ausstellungsort.

"Um-wand-lung" ist rund um den Hochbunker an die Fassade geschrieben.
"Um-wand-lung" ist rund um den Hochbunker an die Fassade geschrieben. © Lina Goessing

Und bauen ihn schrittweise um. Erst kamen Fluchtwege, dann eine Zwischendecke raus und eine Treppe rein. 2024 soll die zwei Meter dicke Wand im Erdgeschoss (auch für ein Café) geöffnet und eine Heizung eingebaut werden.

Ein lange vergessener Ort: Das Bergson Kunstkraftwerk in Aubing

Das 25 Meter hohe Heizkraftwerk in Aubing aus den 1940er Jahren ist lange ein vergessener Ort im äußersten Westen Münchens gewesen.

Aus dem alten Heizkraftwerk in Aubing wird der Event-Tempel "Bergson Kunstkraftwerk".
Aus dem alten Heizkraftwerk in Aubing wird der Event-Tempel "Bergson Kunstkraftwerk". © Stenger2 Architekten und Partner mbB

Bis sich die Münchner Brüder Christian und Michael Amberger entschlossen haben, den Industriebau aus Mauerziegeln zum Kunst-, Gastro- und Event-Tempel mit Konzertsaal und Biergarten umzubauen. Der Name: Bergson Kunstkraftwerk. Im Frühjahr soll Eröffnung sein.

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28 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 07.11.2023 16:45 Uhr / Bewertung:

    Der Ansatz ist vollkommen richtig. Aus Alt mach Neu.

  • Der Schwabinger am 07.11.2023 16:04 Uhr / Bewertung:

    Die Chinesen lachen sich schlapp. Da wird soviel gebaut , wie in ganz Europa nicht .

  • Mobilist am 07.11.2023 17:38 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der Schwabinger

    Die Chinesen haben gerade nichts zu lachen. In Planung und Bau sind Wohnungen für 3 Milliaden Einwohner. Millionen haben ihre Wohnungen bereits bezahlt. Dummerweise sind die größten Immobilienfirmen pleite und am Abgrund.

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