Pflege in München: Unterwegs mit dem Ambulanten Pflegedienst
In der Whatsapp-Gruppe ploppt auf: "Frau T. gewaschen und umgezogen", "Wer bestellt Medikamente Frau S.? Bitte dort Abfall mitrausnehmen" – so lesen sich die internen Nachrichten des Teams eines ambulanten Münchner Pflegedienstes.
Pfleger schreiben sich über Whatsapp und tauschen Infos aus
Die zehn Kollegen schreiben sich kurz – das ist praktisch: Zur Tour-Planung für die Woche und zur Besprechung neuer Patienten treffen sie sich aber alle persönlich. "Auch Notfälle werden dann beredet", sagt Elik Ohana, der den Pflegedienst "Mosaik des Lebens" betreibt. Ein Beispiel: Eine alte Dame ist aus dem Bett gerutscht. Sie drückt den Notfallknopf. "Wir werden aktiviert, weil wir den Wohnungsschlüssel haben und 24 Stunden Rufbereitschaft. Ich fahre zu der Wohnung hin, hebe die Dame zurück ins Bett und schaue, ob alles gut ist", erklärt der Altenpfleger.

Stürze, Gesundheitskrisen, Stimmungsschwankungen – mit Überraschungen umzugehen, ist für Altenpfleger Alltag: Die 92-jährige Münchnerin Paulina M. war beispielsweise wegen einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Zurück in ihrer Dachwohnung in Großhadern steht jetzt ein Sauerstoffgerät neben ihrem Bett.
Der Schlauch läuft sieben Meter durch die Wohnung, an der braunen Kommode mit ihrer netten Engerl-Sammlung vorbei, bis zum Sofa. Dort sitzt die schmale Frau mit den schlohweißen Haaren. Eine Decke wärmt ihre Knie. "Ihr Sauerstoffgerät muss Tag und Nacht laufen", erklärt Elik Ohana vom Pflegedienst. Er hält Paulina M. die Teetasse, damit sie mit dem Strohhalm trinken kann. Der Altenpfleger kennt seine Patientin seit acht Jahren: 17 Pillen aus zehn verschiedenen Schachteln muss die Münchnerin jeden Tag einnehmen: Mittel gegen Schmerzen und Blutverdünner stehen auf dem Medikamentenplan.
Die Kraft in den Händen der alten Dame reicht nicht mehr aus, um sich ein Brot zu streichen: "Ein Laugencroissant mit Butter und Käse schneide ich ihr in ganz kleine Stücke – wie für einen Vogel", erklärt Elik Ohana. Damit seine Patientin etwas zunimmt, hat er diesen Sommer mit ihr etliche Schälchen Vanilleeis verputzt, was die Patientin liebt.
Viermal kommt der Pflegedienst zu Paulina M.
Paulina M. hat Pflegegrad 4. Vier Mal täglich kommt der ambulante Pflegedienst vorbei. Denn: Die Münchnerin kann nur noch sitzen, im Bett liegen und sehr unsicher mit dem Gehwagen laufen. Auf der Toilette braucht sie Hilfe. Ihre Hose bekommt sie alleine nicht hoch. Zum Termin beim Arzt musste ihr Pfleger sie die enge Holztreppe im Haus hinunterbalancieren: "Ich trage meine Braut auf Händen", hat Elik Ohana dabei gescherzt. Denn "Sturm der Liebe" im TV schauen und herzhaft lachen – das kann Frau M. aus Großhadern noch richtig gut und gern.
Ihre Tochter Monika D. (70) war lange berufstätig und sehr aktiv. Jetzt geht sie allerdings mühsam mit zwei Krücken – für über einen Monat. Die Kranke darf das Haus nicht verlassen. Wegen einer Osteoporose mit böser Nekrose muss sie ihre Hüfte stark entlasten. Die Rentnerin darf auch nicht einkaufen gehen. Auch die Stufen hinunter zu ihrer Waschmaschine sind tabu.

In so einem Fall zahlt die Krankenkasse keinen Cent zur Unterstützung. "Angehörige, Freunde oder Nachbarn sollen einspringen, denkt sich die Kasse", vermutet Monika D. Doch sie ist alleinstehend. Ihr Sohn wohnt in einer anderen Stadt: "Nun setz ich mich auf den alten Rollator von Mama, damit ich zumindest etwas in die Hand nehmen kann, und rolle so durch meine Wohnung", seufzt die 70-Jährige.
Krankenkasse zahlt keinen Cent für Angehörige
Den Pflegedienst ihrer Mutter hat sie einfach temporär privat für sich mitgebucht: "Der Dienst geht in den Supermarkt und füllt die Waschmaschine. Alles, was ich anschaffe, wird erledigt", sagt Monika D. und lächelt: "Du kannst ja immer lachen über Elik. Das tut der Seele gut."
Viele ambulante Pflegedienste in der Stadt bieten solche Pflege-Extras. Die kann sich aber nicht jeder Münchner leisten. Der Satz beginnt bei über 30 Euro pro Stunde. Das sind Zusatz-Einnahmen, die auch dazu verwendet werden können, um Angestellte übertariflich zu bezahlen, was der Arbeitsmoral guttut.

