Polizeichef Schmidbauer: "Kein Mundschutz für Polizisten"
MÜNCHEN - Wiesn und Schweinegrippe, jugendliche Schläger oder der Fall Lieserl - die Münchner Polizei ist eingedeckt mit anspruchsvollen Themen und Aufgaben. Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer im großen AZ-Interview.
AZ: Bald beginnt die Wiesn – sie könnte wegen der Schweinegrippe zu einer gigantischen „Masern-Party“ mutieren. Eine völlig neue Bedrohung?
WILHELM SCHMIDBAUER: Eine Bedrohung sehe ich nach bisherigem Verlauf nicht. Natürlich müssen wir aber die Risiken so gut wie möglich minimieren. Schon früher gab es auf der Wiesn Grippe-Viren. Unsere Beamte werden sensibilisiert, damit sie wissen, wie man sich schützt.
Wie steht es mit einer Schutzimpfung?
Es gibt noch keinen Impfstoff. Momentan können wir nur Tipps zur Vorsorge geben.
Welche?
Ärzte empfehlen, sich regelmäßig die Hände zu waschen. Außerdem sollte man vermeiden, sich mit Händen ins Gesicht zu fassen. Die Krankheit wird nicht nur überTröpfcheninfektion übertragen sondern auch über Augen, Nase- und Mundschleimhaut.
Polizisten mit Mundschutz und in Gummihandschuhen?
Ein Mundschutz hindert beim Sprechen. Außerdem ist die Wirksamkeit umstritten. Zusätzlich müssten die Kollegen Schutzbrillen tragen. Das wäre praxisfremd.
Wie sieht das Einsatzkonzept aus?
Welche Schutzmaßnahmen notwendig sind, hängt davon ab, ob und wie viele Menschen auf der Wiesn erkranken. Hier stützen wir uns auf die Erkenntnisse und Empfehlungen der Gesundheitsbehörden. Angesichts des bisherigen Verlaufs der Krankheit besteht kein Grund zur Panik.
Die Wiesn wird also nicht abgesagt?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Im Übrigen wäre das keine polizeiliche Entscheidung.
Bleiben wir bei der Wiesn. Was halten Sie von der Forderung nach einem speziellen Staatsanwalt samt Schnellrichter?
Grundsätzlich begrüße ich alles, was dazu beiträgt, Straftäter schnell zu verurteilen. Doch es muss auch Zeit für ein faires Strafverfahren bleiben.
Was uns zu den drei Schlägern aus der Schweiz führt. Wie geht es denen?
Die Ermittlungen laufen. Die übrigen drei Opfer sind inzwischen bekannt. Sie gingen leider nicht selbst zur Polizei. Das ist ein Trend, den wir in letzter Zeit öfter beobachten.
Warum?
Im Strafrecht kümmert man sich vor allem um Täter. Manche Opfer fühlen sich allein gelassen, scheuen den Gang in die Öffentlichkeit. Die Einführung eines Opferanwalts vor Gericht ist in solchen Fällen sehr hilfreich. Die Betreuung von Opfern sollte nicht nur Hilfsorganisationen wie dem Weißen Ring überlassen sein.
Im Fall Lieserl hat sich das Opfer erst nach fast zwei Jahren gemeldet. Wie viel hängt von ihrer Aussage im Prozess ab?
Das ist Bewertung des Gerichts. Das Opfer war durch K.O.-Tropfen betäubt, hatte aber schon zuvor Alkohol getrunken. Hier könnte ein Verteidiger vor Gericht ansetzten. Er könnte versuchen, dem Opfer eine gewisse Mitverantwortung zuzuweisen; für den Betreffenden eine schwierige Situation vor Gericht.
Vergeht nicht oft zu viel Zeit zwischen Straftat und Urteil?
Die abschreckende Wirkung einer Strafe steigt, je weniger Zeit verstreicht. Das beobachten wir vor allem bei jugendtypischen Delikten.
Sie selbst sagen, der Großteil der Jugendlichen sei gesetzestreu. Was macht man mit dem unbelehrbaren Rest?
