Philipp Auerbach – ein vergessener Münchner Held der Nachkriegszeit

Der Sozialdemokrat Philipp Auerbach hat rund 100.000 Opfern des NS-Regimes geholfen – dennoch trieb ihn ein Gericht in den Tod. Über eine unglaubliche Lebensgeschichte, der endlich in Bogenhausen erinnert wird.
Tobias Lill |
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Philipp Auerbach in seinem Büro.
Philipp Auerbach in seinem Büro. © DRV Süd

Philipp Auerbach hatte offenbar selbst in finstersten Zeiten an ein anderes Deutschland geglaubt. Im KZ Groß-Rosen sowie in den Vernichtungslagern Auschwitz und Buchenwald erlebte er den unvorstellbaren Schrecken des Naziterrors am eigenen Leib – doch anders als so viele jüdische Deutsche wollte der Linksliberale und spätere Sozialdemokrat nach der Befreiung auf keines der Schiffe nach Palästina oder in die Vereinigten Staaten steigen.

Philipp Auerbach: Der vergessene Held der Nachkriegszeit

Selbst als er im Konzentrationslager jeden Tag damit rechnen musste, von den SS-Schergen ermordet zu werden, träumte Auerbach, als er in seiner Baracke vom Vorrücken der Alliierten hörte, davon, nach der Befreiung und dem Kriegsende mit Jubel begrüßt zu werden. Doch statt mit Freude wurden jene Juden, die nach der Schoa und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in das Land der Täter zurückkehrten, bestenfalls mit Gleichgültigkeit, mitunter auch mit offener Ablehnung, empfangen.

Viele Deutsche waren 1945 in den zerbombten Städten eher mit Überleben beschäftigt, als an die Opfer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen zu denken. Zudem stand die Entnazifizierung durch die Westmächte allzu oft nur auf dem Papier. Zu sehr brauchten die USA Westdeutschland als Bollwerk gegen den Stalinismus. Auch deshalb sollte Antisemitismus bereits kurze Zeit nach dem Ende des NS-Regimes in Bayern wieder salonfähig werden.

Ludwig Spaenle: Nach dem Krieg setzte in Deutschland die "kollektive Amnesie" ein

Viele Deutsche profitierten von der Arisierung. Nicht wenige Nazis stiegen im Eiltempo in Führungsposten in Verwaltung, Justiz und Politik auf – Auerbach sollte diesen Geburtsfehler der Bundesrepublik am Ende seines Lebens bitterlich zu spüren bekommen. Nach dem Krieg habe in Deutschland "kollektive Amnesie eingesetzt", sagt Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung.

Schließlich profitierten Millionen Deutsche direkt oder indirekt von der "Arisierung", weiß der CSU-Politiker. Manche kauften billig Möbel oder wertvolles Geschirr, als deren Eigentümer angeblich verreisten – in Wahrheit jedoch von den Lastern und Zügen in die Todeslager gebracht wurden. Mancher Münchner habe vielleicht noch ein entsprechendes Teeservice daheim, sagt Spaenle.

Auerbach glaubte nicht an eine Kollektivschuld

Auerbach war bereit, zumindest den unzähligen Mitläufern zu verzeihen. Er, der einst erfolglos mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold die Weimarer Demokratie verteidigte, gab Deutschland noch eine Chance. Dabei hatten die Nazis seinen Vater und seine Schwester ermordet. Auch wenn Auerbach im persönlichen Umgang mitunter als schwierig galt, war er Humanist, glaubte nicht an eine sogenannte Kollektivschuld.

Zunächst verschlug es ihn nach seiner Befreiung durch die US-Armee 1945 nach Düsseldorf, wo er den ersten Landesverband jüdischer Gemeinden gründete. Im Jahr darauf zog Auerbach ausgerechnet in die einstige Hauptstadt der Bewegung. Im Oktober 1946 wurde er noch unter dem SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner bayerischer Staatskommissar für politisch, rassisch und religiös Verfolgte.

Spaenle lobt: Philipp Auerbach half mit, das jüdische Leben zurück nach München zu bringen

Nicht nur die Historikerin Elke Fröhlich lobte später, der einstige Chemiker sei der rechte Mann am richtigen Platz gewesen. Auerbach, der für die Wiedergutmachung für ehemalige Verfolgte des NS-Regimes zuständig war, half, wie auch CSU-Mann Spaenle lobt, maßgeblich mit, das jüdische Leben zurück nach München zu bringen.

Mehrere Jahre lang arbeitete er als Präsident des Landesentschädigungsamts. Sein Büro hatte er in der Holbeinstraße 9 in Bogenhausen. Auerbach kümmerte sich insbesondere um Juden, die es ohne Bleibe und Perspektive nach Bayern verschlagen hatte. Doch auch Roma und andere heimatlose Opfer des NS-Regimes fanden bei ihm Gehör.

Er machte sich auch viele Feinde 

Innerhalb von fünf Jahren halfen Auerbach und seine Mitarbeiter fast 100.000 Menschen. Auerbach eiste bei Politikern und Behördenmitarbeitern Gelder für diese sogenannten Displaced Persons los und erinnerte ein ums andere Mal an die Verantwortung des neuen demokratischen Westdeutschlands für das Heer der Entrechteten.

Manche Juden wollten in ihre alte Heimat zurück, viele jedoch strandeten schlicht im Freistaat, weil selbst die Siegerstaaten wie die USA etwa aus Angst vor zu vielen Pflegefällen oder Überfremdung nicht unbegrenzt Überlebende der Schoa in ihr Land ließen. Palästina war vielen dagegen zu unsicher.

