Rentnerinnen in München: Altersarmut ist weiblich

Die durchschnittliche Altersrente für Frauen in München lag vor fünf Jahren bei 685 Euro – Tendenz sinkend. Darum hat sich nun ein Bündnis gegründet.
von  Anja Perkuhn
Frauen für Frauen – und Männer (v.l.): Karin Majewski (Paritätischer), Martina Helbing (Verdi), Waltraud Waldherr (Stadtbund), Agnes Kottmann (Verdi), Hanne Möller (KAB) und Natascha Almer (DGB).
Frauen für Frauen – und Männer (v.l.): Karin Majewski (Paritätischer), Martina Helbing (Verdi), Waltraud Waldherr (Stadtbund), Agnes Kottmann (Verdi), Hanne Möller (KAB) und Natascha Almer (DGB). © H. Sterr/verdi

München - Frauenaltersarmut. Wenn Sie ein Mann sind oder jung oder ein sich angemessen anfühlendes Einkommen haben (oder eine Kombination aus diesen drei): Bitte trotzdem weiterlesen.

Denn das Thema Altersarmut strahlt in die gesamte Gesellschaft, betrifft auch Männer und wer jetzt jung ist und sich unbeschwert fühlt, der möge dieses Gefühl unbedingt pflegen – aber sich auch Gedanken um die Zukunft machen. Altersarmut wird, das zeigen Entwicklungen der vergangenen Jahre, zum Massenphänomen. Am meisten trifft es Frauen, speziell alleinstehende – auch im reichen München.

Die "Armutsfalle" Nummer eins sind eigene Kinder

Denn, so betont das neu gegründete "Münchner Bündnis gegen Altersarmut", es gibt immer noch viele strukturelle Probleme, die Frauenaltersarmut begünstigen.

"Armut beginnt oft damit, dass eine Frau, die bis dahin arbeiten gegangen ist, Kinder bekommt", sagt Karin Majewski von Der Paritätische Bayern, einem Verband der Freien Wohlfahrtspflege. "Kinder sind die Armutsfalle Nummer eins, vor allem mehrere Kinder." Denn wenn die Frau wegen der Kinder arbeitsmäßig zurückstecke und die Beziehung irgendwann in die Brüche gehe, "dann sind viele Frauen oft schon vor der Rente nah an der Armut, wenn sie nicht reich erben."

Viele Frauen haben ihrem Leben außerdem "Lücken": haben Familienangehörige gepflegt und dafür auf Einkommen und berufliches Fortkommen verzichtet; Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, außerdem arbeiten sie deutlich öfter in Teilzeit und Minijobs oder in prekären Niedriglohnbranchen wie im Einzelhandel oder Gastgewerbe. "Selbst, wenn sie ihr ganzes Leben lang Vollzeit gearbeitet haben, aber zum Mindestlohn, reicht das am Ende nicht für eine vernünftige Rente", sagt Majewski. Wenn dann beispielsweise noch der Partner stirbt, verschärft sich die Situation.

Frauen für Frauen – und Männer (v.l.): Karin Majewski (Paritätischer), Martina Helbing (Verdi), Waltraud Waldherr (Stadtbund), Agnes Kottmann (Verdi), Hanne Möller (KAB) und Natascha Almer (DGB).
Frauen für Frauen – und Männer (v.l.): Karin Majewski (Paritätischer), Martina Helbing (Verdi), Waltraud Waldherr (Stadtbund), Agnes Kottmann (Verdi), Hanne Möller (KAB) und Natascha Almer (DGB). © H. Sterr/verdi

Als armutsgefährdet gilt jemand, dessen Netto-Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Wer als deutscher Single weniger als 1.039 Euro netto zur Verfügung hat, befindet sich unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze. Laut Sozialreferat lag die Durchschnittsrente in München bei einem Renteneintritt vor 2013 bei Männern bei 1.032 Euro, bei Frauen bei 693. Bei Eintritt nach 2013 gab es im Durchschnitt sogar nur 685 Euro pro Monat für Münchnerinnen (Männer: 827). Im bayernweiten Vergleich stehen sie damit sogar relativ gut da: Für bayerische Rentnerinnen waren es nur 529 Euro. "Das wird aber durch hohe Mieten und Lebenshaltungskosten sofort wieder relativiert", sagt Martina Helbing von den Verdi-Frauen.

Der Paritätische und sieben weitere Organisationen – darunter die Verdi-Frauen, der Stadtbund Münchner Frauenverbände, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, die DGB-Frauen, die Verdi-Frauen München und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung – haben die Tendenz als alarmierend erkannt und darum nun ein Münchner Bündnis gegen Frauenaltersarmut gegründet.

Sie wollen vorerst keine konkreten politischen Forderungen stellen, sondern auf das Thema aufmerksam machen und für die Probleme sensibilisieren, sagen sie. "Die Stadt tut schon viel", sagt Waldtraud Waldherr vom Stadtbund Münchner Frauenverbände, "aber es gibt so viele Ehrenamtliche hier, ohne die das Leid viel größer wäre." Der Subtext appelliert also doch an die Politik: auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Das Thema ist eben ein sehr großes.