Die Polizei hat ihre Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft. Intensivtäter werden vom selben Sachbearbeiter betreut. Wir haben einen Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Gewaltkriminalität gesetzt. Bei Serientätern hat sich bewährt, kriminelle Karriere zu dokumentieren, was zu härteren Strafen führt.
Sollen künftig bereits 12-Jährige vor Gericht?
Es ist kein Allheilmittel, die Strafmündigkeit herabzusetzen. Viel wichtiger ist, im Bereich des Jugendstrafrechts zu differenzieren und rechtzeitig auf Signale zu reagieren.
Wie soll das aussehen?
Man muss sich um auffällige Jugendliche kümmern, ihnen frühzeitig klar machen, dass ihr Verhalten nicht toleriert wird.
Sie haben Handy-, Internet- und Führerscheinsperren als Strafen vorgeschlagen. Was ist daraus geworden?
In der Politik wird das zum Teil noch immer diskutiert. Entschieden ist noch nichts.
Was hilft bei Gewalttätern?
Bei ihnen helfen keine Ermahnungen. Die Täter haben eine Schwelle überschritten und das müssen sie spüren.
Fühlen sie sich von der Politik richtig unterstützt?
Wenn wie jetzt geschehen, das Vermummungsverbot von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird, ist das nach meiner Meinung ein falsches Signal. Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, Beamte auch ohne konkreten Anlass in eine geschlossene Versammlung zu schicken, erschwert uns das die Arbeit erheblich.
Und beim Thema Internet?
Täter und Opfer sind rund um die Welt verstreut. Wir müssen uns darauf einstellen, uns entsprechend rüsten.
Was muss sich ändern?
Die Politik muss der Polizei das Instrumentarium zur Verfügung stellen, um Verbrecher auch im Internet erfolgreich zu verfolgen. Ansonsten wird das Rechtssystem ausgehöhlt.
Und wie steht es mit Datenschutz und Bürgerrechten?
Manche denken, das Internet müsse frei sein von jeglicher staatlicher Einflussnahme. Dann muss man aber auch den Mut haben und die Folgen nennen: das Internet würde zu einem rechtsfreien Raum, in dem kein Schutz vor Straftaten existiert.
Aber es gibt auch immer weniger Bereiche, die frei von Kontrolle sind.
Was an Überwachung tatsächlich durchgeführt wird, ist deutlich geringer, als manche behaupten. Vieles wird diskutiert, was in der Realität gar nicht umgesetzt wird. Bis heute gibt es keine Onlinedurchsuchung durch das Polizeipräsidium München. Es herrscht der Eindruck, die Onlinedurchsuchung sei ein normales Instrumentarium der Polizei. Tatsächlich ist sie nur zulässig, um beispielsweise Terroranschläge zu verhindern.
Warum dann die ständigen Debatten über einen drohenden Überwachungsstaat?
Interessensgruppen vermitteln Bürgern den Eindruck, sie würden überall und ständig kontrolliert. Das Gegenteil ist richtig. Beispiel Videokameras: Die Münchner Polizei verfügt über sechs Kameras, zwei am Hauptbahnhof, eine am Stachus sowie drei am Orleansplatz, plus 14 auf der Wiesn.
Trotzdem gibt es immer wieder Streit darum.
Da werden zu Unrecht Ängste geschürt. Am Orleansplatz blieb nichts anderes übrig, als Kameras zu installieren. Die Szene dort zeigte sich zunehmend gewalttätig.
Helfen Kameras?
Auf alle Fälle. In München verfolgen Beamte in der Einsatzzentrale das Geschehen vor Ort und schicken im Bedarfsfall sofort eine Streife.
In London sind es über 4000 Kameras. Sind sie neidisch?
Nein. Wir konzentrieren uns auf Brennpunkte. Da reichen unsere Kameras derzeit aus. Wir wollen dort vor allem Straftaten verhindern, beispielsweise dem Opfer zu Hilfe kommen, bevor es ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Das Konzept in London sieht anders aus. Dort will man insbesondere mit Videoaufnahmen vor Gericht den Straftäter überführen.
Interview: Ralph Hub, Nina Job, Georg Thanscheidt
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