Polen: Schwulen-Hatz am Hauptbahnhof

Homosexuelle erzählen in der AZ ihre Geschichte: LMU-Student Matthäus K. (25) kommt aus Polen. Dort haben Hooligans Jagd auf ihn und seine Freunde gemacht.
von  Natalie Kettinger

Homosexuelle erzählen in der AZ ihre Geschichte: LMU-Student Matthäus K. (25) kommt aus Polen. Dort haben Hooligans Jagd auf ihn und seine Freunde gemacht.

Sie waren früh dran, die Polen: Bereits 1932 wurde die gleichgeschlechtliche Liebe in Deutschlands östlichem Nachbarland legalisiert, die Politiker der Bundesrepublik brauchten 37 Jahre länger für diesen Schritt. Von der Gesellschaft vorbehaltlos akzeptiert werden Schwule und Lesben im erzkatholischen Polen trotzdem nicht.

Bis 1991 galt Homosexualität dort offiziell als Krankheit. Vergangene Woche lehnte das Parlament die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft ab. Rechtsradikale machen immer wieder Jagd auf Schwule, Lesben und Transgender. „Wir sind in letzter Sekunde ins Auto gesprungen, sonst hätten sie uns erwischt”, erzählt Matthäus K. (25) von einer solchen Hatz am Hauptbahnhof von Breslau.

Der Student stammt aus Oppeln, einer Universitätsstadt im Südwesten Polens. Homosexualität findet dort eher im Verborgenen statt. Die zwei einschlägigen Bars liegen, gut versteckt, in dunklen Hinterhöfen. Die Szene trifft sich an geheimen Orten, mal zum Grillen, mal zum Sex. In der Öffentlichkeit begegnen viele schwulen Paaren mit offener Abneigung. „Vor allem Männer denken beim Thema Homosexualität zuerst an zwei Typen im Bett. Sie sehen nicht den Menschen, der vor ihnen steht, sondern was sie nicht sehen wollen.”

Matthäus hat das oft genug erlebt. Schuld an der Ausgrenzung sei der starre Katholizismus in seinem Land, sagt er. 90 Prozent der 38 Millionen Polen sind katholisch. Wenn der Papst die Homo-Ehe in seiner Neujahrsansprache als „Bedrohung für die menschliche Würde und für die Zukunft der Menschheit” bezeichnet, nehmen ihn Hunderttausende beim Wort.

Mit 16 verliebte er sich in seinen besten Freund

Auch Matthäus hat die Religion geprägt. „Es gab mal einen Pfarrer, der mit mir eine Beziehung eingehen und für mich sorgen wollte.” Der Student lehnte ab. „Ich finde, wenn man sich als Priester in Gottes Dienst stellt, gehört die Keuschheit dazu.” Er lächelt und fügt fast entschuldigend hinzu: „Ich bin halt katholisch erzogen.”  Doch nicht nur die christliche, auch die „erzkonservative, nationalistisch geprägte Erziehung in der Schule” ist Schuld an der Homophobie in seinem Heimatland, glaubt der junge Mann. „Bei uns wird erwartet, dass man den Stammbaum der Familie fortsetzt.”

Matthäus ist 16, als ihm dämmert, dass er diese Erwartung vielleicht nicht erfüllen wird. Der Teenager verliebt sich in seinen besten Freund. „Er war heterosexuell und ich habe mich zwei Jahre lang gequält. Erst dann habe ich ihm von meinen Gefühlen erzählt. Er hat mich wie ein Stück Dreck behandelt und den Kontakt abgebrochen.” Enttäuscht bandelt der junge Pole mit einem Mädchen an, sie wollen sogar heiraten. „Aber sie hat mich betrogen. Das hat mich sehr verletzt.” Den Frauen hat Matthäus seitdem abgeschworen.

