Russe in München: "Europa hat es verschlafen"
München - Im Münchner Verein Gorod, wo ich arbeite, sind viele Münchner Mitglied, deren Wurzeln in ehemaligen Sowjetrepubliken liegen. Wir alle kennen die Geschichten der Menschen, die nach Westeuropa ausgewandert sind nur zu gut. Und die meisten sind sehr traurig wegen der aktuellen Entwicklung. Aber blickt man in die Vergangenheit, erkennt man auch ein Muster: Russland ist regelmäßig in ehemalige Sowjetrepubliken einmarschiert.
"Für Putin ist Krieg ein fast normales Mittel der Politik"
Kriege in Tschetschenien, Moldawien, Georgien, die Invasion auf der Krim: Für den russischen Präsidenten Vladimir Putin ist Krieg ein legitimes, fast normales Mittel der Politik. Und ich glaube, es geht ihm darum, langfristig seine Macht zu erhalten. Dass Russland nun in der Ukraine einmarschiert ist, wundert mich daher nicht. Es ist eine Tragödie für das Land, das seit Jahren unter dem Krieg mit den russischen Einheiten im Osten seines Staatsgebietes leidet.
Putin spricht oft von Russki Mir, vom russischen Frieden also, wenn er Kriege führt. Aber eigentlich zieht er nur Vorteile für sich selbst und für sein Umfeld aus diesen Konflikten. Da muss die Frage erlaubt sein: Wie kann Krieg zum Frieden führen? Und was bitte gibt es Schlimmeres als Krieg? Meine russischen Bekannten in Russland haben alle Angst davor, dass sich der Konflikt nun ausweiten könnte. Die russische Propagandamaschine läuft aber auf Hochtouren und erzählt natürlich das Gegenteil, dass die meisten Russen hinter der Politik Putins stehen.
"Mir macht diese Situation richtig große Sorgen"
Russland sollte sich im Optimalfall so schnell wie möglich zurückziehen, um den Frieden zu erhalten. Aber das ist nicht mehr realistisch. Europa hat das verschlafen, hätte Putin schon lange zuvor stoppen können. Ich glaube, der macht jetzt einfach weiter. Meiner Meinung nach wird er versuchen, die Lücke zur Krim zu schließen. Ich denke, dass die Soldaten also nach Süden vorrücken.
Mir macht das alles richtig große Sorgen. Russland ist schließlich auch eine Atommacht. Ich habe gar keine Zweifel, dass Putin im Ernstfall auch Atomraketen einsetzen würde. Ich glaube ehrlich gesagt, wir befinden uns jetzt in einer Art Weltkrieg.
Ein Weltkrieg gegen die Demokratie. Das alles wird weiter eskalieren und nicht so schnell enden. Es ist ja nicht einmal klar, in welchen genauen Grenzen Putin nun diese beiden Territorien in der Ostukraine anerkannt hat.
Putin macht es wie damals Hitler: Der hat ja erst Österreich annektiert und dann seine verheerenden Kriege begonnen. Ich glaube, Putin wird jetzt erst einmal die halbe Ukraine besetzen und dann - in vielleicht ein bis zwei Jahren - weitere ehemalige Sowjetrepubliken überfallen und in Russland eingliedern.
Er erträgt es nicht, dass viele dieser Länder inzwischen unabhängig sind.
Der Münchner Künstler und Musiker Wanja Belaga (52) kommt aus Moskau, seine Eltern aus der Ukraine. Die derzeitige Situation setzt ihm sehr zu.

"Ich bin sowohl in Russland als auch in der Ukraine verwurzelt. Meine Eltern stammen aus Kiew und Odessa, ich selbst wurde aber in Moskau geboren. Die aktuelle Situation macht mich sprachlos. Eigentlich wollte ich in absehbarer Zeit mit einem Freund noch nach Odessa fahren - diese Pläne sind nun natürlich ins Wasser gefallen. Meine Eltern haben unterschiedliche Ansichten zu dem Thema, für mich rücken Ursache und Schuld aber in den Hintergrund. In so einem Augenblick wird das alles unbedeutend. Es zählt nur, dass es passiert. Und das ist sehr aufwühlend."