Professor findet: Arbeitslose kriegen zu viel Geld

Der Staat zahlt zu hohe Hartz-IV-Beträge, sagt ein Wissenschaftler. Zwei Euro für Fernsehen und Telefonieren, ein Euro für Theater und Kino müssten reichen, steht in seiner Studie. DGB-Chef Schösser nennt den Forscher einen „Menschenfeind“.
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30.000 Münchner beziehen Hartz IV. Sozialverbänder fordern für sie mehr Geld zum täglichen Leben.
az 2 30.000 Münchner beziehen Hartz IV. Sozialverbänder fordern für sie mehr Geld zum täglichen Leben.
Wirtschafts-Professor Friedrich Thießen
az 2 Wirtschafts-Professor Friedrich Thießen

CHEMNITZ, MÜNCHEN - Der Staat zahlt zu hohe Hartz-IV-Beträge, sagt ein Wissenschaftler. Zwei Euro für Fernsehen und Telefonieren, ein Euro für Theater und Kino müssten reichen, steht in seiner Studie. DGB-Chef Schösser nennt den Forscher einen „Menschenfeind“.

Sozialpolitiker und Gewerkschafter haben einen neuen Feind. Er ist sogar ein „Menschenfeind“, schimpfen sie. Sein Name: Friedrich Thießen, Jahrgang 1957, Wirtschafts-Professor an der TU Chemnitz.

Was hat der Mann getan? Der Wissenschaftler hat errechnet, wie viel Hartz IV für Bedürftige ausreicht. Ergebnis: 132 Euro pro Monat für den Lebensunterhalt ohne Miete und Energiekosten. Maximal vertretbar wären 278 Euro. Zum Vergleich: Der Hartz-IV-Regelsatz vom Jahr 2006 – auf dieses Jahr beziehen sich die Berechnungen – lag zwischen 331 und 345 Euro. Inzwischen beträgt er 351 Euro. Ein Kind würde Thießen zufolge 79 Euro bekommen – der Regelsatz beträgt heute 211 Euro.

Thießens These: Hartz-IV-Sätze orientieren sich am Lebensstandard von arbeitenden Menschen, nicht aber am Ziel einer Mindest-Sicherung. Hartz-IV-Empfänger würden durch die Zahlungen nicht motiviert, sich neue Jobs zu suchen. Und dann legt er fest, was ein Hartz-IV-Empfänger braucht – und was nicht:

Lebensmittel

Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Gemüse, Obst, Milch, Käse, Fleisch, Fisch, Wurst, Öl, Margarine – und Leitungswasser zum Trinken. Alkohol und Tabak sind laut Thießen tabu. Wenn man alles bei Discountern kauft, kommt man auf 68 Euro.

Gebrauchsgegenstände

Thießen kritisiert, dass das „unglaubliche Überangebot an Gebrauchtmöbeln“ vernachlässigt wird. So kommt er auf sieben Euro.

Kommunikation

„Auch mit einem Minimum an Geld“ könne man „ein geselliges, gesellschaftsbezogenes Leben führen“, argumentiert Thießen. Zwei Euro will er für „schriftliche Kommunikation“, Fernsehen und Zugang zur Bibliothek gewähren, wo es kostenfreien Zugang zu Büchern, Zeitungen und Internet gebe. Telefonieren? Kommt in seiner Rechnung nicht vor.

Freizeit und Kultur

Eine Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr muss reichen. Kino, Theater, Schwimmbad und Fahrrad sind nicht drin.

Für die Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände ist Thießen der neue Feind: „Der Herr Professor soll doch bitte mal selbst ausprobieren, ob ihm ein Euro für Kultur im Monat reicht“, schimpft Alice Schalkhaußer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern. „Der Regelsatz reicht jetzt schon nicht aus.“ Der Meinung ist auch Michael Pausder, Sprecher des VdK Bayern: „Wir fordern mindestens 420 Euro für einen Erwachsenen“, sagt er zur AZ. Die Studie macht ihn wütend: „Wir sehen die Gefahr, dass die Diskriminierung von Hartz-IV-Empfängern als Sozialschmarotzer so noch zunehmen wird.“ Bayerns DGB-Chef Fritz Schösser ist richtig sauer: „Wer Kindern und Erwachsenen das ohnehin knapp bemessene Existenzminimum auf physische Grundbedürfnisse kürzen will, ist ein Menschenfeind. Diese Herren, deren Wissenschaftskarrieren durch Steuergelder finanziert werden, existieren anscheinend selbst nur physisch. Ihren Geist jedenfalls haben sie vor der Studie abgegeben.“

Bayerns Sozialministerin Christa Stewens schließt sich den Kritikern an: „Ich sehe durchaus Handlungsbedarf bei den Hartz-IV-Leistungen. Allerdings in eine andere Richtung, als die Studie vermuten lässt“, sagt sie zur AZ.

Volker ter Haseborg

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