Mit seinem teils unnachgiebigen Einsatz für Entschädigungen ließ er das jüdische Leben in der Landeshauptstadt wieder aufblühen. Doch er machte sich auch viele Feinde – etwa, weil er das Nachspüren von NS-Verbrechern nicht scheute. Selbst mit jüdischen Verbänden geriet er mitunter in Konflikt.

Einer von ihnen war der Ochsen-Sepp – der hatte auch eine dunkle Seite

Seine Hauptgegner waren jedoch Altnazis und insbesondere jene, die von der "Arisierung" profitiert hatten. Letztere wollte Auerbach gerne persönlich für Entschädigungen heranziehen. Einer, der ihm erbittert nachstellte, war ausgerechnet Bayerns Justizminister Josef Müller. Der CSU-Mitbegründer, der in seiner Partei bis heute teils als "Ochsen-Sepp" Kultstatus genießt, hatte zwei Gesichter:

Einerseits war er Gegner des NS-Regimes, wurde von den Nazis sogar im KZ interniert. Ihm verdankt die Bundesrepublik viel. Denn er machte die CSU in Abgrenzung zu BVP und Zentrum zu einer Partei, die nicht nur Katholiken vertrat. Das weitgehende Ende der Streitereien zwischen den Konfessionen trug mit dazu bei, dass das politische System des demokratischen Nachkriegsdeutschlands letztlich weit stabiler wurde als jenes der Weimarer Republik.

Andererseits hatte der Ochsen-Sepp auch eine dunkle Seite, die man in seiner Partei lange verdrängte: Als Anwalt soll er während des Dritten Reichs von "Arisierungen" profitiert haben. 1949 setzte er einen Staatsanwalt eigens auf Auerbach an. Der Jurist sollte belastendes Material gegen den 1906 in Hamburg als Sohn eines jüdischen Unternehmerpaars geborenen, hochbegabten Chemiker sammeln.

Aus ihrer rechtsextremen Gesinnung machten die Richter mitunter keinen Hehl

Anfang 1951 durchsuchten Polizisten das von Auerbach geleitete Landesentschädigungsamt. Mehr als zwei Monate lang besetzten die Beamten die Behörde. Viele Entschädigungsanträge blieben liegen, vor allem jedoch wurde systematisch der Ruf Auerbachs zerstört. Zwar hatte sich dieser nachweislich nie selbst bereichert. Laut nachweislich falschem Vorwurf der Staatsanwaltschaft soll das Landesentschädigungsamt jedoch mehrere Hunderttausend Mark an Wiedergutmachungsgeldern zu Unrecht erhalten haben.

Mehrere Richter, die in der NS-Zeit Karriere gemacht hatten und Parteimitglieder waren, leiteten den Prozess gegen Auerbach. Sie verurteilten ihn im August 1952 wegen angeblicher Bestechung und lückenhafter Buchführung zu einer Geld- und Haftstrafe von zweieinhalb Jahren. Aus ihrer rechtsextremen Gesinnung machten die Richter mitunter keinen Hehl.

Einer von ihnen hatte in einem anderen Verfahren einen NS-Schergen, der an der Wannsee-Konferenz teilgenommen hatte und für den Tod von gut 100.000 Juden verantwortlich war, zu einer nur um ein Jahr höheren Gefängnisstrafe verurteilt. In der Nacht nach der Urteilsverkündung starb Auerbach an einer Überdosis Medikamente.

Journalist Hans-Hermann Klare: "Krank und enttäuscht nahm er sich das Leben"

"Krank und enttäuscht nahm er sich das Leben", sagt der renommierte Journalist Hans-Hermann Klare. Er ist Autor einer Auerbach-Biografie. Über den vergessenen Helden sagt Klare: "Sein Leben aber war nicht vor allem deshalb bemerkenswert, weil er dem Tod durch Kälte, Krankheit und SS in jenen Jahren entkommen war." Das Leben des Kämpfers für die Rechte der Displaced Persons nennt er "außergewöhnlich, weil er im Bewusstsein dieses Leidens hier in München etwas Großes begann".

Ein Trauermarsch für Auerbach nach dessen Tod wird auch zu einer Demonstration.
Ein Trauermarsch für Auerbach nach dessen Tod wird auch zu einer Demonstration. © Stadtarchiv München

Auerbach habe eine Behörde aufgebaut, "die etwa hunderttausend Seinesgleichen eine Zukunft gab, zunächst durch Kleiderspenden und Unterkunft oder medizinische Behandlung, schließlich durch Hilfe zur Auswanderung und Wiedergutmachung". Doch obwohl Auerbach so viel für München geleistet hat, kennt ihn kaum jemand.

DRV Bayern Süd: "Uns ist es sehr wichtig, einen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten"

"Mir ist er auch erst seit ein paar Jahren geläufig", sagt das Münchner Urgestein Spaenle. Gemeinsam haben die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bayern Süd und das Netzwerk „Zeugnis Zeugen“ ihm deshalb nun eine Gedenktafel in der Holbeinstraße gewidmet. Auerbach hatte seine Arbeit 1946 in dem heute zur DRV gehörenden Verwaltungsgebäude in der Holbeinstraße aufgenommen. Sogar das Büro Auerbachs wurde restauriert.

Verena Di Pasquale von der DRV Bayern Süd betonte in ihrer Rede: "Uns ist es sehr wichtig, einen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten. Wir wollen Geschichte transparent machen." Bei der Einweihung der Gedenktafel im Mai wehte ein starker Wind, beinahe so stürmisch, wie Auerbach es zu Lebzeiten gewesen sein soll. Das Unrecht, das ihm zuteilwurde, hatte er derweil nicht ertragen können. Immerhin: 1954 rehabilitierte ein Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags den Sozialdemokraten vollständig. Für den großherzigen deutschen Juden Auerbach kam dieser Schritt zu spät.

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