S-Bahnhof Marienplatz: Aktivisten verwandeln 23 Sitzbänke in "Schlafplätze"

Am S-Bahnhof Marienplatz haben Aktivisten die Armlehnen an Sitzbänken abgeschraubt, um auf die Situation Obdachloser aufmerksam zu machen. Die Deutsche Bahn wehrt sich gegen Kritik und kündigt eine Anzeige wegen Sachbeschädigung an.
von  AZ
Die Aktivisten betonen, dass sie sich "aus Wut über den Umgang mit Obdachlosigkeit" spontan zusammengefunden hätten.
Die Aktivisten betonen, dass sie sich "aus Wut über den Umgang mit Obdachlosigkeit" spontan zusammengefunden hätten. © privat

München - Seit rund drei Jahren gibt es sie jetzt - die Armlehnen, die die Deutsche Bahn damals am S-Bahnhof Marienplatz im Zuge der Umgestaltung auf den Sitzbänken anbrachte. Es gibt dort keine durchgängige Fläche mehr, sondern kleinteilige Plätze.

Aktivisten gehören nach eigenen Angaben keiner Partei oder Organisation an 

Am Dienstag haben selbsternannte Aktivisten diese in ihren Augen "defensive Architektur" entfernt, "um auf die Verdrängung von obdachlosen Menschen aufmerksam zu machen", wie es in einer entsprechenden Mitteilung heißt.

23 Sitzbänke verwandelten die Aktivisten im S-Bahnhof Marienplatz "in Schlafplätze".
23 Sitzbänke verwandelten die Aktivisten im S-Bahnhof Marienplatz "in Schlafplätze". © privat

Die Gruppe gehört nach eigenen Angaben keiner Partei oder festen Organisation an, sondern fand sich demnach "aus Wut über den Umgang mit Obdachlosigkeit" spontan zusammen.

S-Bahnhof Marienplatz: Gruppe verwandelt 23 Sitzbänke in "Schlafplätze"

In Arbeitskleidung habe man tagsüber die Armlehnen abgeschraubt und "so 23 Bänke im S-Bahnhof Marienplatz in Schlafplätze" verwandelt, weil die Armlehnen verhindert hätten, dass Menschen auf den Bänken übernachten können.

"Statt darauf zu warten, dass Parteien unsere Probleme lösen, nehmen wir die Dinge selbst in die Hand", lässt die Gruppe in einem anonymen Statement verlauten. "Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen, dass Geld da ist, wenn es benötigt wird. Statt allen Menschen das Grundbedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen, werden lieber 100 Milliarden an Steuergeldern für Aufrüstung und Militär ausgegeben. Dahingegen bleibt die prekäre Lebenssituation von obdachlos gewordenen Menschen während der Pandemie - wie auch sonst - oft unsichtbar." 

DB-Sprecher: Keine "defensive Architektur oder exkludierende Strukturen" 

Die Deutsche Bahn hatte die Armlehnen im Rahmen der Modernisierungsmaßnahmen in München seit dem zweiten Quartal 2019 in vielen unterirdischen S-Bahnhöfen installiert. Die Bahn wies damals Vorwürfe zurück, dass man damit Menschen daran hindern wolle, dass sie dort besonders im Winter Schutz vor Kälte und Nässe suchten.

"Grundsätzlich ist uns als DB an attraktiven Bahnhöfen gelegen, deswegen werden die Tunnelstationen der S-Bahn-Stammstrecke derzeit umfassend modernisiert und neugestaltet. Dabei geht es uns darum, den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, defensive Architektur oder exkludierende Strukturen passen nicht zu diesem Anspruch", sagte ein Bahnsprecher am Mittwoch auf AZ-Anfrage.

Man solle auf den "Wartemöbeln" gut sitzen können: Da Menschen "erfahrungsgemäß" und das nicht nur unter Pandemie-Bedingungen ungern nah neben Fremden sitzen würden, ermögliche die Armlehne das Platz nehmen in angenehmem Abstand zueinander. "Dies entspricht dem Standard für Wartemöbel und ist so auch an vergleichbaren Orten wie etwa Flughäfen der Fall", so der DB-Sprecher.

Zudem würden die Sitzbänke vor allem auch von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen genutzt. die Armlehnen dienten ihnen auch als Stütze beim Aufstehen und Hinsetzen.

Armlehnen: Für die Kundenzufriedenheit oder gegen Missbrauch zum Liegen?

Armlehnen, wie sie die Bahn verwendet, würden von Sub-Firmen damit beworben, dass Menschen dann dort nicht mehr liegen können, argumentieren hingegen die Aktivisten und weisen auf eine Broschüre der Firma Metra hin: "Die optionalen Armlehnen ermöglichen ein leichtes Aufstehen und verhindern gleichzeitig den Missbrauch zum Liegen."

Das Design richte sich nicht gegen Wohnungslose, wehrt sich die Bahn gegen die Vorwürfe. Der Sprecher betont: "Der Deutschen Bahn ist die Hilfe für Obdachlose seit jeher ein sehr wichtiges Anliegen. So engagiert sich die von ihr finanzierte Deutsche Bahn Stiftung gemeinsam mit ihrem langjährigen Partner, der Bahnhofsmission, für Menschen in schwierigen Lebenslagen und hilft Menschen ohne festen Wohnsitz."

Gruppe fordert "selbstbestimmtes Leben in Würde für alle wohnungslosen Menschen"

Die örtlichen Bahnhofsmanagements arbeiteten mit öffentlichen Trägern und lokalen sozialen Einrichtungen zusammen, um Obdachlose über Hilfsangebote zu informieren. Die entfernten Armlehnen werde man wieder an den Bänken anbringen, so der Bahnsprecher: "Die DB wird Anzeige wegen Sachbeschädigung erstatten."

Pro Bank habe man je eine einzelne Armlehne stehen lassen, teilten die Aktivisten mit, dadurch könnten Menschen, die darauf angewiesen sind, sie weiter zum Hinsetzen oder Aufstehen nutzen: "Da die Bänke recht lang sind, war dies problemlos möglich ohne dass dadurch der Schlafbereich zu kurz wird. Bei den Bänken in Treppennähe, die von Menschen mit eingeschränkter Mobilität bevorzugt genutzt werden, wurden die Armlehnen bevorzugt an den Bänken belassen."

Die Armlehnen verhinderten bisher, dass Menschen auf den Bänken übernachten können, argumentiert die Gruppe.
Die Armlehnen verhinderten bisher, dass Menschen auf den Bänken übernachten können, argumentiert die Gruppe. © privat

Es gehe bei der Aktion nicht nur um die einzelnen Bänke, betonten die Aktivisten: "Es braucht ein Umdenken zur Frage, wie wir als Gesellschaft mit Obdachlosigkeit umgehen wollen. Das Problem sei "das kapitalistische Wirtschaftssystem", das trotz Leerstand zu hohe Mieten und Wohnungsnot produziere und die Profitinteressen von Immobilieninhabern und Konzernen über die Bedürfnisse der Menschen stelle: "Wir fordern - weg mit dieser menschenfeindlichen Architektur! Wir fordern ein selbstbestimmtes Leben in Würde für alle wohnungslosen Menschen! Leerstand enteignen, Wohnraum für alle!"

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