Pflege in Corona-Zeiten: Wo Abstand halten nicht geht
München - Der Griff zum Fläschchen mit Desinfektionsmittel geht bei Stephanie automatisch. Im Auto am Lenkrad, wenn sie beim Patienten ankommt, sie auf die Klingel drückt, den Türgriff anfasst. Immer tröpfelt die Altenpflegerin (43) anschließend etwas von ihrem Desinfektionsmittel auf die Hände und verreibt die Flüssigkeit sorgfältig.
Stephanie arbeitet bei der Caritas. Sie ist Mutter von drei Kindern und eigentlich ausgebildete Gärtnerin. Seit zehn Jahren versorgt und betreut sie Senioren in der ambulanten Pflege. Aber das, was sie und ihre Kollegen inzwischen jeden Tag erleben, übersteigt alles je Dagewesene.
Corona-Krise: Wie sollen Altenpfleger Abstand halten?
Das Coronavirus ist vor allem für alte und chronisch kranke Menschen gefährlich. Das macht den meisten Senioren Angst. Viele sagen deshalb den Pflegerinnen ab, aus Angst, die Helfer könnten sie beim täglichen Besuch anstecken. Schon zur Begrüßung bekommt Stephanie manchmal zu hören: "Kommen Sie mir bloß nicht zu nahe. Haben Sie sich auch die Hände desinfiziert?"
In der häuslichen Pflege kommt man sich eben unweigerlich näher, als manchem momentan lieb ist. "Wir waschen die Patienten, helfen beim Zähneputzen, kämmen ihnen die Haare, ziehen ihnen Kompressionsstrümpfe an", sagt Stephanie. "Da ist es unmöglich, den empfohlenen Abstand von zwei Metern einzuhalten."
Deshalb achten die Altenpfleger extrem auf Hygiene. Die Caritas hat für ihre Leute auf Vorrat Desinfektionsmittel gekauft. 30 Cent je Flasche hat der Lieferant aufgeschlagen. Corona-Zuschlag. Leicht verdientes Geld. Weiterer Nachschub ist bestellt, soll kommen. Nur wann, kann keiner genau sagen.

Corona-Krise: Auch Altenpfleger müssen jetzt Schutzkleidung tragen
Momentan ist noch genug da. Demnächst werden Stephanie und ihre Kolleginnen vermutlich mit Mundschutz ihre Patienten besuchen. Staubschutzmasken, mehr gibt es nicht für sie. Seit Freitag trägt Stephanie jetzt ständig die Schutzmaske vor Mund und Nase, zur Vorsicht.
Die Caritas hat Schutzkleidung bestellt. Auf Anordnung der Gesundheitsbehörden müssen sie die Pfleger ab jetzt auch tragen, wie in den Kliniken bereits üblich. Das macht den Job für sie noch schwieriger. Der Anblick eines vermummten Besuchers erschreckt die Leute.
"Versuchen Sie, das einem an Demenz erkrankten Menschen zu erklären, das klappt nicht", sagt die 43-Jährige. "Die erkennen mich nicht mehr, oder vergessen es gleich wieder. Vermutlich lassen die mich nicht mal herein vor lauter Angst."
Corona-Krise: Diese Ängste plagen Senioren
Etliche Patienten haben aus Furcht vor Ansteckung bereits dem Pflegedienst abgesagt. Dabei sind viele der Patienten auf Hilfe angewiesen. Sie kommen alleine nicht zurecht, brauchen Hilfe – und sei es bei der Einnahme von Medikamenten. Dann müssen die Angehörigen in der Pflege einspringen. In Seniorenheimen ist kaum Platz, die Wartelisten lang.
"Einer meiner Patienten kam ins Heim", sagt Stephanie. Der Mann ist nicht mehr gut zu Fuß und sturzgefährdet. Es gibt niemanden, der sich rund um die Uhr um ihn kümmern kann. Die Geriatrieabteilungen der Kliniken können oft auch niemanden mehr aufnehmen. Die Krankenhäuser sollen Betten für Coronafälle frei halten – für den Notfall.
Die Altenpfleger versuchen, ihre Patienten zu trösten. "Früher hat die Pflege gebettelt, lasst uns nicht im Stich", sagt Stephanie, "heute sind es die alten Menschen, die sagen, bitte lasst uns nicht alleine."
Altenpflegerin Stephanie: "Chefs müssen schon einspringen"
Vor Corona hat Stephanie ihre Patienten, wenn Zeit war, mit in ein Café begleitet auf einen Cappuccino und ein Stück Kuchen. Manchmal ist sie mit ihnen auch ins Schwimmbad gefahren. All das geht momentan nicht mehr. Die psychische Belastung für Patient und Pflegepersonal ist hoch. Denn auch nach Feierabend entkommt Stephanie nicht dem Thema Virus.
Zuhause warten auf sie drei schulpflichtige Kinder und ein Mann. Der ist Handwerker. Die ewige Händewascherei nervt ihn. Doch noch mehr belastet ihn die Sorge um die Gesundheit seiner Frau. Bisher sind noch alle fit und gesund in ihrem Team. Doch der eine oder andere ist sicherheitshalber in Quarantäne. Bei einem wird jederzeit das Ergebnis des Coronatests erwartet.
"Die Personallage bei uns ist so eng, dass die Chefs bereits einspringen müssen", berichtet Stephanie. Und bei dem ganzen Stress im Beruf soll ja auch die Familie nicht zu kurz kommen. Jedes Mal, wenn die 43-Jährige durch die Tür kommt, wollen ihr die Kinder am liebsten um den Hals fallen, um sie zu begrüßen. Immer muss sie sie zurückweisen.
Altenpflegerin Stephanie: Kein Kindergeburtstag im April
Erst wenn sie die Arbeitskleidung ausgezogen hat, die Hände desinfiziert sind, schließt sie ihre Liebsten in die Arme. "Die Kinder können nicht verstehen, warum sie plötzlich zu Hause bleiben sollen", sagt Stephanie. "Du gehst doch auch raus", beschweren sie sich bei ihrer Mama.
Und was noch schlimmer ist: Zwei von ihnen haben im April Geburtstag. "Die Party müssen wir verschieben, so leid es mir tut", sagt die Mutter. Verschoben werden müssen auch eine große Bauernhochzeit mit 150 geladenen Gästen im Sommer und eine Firmung im Freundeskreis.
Abends, wenn Stephanie zur Ruhe kommt, desinfiziert sie sich immer wieder die Hände – gefühlt zum tausendsten Mal an diesem Tag. Es ist schon fast ein Zwang. "Im Keller läuft die Waschmaschine mit der Kleidung vom Tag bei mindestens 60 Grad, damit kein Keim, kein Virus überlebt."
Altenpflegerin Stephanie: Das ist ihre größte Angst
Schutzkleidung ist Mangelware, wie auch Desinfektionsmittel. Handschuhe und Schuhüberzieher gibt es noch ausreichend. Jeden Tag werden die Pfleger mit einer neuen Lage konfrontiert.
Wie lange Stephanie und ihre Kolleginnen noch durchhalten müssen, bis das Schlimmste überstanden ist, kann niemand mit Sicherheit sagen. Ihre größte Angst ist, so sagt sie, "dass ich jemanden versehentlich anstecken könnte".
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