Organisiertes Betteln: Die Mafia des Mitleids
MÜNCHEN - Zur Weihnachtszeit werden sie wieder in deutsche Städte gekarrt: Bettelbanden, die hauptsächlich aus der Slowakei stammen. Auch Taschendiebe kommen jetzt nach München, um in der Adventszeit abzusahnen.
Ein Mann mit spindeldürren, blau-gefrorenen Beinen liegt quer auf dem Bürgersteig nahe des Mathäser-Kinos in der Bayerstraße. Um Mitleid heischend fixiert er die Passanten, bittet um eine milde Gabe. Ein zweiter Mann humpelt auf Krücken so nah an die Passanten heran, dass sie kaum an ihm vorbei kommen. „Da fühlt man sich richtig genötigt: Ohne denen Geld zu geben, lassen die einen kaum vorbei“, so ein AZ-Leser.
In der Sendlinger Straße, in der Leopoldstraße und rund um den Hauptbahnhof werden es täglich mehr: In Banden organisierte Bettler, die extra zur Vorweihnachtszeit nach München reisen. Auch Taschendiebe kommen nun wieder gezielt – vor allem aus Osteuropa – nach München, um auf den Christkindlmärkten zuzuschlagen. Mit Videokameras, Plakaten, Handzetteln und verstärkten Streifengängen versucht die Polizei dem Angriff auf die Geldbörsen Herr zu werden.
Das dichte Gedränge auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz, die überfüllten Kaufhäuser und die vollen U-Bahnen sind die begehrtesten Tatort der Diebe. Sie gehen raffiniert vor: Sogar mit Rasierklingen und Skalpellen, mit denen sie im dichten Gedränge blitzschnell Handtaschen oder Hosentaschen aufschneiden. „Nach einem Taschendiebstahl leidet das subjektive Sicherheitsempfinden des Opfers stark“, weiß Gerhard Kappl, Vize-Chef der zuständigen Polizeiinspektion.
Den Taschendieben wird der Kampf angesagt - gegen organisiertes Betteln vorzugehen, ist schwer
1999 zählte die Polizei allein in der Adventszeit 340 Taschendiebstähle in der City. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl erfreulicherweise ab, wohl ein Erfolg besserer Aufklärung und verstärkter Polizeipräsenz, die abschreckend wirkt. 2006 und 2007 waren es noch jeweils 83. Festnehmen konnte die Polizei allerdings lediglich fünf Taschendiebe.
Um den Tätern auch heuer wieder die „Rote Karte“ zu zeigen, hat sich die Polizei bereits gerüstet: Neun Videokameras, deren Bilder in die Verkehrsleitzentrale übertragen und dort live gesichtet werden, wurden installiert. Fünf Fahnder in Zivil werden ab heute an den Brennpunkten im Einsatz sein. Im Bedarfsfall kommt Unterstützung. In den Wirtschaften, U-Bahnhöfen sowie an den Standln werden Plakate aufgehängt, in der U-Bahn gibt es Durchsagen.
Was die Bettlerbanden betrifft, wirkt Polizist Gerhard Kappl resigniert. Mittlerweile ist bekannt, dass die Vielzahl der extra angereisten Bettler aus dem slowakischen Ort Rimavska-Sobota kommt. Sie grasen München und andere deutsche Städte regelrecht ab. Die Bettler sind straff organisiiert. Bei Kontrollen wurden Listen gefunden, in welchen Städten und an welchen Plätzen sich am meisten verdienen lässt. Gerhard Kappl: „Es ist wahnsinnig schwierig, ihnen etwas nachzuweisen. Doch die Bürger stört’s offensichtlich nicht – sonst würden sie denen nichts mehr geben.“
Nina Job