In der Preßburger Straße am Westpark öffnet Ursula S. die Wohnungstür. "Du bist schick", begrüßt Elik Ohana seine 97 Jahre alte Patientin. "Und er sieht wieder aus wie der junge Morgen", flirtet die alte Dame zurück. Auf die Frage: "Ulla, geht’s dir gut?", klagt sie jedoch: "Nee. Mir tun alle Knochen weh. Das Handgelenk, alles taub und die Finger – ich habe Arthrose in der schlimmsten Form." Weil es Mittag ist, klingelt "Essen auf Rädern". In durchsichtigen Plastik-Schälchen liegen Cevapcici und Salatblätter.
"Ach, wieder dieser schreckliche Reis", schimpft Ursula S. Sie hat viel lieber Kartoffeln. Die hatte sie als Beilage zwar bestellt, aber die Essensausträger würden die Bestellungen eben häufig verwechseln, sagt die Rentnerin. "Bitte, setz dich, ich bringe dir gleich Besteck", besänftigt sie ihr Pfleger von der Küche aus.
Stirbt ein Patient, geht Pfleger Elik Ohana zur Beerdigung
Ursula S. leidet an schwerer Arthrose. Sie hat Herzflimmern, eine künstliche Hüfte und ein künstliches Knie. Eigentlich war sie schon bereit fürs Altenheim, doch jetzt hat sie beschlossen, in ihrer sonnigen Wohnung mit den großen Spiegeln und dem roten Sessel zu bleiben: "Wissen Sie, ich bin Individualistin. Der Nachteil am Altenheim ist, wenn man sich angefreundet hat, ist immer jemand am Sterben."

Über das Sterben redet Elik Ohana sehr offen mit seinen Patienten. Sein Ehrgeiz: "Solange sie leben, begleite ich sie." Viele kleine Dinge übernimmt eine Pflegerin oder ein Pfleger – wie Augentropfen verabreichen, Strümpfe anziehen oder die Patienten abends schlafen legen.
Wenn ein Patient stirbt, geht der 54-jährige Altenpfleger auf die Beerdigung – das ist ungewöhnlich. Doch Elik Ohana nennt seinen Grund: "Das ist meine Art abzuschließen."
Interview mit Pfleger Elik Ohana ("Mosaik des Lebens")
Er ist examinierter Altenpfleger und Demenzbetreuer. Elik Ohana (54) war auch Flugbegleiter und Leiter des Restaurants Einstein der jüdischen Gemeinde in München. Der Israeli betreibt den ambulanten Pflegedienst "Mosaik des Lebens"– mit einer unkonventionellen Herangehensweise.
AZ: Herr Ohana, Ihre Mitarbeiter besuchen bis zu zwölf Patienten pro Schicht. Die Autos haben aber keine Aufschrift "Pflegedienst".
ELIK OHANA: Ich arbeite bewusst diskret. Viele Patienten haben ein Problem damit, wenn der Pflegedienst nach Hause kommt. Was sagen die Nachbarn?
Teil Ihrer Philosophie ist, nach einer Weile alle Patienten zu duzen.
Ich komme aus Israel, wir haben kein "Sie". Bei der Pflege gehen wir nah ran an die Patienten. Wir begleiten sie zum Duschen, helfen beim Abtrocknen, cremen den Menschen ein. Wenn ich dann fragen muss "Haben Sie noch einen Wunsch?", finde ich das persönlich zu unpersönlich.
Seit Januar ist der Beitrag zur Pflegeversicherung gestiegen. Die Kassen erhöhen auch ihre Auszahlung für die häusliche Pflege – wie Medikamentengabe oder Kompressionsstrümpfe anziehen.
Der Betrag, den die Kassen für Pflege zahlen, reicht vorne und hinten nicht. Immer mehr Leute zahlen Pflege-Extras selbst, damit beim Besuch des Pflegers weniger Zeitdruck ist.
Was sind solche Extras?
Gesellschaft beim Essen, der Transport zum Arzt und zurück, Begleitung zum Friseur oder zum Perücke kaufen bei Krebspatienten, auch Spaziergänge an der frischen Luft.
Ihr Markenzeichen ist, Patienten zum Lachen zu bringen.
Humor hilft. Es ist schwer, über 90 Jahre alt zu sein und vor dem Spiegel zu stehen. Wenn ich frage: "Wie geht es?", ist die Antwort: "Ach, es geht schon." Dann lieben alle meinen Spruch: "Ach, du bist doch in der Pubertät." Für mich sind sie das alle. Im Herzen sind die alten Menschen jung. Sie können so kindisch sein. Wenn ich Medikamente austeile, und höre: "Oh Gott, so viele Tabletten, ich mag nicht mehr", spaße ich manchmal: "Hier die Anti-Baby-Pille, damit du nicht schwanger wirst."
Dann vergessen die Leute kurz ihren Schmerz und Ärger?
Den haben sie sowieso. Der eine hatte eine OP, die andere hat gerade einen schweren Sturz überlebt. Alt sein und allein sein, das ist hart. Aber alt und krank werden wir alle, und sterben müssen wir auch.
Sie kennen die Ängste, den Schmerz, die Geschichte Ihrer Patienten.
Sie öffnen sich mir. Ich umarme sie zur Begrüßung und setze mich nah zu ihnen aufs Sofa. Das ist familiär. Auch meine Pfleger müssen das Herz am richtigen Fleck haben.
Ihre Lebenseinstellung ist geprägt vom jüdischen Humor. Haben Sie einen Witz parat?
Ja. Also: Ein Mann liegt im Sterben. Aus der Küche riecht es so lecker nach Apfelstrudel. Der Mann fragt: Was backst du denn da? Kann ich ein kleines Stückchen haben? Die Frau: Spinnst du? Den Strudel brauch’ ich für die Trauergäste!
Vor 33 Jahren sind Sie aus Israel nach München gekommen, um Urlaub zu machen.
Genau, seitdem mache ich Urlaub! Wegen der Liebe bin ich geblieben. In Deutschland fühle ich mich sehr wohl. München ist mein Zuhause.
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