Schlimmer Verdacht in Südbayern: Sklavenarbeit am Supermarktregal

Die zum Teil größtenteils illegal beschäftigten Männer und Frauen schufteten für einen Hungerlohn in Supermärkten in Oberbayern. Organisiert wurde das System von Subunternehmern, die für die Regalauffüller weder Steuern noch Sozialabgaben an den Staat abführten. Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaft München ermitteln gegen mehr als 70 Personen, darunter auch ein Mitarbeiter des betroffenen Lebensmittelkonzerns. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen sei von einem Schaden für die öffentliche Hand und die Sozialversicherungsträger von mindestens 20 Millionen Euro auszugehen.
Ein großes Netzwerk, das auf systematischer Ausbeutung basiert
Die verdächtigen Subunternehmen sollen systematisch Regalauffüller beschäftigt haben, die für ihre Arbeit nicht einmal den gesetzlich garantierten Mindestlohn bekamen. Zudem wurden die Leute nicht steuerlich beim Finanzamt und bei der Sozialversicherung gemeldet. Es handle sich um ein „größeres Netzwerk“ mit mindestens drei Tätergruppen, sagte Klaus Liebl, Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I, am Freitag bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium.
Supermärkte eines großen Lebensmittelkonzerns betroffen
Die Regalauffüller arbeiteten in verschiedenen Supermärkten in ganz Südbayern, darunter im Raum Weilheim, Murnau, Garmisch, eventuell auch in München. Wie weit verbreitet Sklavenarbeit an Supermarktregalen ist, lässt sich auch nach jahrelanger, zum Teil verdeckt geführter Ermittlungsarbeit bestenfalls erahnen. Die Ermittler sprechen von „der Spitze des Eisbergs“, das gesamte Ausmaß sei noch nicht abzusehen. Zuletzt durchsuchten etwa 50 Beamte von Zoll und Polizei zusammen mit drei Staatsanwälten in dieser Woche Büroräume des fraglichen Lebensmittelkonzerns, ein Steuerberaterbüro und drei Wohnungen in Gaimersheim, München und Unterammergau. Dabei wurden umfangreiche Unterlagen und digitale Speichermedien sichergestellt, so Klaus Liebl. Zugleich wurden Vermögenswerte in Form von Bankguthaben und Immobilien im Wert von etwa drei Millionen gesichert.
Erster Prozess gegen Hauptverdächtigen hat begonnen
Acht Haftbefehle hat die Staatsanwaltschaft bisher erwirkt, darunter auch gegen einen 53 Jahre alten Unternehmer aus dem Raum Garmisch. Ermittelt wird auch gegen einen Mitarbeiter des Lebensmittelkonzerns. Dieser sei für die Auftragsvergabe an die Subunternehmer verantwortlich gewesen, sagte Liebl. Ihm wird Beihilfe vorgeworfen, weil er von dem „System“ gewusst haben soll. Es gebe aber keinen Anfangsverdacht gegen einen Geschäftsführer, sagte der Staatsanwalt. Ein Hauptverdächtiger muss sich seit dieser Woche vor dem Landgericht München I verantworten, drei weitere Beschuldigte sitzen in Untersuchungshaft, weitere Verdächtige sind flüchtig. Den mehr als 70 Beschuldigten in dem Verfahren wird zudem das Einschleusen von Ausländern vorgeworfen. Viele der Regalauffüller stammen aus Afghanistan, die aufgrund ihres Status nicht in Deutschland hätten beschäftigt werden dürfen.
Ermittlungen begannen bereits 2020
Ausgangspunkt des gesamten Verfahrens waren – schon vor einigen Jahren – Schwarzarbeit-Kontrollen von Behörden aus Murnau und Weilheim in mehreren Supermärkten des Lebensmittelkonzerns in Südbayern. Später stießen die Ermittler auf weitere Tätergruppen. Manche der Regalauffüllerfirmen bestanden den Angaben zufolge nur wenige Monate – deshalb sei der Verdacht entstanden, dass es sich dabei um reine "Scheinunternehmen" gehandelt habe. Das "Geschäftsmodell" sei von anderen Tätern quasi kopiert worden – wobei die verschiedenen Tätergruppen nichts direkt miteinander zu tun gehabt hätten. Es sei ein System entstanden, das sich über die Jahre entwickelt habe, hieß es.