Rhythmusgeber Herz
Sonny Rollins über seine erste Sax-Erfahrung, kosmischen Jazz und Zukunftspläne. Am Samstag spielt der Jazzer in der Philharmonie
Sonny Rollins ist einer der letzten lebenden Könige des Tenorsaxophons. Der Zwei-Meter-Hüne, geboren als Sohn karibischer Eltern im New Yorker Stadtteil Harlem, hat mit Größen wie Miles Davis, Bud Powell oder Thelonious Monk kooperiert. Sonny überlebte alle und alles: seine musikalischen Helden Heroin- und Alkoholmissbrauch sowie diverse Gefängnisaufenthalte.
AZ: Mr. Rollins, welche Beziehung haben Sie zu Ihrem Instrument?
SONNY ROLLINS: Ich erinnere mich daran, dass ich mit sieben Jahren mein erstes Saxophon zu Gesicht bekam. Einer meiner Onkel hatte es in einem Koffer unter seinem Bett liegen, er holte es für mich raus, öffnete die Scharniere des Koffers, ich sah das Glitzern des Instruments – von da an war es um mich geschehen! Nur wenige Wochen nach diesem Ereignis schenkte mir meine Mutter ein gebrauchtes Sax, ich nahm Unterricht an einer Schule in Harlem, hatte auch einen Privatlehrer – doch mein Instrument richtig kennen lernte ich erst, indem ich endlose Stunden lang darauf improvisierte. Ich kann mit dieser „Gießkanne“ das komplette Innenleben meiner Seele ausdrücken; sie und ich sind die perfekte Symbiose.
Das klingt beinahe nach einer religiösen Erfahrung.
Ich bin immer schon ein äußerst spirituell orientierter Mensch gewesen. So habe ich Yoga in einem indischen Ashram gelernt, in Japan habe ich den Buddhismus studiert – ich bin der ewig Grübelnde, Zweifelnde, Hoffende. Musik ist für mich der Schlüssel des Daseins, um mir die Welt ein Stück besser zu erklären.
Wie würden Sie den Begriff „Jazz“ persönlich definieren?
Ich bin mir sicher, Jazz ist die freieste, radikalste, herrlichste musikalische Ausdrucksform, um sich die Welt schön zu gestalten! Gerade weil einem der Jazz ein unglaubliches Maß an Überschwänglichkeit, Kreativität und Magie bietet. Er ist so natürlich wie das Atmen, wenn man sich erstmal auf ihn eingelassen hat – Zug für Zug stupst er dich voran in deiner Existenz.
Miles Davis, Thelonious Monk oder Bud Powell, mit denen Sie musiziert haben, sind mittlerweile tot. Ist es nicht ein trauriges Gefühl, einer der wenigen Überlebenden zu sein?
Gar nicht, weil ich in meinem Leben stets nach vorne geschaut habe. Doch in meinen Träumen kommen alle diese Genies – und Freunde – häufig vor und fragen mich, was ich vorhabe. Ich antworte ihnen dann immer lächelnd: Geduld, Freunde, ich bin bald bei euch. Aber im Moment habe ich eine Menge Spaß daran, hier auf der Erde mit einigen talentierten, jungen Leuten zu spielen. Ich bin mir ganz sicher, dass ich auch in meinem nächsten Leben Jazz spielen werde. Dafür ist mir diese Musik einfach zu wichtig, als dass sie sich in meinem Fall auf das Diesseits beschränken würde.
Melodien spielen in Ihrem Werk eine wichtige Rolle. Wie kommt das?
Meine Mutter stammt von den karibischen Jungferninseln, sie hat mir als Junge häufig Lieder aus ihrer Heimat vorgesungen, die allesamt vor Harmonien strotzen. Ansonsten: Was zeichnet eine Harmonie aus? Für mich, dass Musik im Einklang mit der Natur steht. Ich möchte in meiner Arbeit die Kontinuität der Tatsache umsetzen, dass jeden Morgen die Sonne auf- und am Abend wieder untergeht. Dass es mal regnet und mal schneit. Kraft einer Melodie akzeptiere ich den ewigen Lauf der Dinge, den Gott dieser Welt geschenkt und für uns Menschen vorgesehen hat. Als Jazzer muss ich mich darauf einlassen. Und wenn ich das tue, dann habe ich gar keine andere Wahl als Melodien zu spielen.
Wie würden Sie selbst die Art, wie Sie das Saxophon blasen, definieren?
Es gibt eine Menge – leider meist toter – Idole, von denen ich einiges abgekupfert habe. Doch letztendlich muss man stets auf sein Herz hören, wenn man spielt. Was einem dieser kleine, zähe Rhythmuslieferant befiehlt, dem muss man Folge leisten. So habe ich es stets gehalten.
Was sind die Zukunftspläne?
Eben erschienen ist eine Doppel-CD namens „Road Shows“, die Live-Aufnahmen aus 40 Jahren Karriere beinhaltet. Stücke, um die Fans mich seit langer Zeit bitten. Dann gehe ich auf Tournee. Danach kehre ich nach Hause zurück. Mache vielleicht ein weiteres Album. Gehe wieder auf Tour. Alles wie gehabt. Ich kenne kein anderes Leben. Denn es ist das schönste Leben, das ich mir vorstellen kann.
Michael Fuchs-Gamböck
Philharmonie (Gasteig), Rosenheimer Str. 5, Samstag, Beginn: 20 Uhr, Eintritt: 37-96,50 Euro
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