Ein Ferienjob als Leihwerker bei BMW führt ihn 2007 nach München. „Hier bin ich zum ersten Mal schwul ausgegangen. Es war ein Wow-Effekt: Wie die Leute miteinander umgehen, wie sie aussehen – viel besser als zuhause, viel gepflegter.” In einer dieser bayerischen Nächte hat er zum ersten Mal schwulen Sex. „Der Mann war zehn Jahre älter als ich. Ich wollte für ihn mein Leben hinter mir lassen, aber leider war ich nur ein Spielzeug für ihn.”
Geknickt kehrt Matthäus nach Oppeln zurück.

Dort sucht er sich neue Freunde, fast ausschließlich Homosexuelle. Zum Feiern fahren die jungen Männer in die nächstgrößeren Städte, nach Kattowitz oder Breslau. Hier haben sich ein paar Nachtclubs für Schwule etabliert – in Hinterhäusern, die man nur findet, wenn man sich auskennt.

Sich zu seiner Homosexualität zu bekennen, kann gefährlich sein. Bei der CSD-ähnlichen „Europride”-Parade 2010 in Warschau bewerfen Rechtsradikale die Teilnehmer mit Eiern und Steinen. Kurz vor der Fußball-EM zerstören Hooligans die Fenster einer Schwulenbar in der Hauptstadt.
Auch Matthäus wird angegriffen: Nach einer Party will die Clique am Hauptbahnhof von Breslau noch etwas essen. Sie sind schicker gekleidet als die übrigen Nachtschwärmer, fallen auf. Eine Gruppe Hooligans brüllt schwulenfeindliche Parolen, dann greifen die Fußballfans an. „Sie haben uns quer durch den Bahnhof verfolgt. Zum Glück stand mein Auto nicht weit weg und wir konnten fliehen”, erzählt er.  Später wird er noch einmal aufgrund seiner Sexualität attackiert, diesmal verbal: Er hat sich am Bein verletzt und hinkt beim Gehen. Als er auf der Straße auch noch stolpert, beschimpft ihn ein Unbekannter als „Tucke”.

Sein Onkel brüllte: "Du bist eine Schande für die Familie" 

Viel mehr als die Angriffe von Fremden trifft Matthäus die Reaktion seiner Familie, als er sich mit 22 outet. „Du blamierst uns! Du bist eine Schande für die Familie!”, brüllt der Onkel. Der Vater ist in seinem Stolz verletzt, weil er von Matthäus keine Enkelkinder bekommen wird und spricht ein halbes Jahr lang kein Wort mehr mit ihm. „Und meine Mutter hatte zehn Tage lang eine Hysterie-Attacke.” Sie erholt sich als Erste von dem Schock, zur Versöhnung geht sie mit ihrem schwulen Sprössling Shoppen. „Das war schön”, sagt er.

Trotzdem verlässt Matthäus seine Heimatstadt und zieht nach München, an der LMU schreibt er sich für Deutsche und Polnische Literatur ein. Er will seinen Eltern Zeit geben, Zeit zu verstehen. „Ich bin hergekommen, damit sie ein bisschen runterkommen, dass sie die Neuigkeit verarbeiten können”, erklärt er. Sein Plan hat funktioniert: Heute freuen sich Mutter und Vater, wenn er zu Besuch kommt.

2011 werden erstmals ein offen schwuler Abgeordneter und eine Transsexuelle ins polnische Parlament gewählt. Trotzdem ist der Weg zur Akzeptanz noch weit. „Kennen Sie die Geschichte von Justyna Steczkowska?”, fragt Matthäus. Die Sängerin, die Polen 1995 beim Eurovision-Song- Contest vertrat, hat ein Lied für einen Freund geschrieben, dessen Partner umgebracht wurde. „Alle Musiksender weigern sich, dieses Lied zu spielen, weil die Künstlerin öffentlich bekannt gegeben hat, dass sie die Anliegen der Homosexuellen unterstützt”, sagt Matthäus. Justyna Steczkowskas Song ist ein melancholisches Liebeslied für einen toten Schwulen. Ein Liebeslied, das in Polen niemand hören soll.

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