Psychologin über Zivilcourage: "Zuviel Harmonie ist gefährlich"
Eine Forscherin erklärt, warum Einzelpersonen oft mutiger eingreifen, als viele Eibzelpersonen.
AZ: Frau Przyrembel, rund 15 Menschen haben den Mord an Dominik Brunner beobachtet ohne einzugreifen. Warum?
MARISA PRZYREMBEL: Das hat zu tun mit dem Phänomen der ,Bystander’ beziehungsweise der Verantwortungsdiffusion, wie es in der Wissenschaft heißt. Studien zeigen: Je mehr Menschen vor Ort sind, desto geringer ist die Bereitschaft einzugreifen und Zivilcourage zu zeigen.
Heißt das, dass sich keiner hervortun will – auch, wenn viele Zeugen da sind?
Ja, seit den 70er Jahren wird dieses Phänomen erforscht, ausgehend vom Fall Kitty Genovese. Das war eine Frau, die vor 38 Bystandern auf offener Straße vergewaltigt und niedergestochen wurde. Studien zeigen: Der Einzelne handelt tendenziell mutiger als die Masse.
Mit ihren Kursen lehren Sie Zivilcourage. Wie geht so etwas?
Wir bringen den Teilnehmern zum Beispiel bei, Ihre Stimme als Waffe einzusetzen. Wir üben lautes Schreien, denn viele sind das gar nicht mehr gewöhnt. Schließlich gilt in unserer Gesellschaft die Norm, leise zu sein, die Intimsphäre zu respektieren und sich anzupassen. Dabei kann zu viel Harmonie manchmal das Gegenteil bewirken.
Wie hätte man beim Mord an Dominik Brunner helfen können, ohne sich selbst zu gefährden?
In unseren Kursen zur Zivilcourage ermutigen wir niemanden, sich zu gefährden oder sein Leben zu riskieren. Allerdings üben wir ganz grundlegende Dinge, wie etwa einen Notruf korrekt abzusetzen. Es zeigt sich immer wieder, dass richtig Hilfe anzufordern, also sämtliche relevanten Infos vermitteln zu können, schwieriger ist, als viele denken. Und natürlich geht es auch darum, dass sich Einzelne zu Gruppen solidarisieren. Wir zeigen, wie man als Einzelperson andere direkt anspricht und damit Bystander zum Helfen animiert.
Die Münchnerin Marisa Przyrembel (29) ist Dimplompsychologin und promoviert an der Berliner Humboldt Universität. Mehr Infos unter zivilcouragetrainer.de
Interview.: R. Keck
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