Prozess: Mutter wollte mit behinderter Tochter sterben
MÜNCHEN - Sie sah keinen Ausweg mehr. Nach dem Tod ihres Mannes befürchtete eine Frau finanzielle Schwierigkeiten - und sie sorgte sich um die Zukunft ihrer geistig behinderten Tochter. Deshalb wollte die 61-Jährige sich und ihr Kind töten.
Wie verzweifelt muss diese Frau gewesen sein. Nach dem plötzlichen Herztod ihres Mann (†75) geriet Angela J. (61) laut Anklage in finanzielle Schwierigkeit und machte sich Sorgen um die Zukunft ihrer geistig behinderten Tochter Stella (23). Dabei wollte sie ihren beiden älteren Töchtern (36,37 Jahre) nicht zur Last fallen. Deshalb wollte sie gemeinsam mit ihrem behinderten Kind sterben.
"Plötzlich war er nicht mehr da"
Seit Dienstag steht die zierliche Angela J. wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht München II: „37 Jahre waren wir verheiratet. Wir haben alles gemeinsam gemacht und plötzlich war er nicht mehr da.“ 1971 lernten sie sich auf Gran Canaria kennen: „Nach sechs Monaten haben wir geheiratet.“ Sie, eine gebürtige Spanierin, jobbte damals auf der Insel. Er ist US-Amerikaner, arbeitete dort als Elektriker.
1978 kamen sie nach Deutschland. Vor zehn Jahren kauften sie eine Doppelhaushälfte (325000 Euro) in Inning am Ammersee.
Diagnose Krebs
Februar 2008 der erste Schicksalsschlag: Ärzte diagnostizieren bei ihr Unterleibskrebs. Die OP verlief gut. Ihrem Mann verschwieg sie die Krankheit: „Er hätte es nervlich nicht verkraftet.“
5. April 2008, der zweiter Schicksalsschlag: Ihr Mann kippt tot vom Stuhl. Kurz davor hatte die Angeklagte ihren Job in einem Dentallabor verloren. Die 600 Dollar Rente ihres Mannes aus den USA wurde gestrichen: „Ich war noch nicht im Rentenalter. Es wurde schwierig.“
Angst, was mit kranker Tochter passiert
Ihre Töchter kamen oft zu Besuch. Sie wollten mit ihrer Mutter und der behinderten Schwester in Spanien Urlaub machen, nahmen die beiden mit aufs Münchner Tollwood Festival. „Ich hatte aber zu nichts mehr richtig Lust. Ich hatte keinen Antrieb mehr. Angst, was mit meiner kranken Tochter passiert, wenn ich nicht mehr da bin“, so die Angeklagte, die in ärztlicher Behandlung war, ihre Antidepressiva aber nicht einnahm.
Am 7. Juli 2008, gegen 10 Uhr, schrieb sie einen Abschiedsbrief: „Ich kann nicht mehr weiterleben. Ich weiß nicht, wie ich meiner Tochter helfen kann, dass sie weiterleben kann. Ich möchte neben meiner Tochter einschlafen.“
Tochter fand die beiden Frauen bewusstlos in der Garage
Stunden später fand die älteste Tochter die beiden bewusstlos in der Garage, eingehüllt in Decken. Sie alarmierte die Rettung. Die Schlaftablettendosis war zu gering.
Angela J. ist jetzt in einer geschlossenen Bezirksklinik untergebracht. Ihr geht es wieder besser: „Ich möchte nur noch zu Stella. Sie lebt derzeit bei ihrer Schwester.“ Strafverteidiger Michael Adams: „Die finanziellen Sorgen waren nicht so ausschlaggebend. Sie hatte noch eine Wohnung in Madrid, die hätte sie verkaufen können. Zur Tatzeit hatte sie eine schwere depressive Episode, die man mit Artzney behandeln kann.“ Der Prozess dauert an.
Torsten Huber