"Ich kann nicht Trübsal blasen": Eine Münchner Rentnerin berichtet

Rentnerin Sabine Rydz (67) hat wenig Geld zu Verfügung. Sie ist dankbar, dass sie "Glück mit dem Vermieter" hat.
Rentnerin Sabine Rydz (67) hat wenig Geld zu Verfügung. Sie ist dankbar, dass sie "Glück mit dem Vermieter" hat. © Daniel von Loeper

Sabine Rydz ist Rentnerin und hat nicht viel zum Leben. Und doch ist sie dankbar.

Sabine Rydz ist 67 Jahre alt. "Ein bewegtes Leben liegt hinter mir", sagt sie. Und vor ihr ein Leben mit wenig Geld. Denn die Rentnerin lebt unterhalb der Armutsgrenze.

"Wenn ich nicht solch ein Glück mit meinem Vermieter hätte – ihm gegenüber verspüre ich tiefe Dankbarkeit – dann wüsste ich nicht, was ich machen soll", sagt Rydz, die in der Au lebt. "Es ist schön, dass es noch Vermieter mit sozialer Kompetenz gibt." In vielen verschiedenen Berufen habe sie gearbeitet. Noch heute schreibt sie gerne Bücher. Etwas mehr als 1.000 Euro Rente bekomme sie, in München könne sie so "keine großen Sprünge machen". Eigentlich wollte sie einen Nebenjob annehmen, aber aus gesundheitlichen Gründen hat das nicht funktioniert.

Sie habe mehrere Operationen hinter sich. Vor fünf Jahren hatte sie einen Unfall "das hat mich schwer getroffen." Doch Rydz will nicht aufgeben, sie sei keine, die sich unterkriegen lässt: "Ich kann nicht zuhause sitzen und Trübsal blasen. Ab Herbst will ich mich nach einem Nebenjob in der Kundenbetreuung umschauen." Was sie sich dann gerne einmal wieder leisten würde? Einen Theaterbesuch, oder vielleicht sogar mal eine kleine Reise. "Ohne Nebenjob geht das für mich nicht."

Und doch weiß sie, dass sie noch Glück hat, denn viele in ihrem Alter treibt es aus der Stadt. "Es ist schlimm, dass Menschen im Alter von 70 Jahren wegziehen müssen, weil es in der Stadt zu teuer ist." Im Sozialwesen würde viel zu wenig passieren, sagt sie. Und auch die Rentenpolitik sei ein Bereich, in dem viel im Argen liegt. "Mich ärgert das sehr."

Dass populistische Parteien deshalb Zulauf hätten, überrasche sie nicht – wobei sie es fatal fände, wenn sie noch mehr an Zuspruch gewinnen würden: "Die Folgen der Politik dieser Parteien wäre fatal für ältere Menschen und für Leute, die sozial schlechter gestellt sind."

Daniel von Loeper


Reine Rente: 900 Euro, Miete: 900 Euro

Brigitte Dinev musste in München bei Null anfangen, sagt sie – und das merkt die 80-Jährige deutlich an ihrer Rente. Sie hat Dekorateurin gelernt und in dem Beruf bei einer Münchner Firma gearbeitet – dann ging sie 1961 als Au-pair nach Frankreich. "Ich bin dann dort geblieben, habe die Sprache gelernt, meinen Mann kennengelernt, wir haben ein Kind bekommen", erzählt sie. Sie tat, was viele tun, die nicht über die Konsequenzen ihres Arbeitslebens für ihr Altersleben nachdenken: Sie wurschtelte sich durch. "Ich hab immer irgendwo etwas Geld verdient, oft unter der Hand, praktisch ohne Versicherung."

Wegen der Mai-Unruhen 1968 fühlt sich die Familie unsicher, kehrt nach München zurück. "Unsere Franc waren hier nicht viel wert. Mein Mann durfte nicht arbeiten, weil er aus Bulgarien kommt." Also geht sie Geld verdienen: Als Urlaubsvertretung verkauft sie Herren-Artikel. "Ich habe mit Heimarbeit was dazuverdient, sonst hätte das nie gereicht."

1974 macht Dinev eine Umschulung zur Verwaltungsangestellten im öffentlichen Dienst und arbeitet bei einer landwirtschaftlichen Lehranstalt in Grub. Dort bleibt sie 24 Jahre.

Ihre reine Rente beträgt 900 Euro. Nur dank der Zusatzrente durch den Staat kommt die Familie durch – der Mann hat sehr wenig Rente, weil er keine Arbeit mehr fand. "Wenn wir die Zusatzrente nicht hätten, könnte ich gleich nach Hause gehen und mich aufhängen", sagt Dinev. Sie erschrickt vor der eigenen Deutlichkeit – aber nur kurz. Die Wohnung, in der sie in Poing leben, ist gut – aber teuer: 900 Euro Miete. Sie hat sich verdreifacht seit dem Einzug 1972. "Ich kaufe Sonderangebote, wenn’s geht", sagt sie. "Und ins Theater können wir nicht. Ich bin eigentlich zufrieden, ich jammere nicht. Wir können nur nichts sparen. Wenn mal was ist, ist das Konto halt bei null." Sie warte gerade darauf, dass die Rente kommt: "Dann kann ich endlich wieder weitermachen."

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