Queere Liebe, verquere Lehre: Was homosexuelle Gläubige bewegt
Die Kirche tut sich traditionell schwer mit Lebenswegen, die aus ihrer Sicht nicht klassisch sind. Homosexuelle Menschen fühlen sich oft ausgegrenzt, herabgesetzt, entwürdigt. Als seien sie nicht erwünscht. Aber das sind sie.

Der Münchner Priester Wolfgang F. Rothe - er selbst hat sich schon vor längerer Zeit als homosexuell geoutet - lässt in seinem neuen Buch Menschen zu Wort kommen, die beides sind, queer und gläubig. Es sind Beiträge von Menschen, denen es nicht leicht fällt, der Kirche den Rücken zu kehren - viele von ihnen berichten, dass sie gläubig aufgezogen wurden und etwa schon als Ministrant aktiv mitgeholfen haben. Dann aber kam irgendwann der Bruch mit der Kirche, als sie merkten, dass ihre Art zu lieben nicht akzeptiert wird.
Buch von Wolfgang F. Rothe: Queere Gläubige berichten
Priester, Gläubige, Ehrenamtliche, beruflich im kirchlichen Bereich Tätige berichten von ihren Erfahrungen, ihren Kämpfen, Demütigungen, aber auch teils von Momenten, die sie mit der Kirche versöhnt haben. Rothe sagte im AZ-Gespräch über das Buch, das er in dieser Woche herausgegeben hat: "Es ist eine Sammlung von Zeugnissen queerer Menschen, die von ihren Erfahrungen mit der Katholischen Kirche berichten. Teilweise versöhnt, teilweise verbittert, teilweise haben sie die Katholische Kirche hinter sich gelassen." Ihm selbst seien bei der Lektüre teils die Tränen gekommen. Rund 50 Menschen kommen zu Wort - die AZ zeigt kurze Auszüge.

Sänger Patrick Lindner
"Im Herbst 2020 haben mein Mann und ich geheiratet. (...) Wider Erwarten war das problemlos möglich - und zwar in einer katholischen Kirche, durch einen katholischen Priester. Warum war uns das wichtig? Ganz einfach: Wenn zwei Menschen Ja zueinander sagen, gehört für uns der Segen Gottes einfach dazu. (...) Tief beeindruckt waren wir aber nicht nur von der Feier an sich, sondern auch davon, dass in der katholischen Kirche offenbar mehr möglich ist, als der Vatikan für möglich hält."
Ein Priester, geboren um 1965, der aber anonym bleiben möchte
"Ich bin Priester. Und ich bin schwul. Beides empfinde ich nicht als Widerspruch - im Gegenteil: Beides gehört für mich zusammen. Ich bin beides; und beides bin ich. (...) Ich glaube ganz fest: Beides kommt von Gott, beides ist von Gott gewollt, in beidem zeigt sich, wie Gott mich will und was Gott von mir will. Beides ist meine Berufung. (...) Ich bin also mit Gott im Reinen und ich bin mit mir im Reinen. Mit der Kirche hingegen bin ich nicht im Reinen. Denn wenn es nach der Kirche ginge, sollte ich gar nicht Priester sein."
Dr. Johannes zu Eltz; geboren 1957, Priester, Pfarrer und Domkapitular
"Ich sehe eine große Anzahl von Priestern mit tiefsitzenden homosexuellen Neigungen, die es von Kirchenrechts wegen nicht geben dürfte. (...) Das ist eine klerikale Lebenslüge und in meinem Urteil strukturelle Sünde. Gewiss kann Gott sie uns vergeben, aber tätige Reue muss dem vorausgehen: eine Revision der Lehre (...)."
Ein um 1968 geborener Musiker und Dramatiker, der anonym bleiben möchte
"Die Tatsache, dass ich hier nicht meinen Namen preisgeben kann, macht mich betroffen. Eigentlich bin ich als offen schwuler Mann gefestigt. (...) Die Furcht, ich könnte unschön kontaktiert werden, sitzt tiefer, als ich glauben wollte. (...) Und wenn es sich im persönlichen Umgang ergibt, werde ich - man verziehe mir den Ausdruck hier - den Teufel tun und mein Schwulsein verschweigen. Wie viele wohl manchmal verschweigen, dass sie an Gott glauben? Vielleicht brauchen wir bald ein anderes Outing: ‚Katholisch? Na und?!' Ich wäre dabei."
Familiencoach Ulrike Krenzel, geboren 1966
"Ausgerechnet in unserer Familie - zwei schwule Jungs. Obwohl wir uns als recht offen betrachteten, war es nicht einfach für uns, doch wir redeten und lernten voneinander. Mit am schwierigsten für uns alle war die Tatsache, dass die beiden Jungs durch ihr Outing von der Kirche quasi verstoßen wurden. Sie sind beide katholisch und ihr Glaube bedeutet ihnen viel. Er war ihr Lebensmittelpunkt. Sie verloren viele ihrer Freunde und wurden zum Beispiel auf deren Hochzeiten nicht eingeladen. Der Segnungsgottesdienst am 9. Mai 2021 war für meinen älteren Sohn der Beginn einer Versöhnung zwischen der Kirche und ihm.
Johannes Engelhardt, geboren 1959, Restaurator
"Mein Outing gegenüber meinen Eltern und Freund*innen wurde nicht ernst genommen oder verleugnet. Es kam zum Bruch mit meiner Familie. Dass die katholische Kirche ein Problem mit meinem Schwulsein hatte, war mir klar. Trotzdem suchte ich in meiner damaligen Verzweiflung und Verlorenheit auch bei ihr nach Hilfe. Diese Hilfe fand ich nicht. So trat ich mit 18 Jahren aus der Kirche aus. (...). Die Frage nach dem Glauben (...) begleitet mich bis heute. Ich habe einen spirituellen Standpunkt gefunden - einen Standpunkt, der an keine Institution gebunden ist."
Henry Frömmichen, geboren 1999, Bestattungsfachkraft
"Mir war bewusst, dass ich meinem Herzenswunsch, ja meiner Berufung, Priester zu werden, nicht mehr nachgehen konnte, weil ich mich nun als homosexuell geoutet hatte. Der Priester aber sprach mir Mut zu (...). Drei Monate nach meinem Eintritt ins Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising wurde ich entlassen. Ich hatte im November 2020 ein Selfie mit dem Hauptprotagonisten der schwulen Reality-Dating-Show "Prince Charming", Alexander Schäfer, auf der sozialen Medienplattform Instagram veröffentlicht. (...) Von Seiten der Seminarleitung wurde mir vorgeworfen, ich würde mich mit homosexuellen Menschen solidarisieren (...). Ich kämpfe weiter für eine offene katholische, allumfassende Kirche, in der jede*r so sein darf, wie er*sie ist, und von der niemand diskriminiert oder ausgegrenzt wird."
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