Olympia 1972 in München: So erinnert sich Superstar Heide Ecker-Rosendahl
AZ: Frau Ecker-Rosendahl, die Olympischen Spiele 1972 waren mit zwei Goldmedaillen und einer Silbernen Ihre persönliche Krönung. Wie haben Sie denn die Stimmung in München empfunden, bevor diese Spiele von dem schrecklichen Attentat auf die israelischen Athleten überschattet wurden?
HEIDE ECKER-ROSENDAHL: Wunderbar! München, hat sich von seiner schönsten Seite gezeigt. Wenn ich an München – diese so lange wirklich heiteren Spiele – zurückdenke, sind mir natürlich die eigenen Erfolge sehr präsent, aber auch speziell die unglaubliche Stimmung, die im Olympiastadion und rund um die Arena herrschte. Alles war offen, freundlich, schön – eben heiter. Ich habe im Laufe der Zeit in verschiedenen Funktionen – als Sportlerin, als Funktionärin, als Reporterin – Olympische Spiele vor Ort erlebt, und wenn ich das vergleiche, muss ich wirklich sagen: München war besonders schön, war einzigartig. Die Art, wie die Bevölkerung teilgenommen hat, war beeindruckend. Die Menschen waren mitgerissen von der Atmosphäre – diesen Enthusiasmus haben sie auf den Rängen widergespiegelt. Das kann man definitiv nicht über alle Spiele danach sagen. . . Als Athletin habe ich es als ein wunderbares Zeichen empfunden, wie die Münchner, die bayerische Bevölkerung, die Deutschen ein Teil des ganzen Erlebnisses wurden. Und da sie das Attentat angesprochen haben: Selbst dieser unfassbare Terrorakt, der uns alle zutiefst erschüttert hat, wurde von der Öffentlichkeit, von den Zuschauern im Stadion, mit Anstand und aufrichtiger Anteilnahme verarbeitet. Es war Betroffenheit, es war Trauer, es war Empathie, nicht diese Wut, dieser Hass, der solch fürchterliche Ereignisse oft begleitet. Es ist sehr traurig, dass diese so schönen Spiele für alle Zeit mit dem Schrecken dieses sinnlosen Attentats verbunden sind.

Ein Ort, an dem man Zeit verbringen wollte
Die Spiele 1972 waren mit Ihren Pastellfarben, dem offenen Konzept ja bewusst als der Gegenentwurf zu den letzten Olympischen Spielen davor in Deutschland – den Nazi-Spielen 1936 in Berlin – geplant worden.
Ja, das Konzept war eigentlich perfekt. Das Stadion mit seiner tollen Architektur, der Park drumherum. Die Straße mit all diesen Kunstwerken. Es war ein Ort, an dem man Zeit verbringen konnte – und wollte. Es waren Spiele für die Menschen, die Bevölkerung, ein Ort der Begegnung und des Miteinanders. Vor drei Jahren war ich übrigens bei den European Championships in München vor Ort. Ich war an einem der Wettkampftage im Stadion. Es hat wirklich strömend geregnet, aber die Fans haben die Arena nicht verlassen, sondern sind alle unter das Dach gekrochen und haben die Sportler begeistert angefeuert. So eine tolle Bevölkerung wie in München hat man nicht überall. Die Stimmung ist in der Leichtathletik hier immer besonders, das hat man auch bei der EM 1993 gesehen. Bei Großereignissen, auch dem Sommermärchen – der Fußball-WM 2006 – zeigt Deutschland sein sehr, sehr schönes, freundliches Gesicht. Die Menschen hier sind sehr sportbegeistert – und dieser Enthusiasmus wird an und in den Sportstätten für alle sichtbar. Das ist einfach schön.

Dabei waren Sie anfangs gar nicht so begeistert, dass die Spiele in München stattfanden.
Stimmt. Damals ist man als junger Mensch nicht so groß in der Welt herumgekommen wie heute. Da waren Olympische Spiele die große Chance, Orte zu sehen, Kulturen zu erleben, die man ohne den Sport nicht kennengelernt hätte. Die Spiele 1964 waren in Tokio, Olympia 1968 in Mexiko-Stadt. Da hatte München natürlich nicht viel Exotisches zu bieten. Aber im Nachhinein war es das schönste Erlebnis überhaupt, dass diese Spiele in der Heimat stattgefunden haben. Das Gefühl, die Begeisterung waren einmalig.
Thema Begeisterung: Sie bescherten der deutschen Leichtathletik im Weitsprung bei den Spielen die erste Goldmedaille.
Das war mir in dem Moment gar nicht so bewusst. Ich hatte ja auf die Teilnahme an der Eröffnungsfeier verzichtet, war erst zwei Tage vor dem Wettkampf angereist. Ich hatte daher gar nicht so auf dem Schirm, dass es die erste Goldene für die westdeutsche Leichtathletik war, das habe ich erst später erfahren. Ich habe eigentlich nur meinen Wettkampf gemacht.

Gold für Sie, die Frau mit der Nickelbrille und den rot-weißen Ringelsocken – Ihrem Markenzeichen. Wie kam es dazu?
Ich hatte mir mal aus Amerika Socken mit einem roten Band mitgebracht. Bis dahin gab es ja nur weiße Strümpfe. Ich wollte, dass die Socken zu unserem Trikot – wir haben diesen breiten roten Bruststreifen und die Längsstreifen an der Hose – passen. Ein Allgäuer Unternehmen – Kunert – hat mir eine Kiste mit Ringelsocken, ich glaube, es waren 50 Paar, geschickt. Die habe ich getragen, denn es war mir wichtig, dass die Socken eine spezielle Baumwollmischung haben. Das ist mit dem Sand im Weitsprung sehr bedeutend, damit es nicht scheuert. Die Kiste hat mir bis zum Karriereende gereicht.

Das kam bereits ein Jahr nach den Olympischen Spielen – mit nur 26 Jahren.
Eigentlich war für mich die Karriere schon nach München beendet. Danach habe ich nur noch ein paar kleine Wettkämpfe gemacht. In München waren all meine Träume in Erfüllung gegangen – und da ich selber noch eine Familie gründen wollte, war das der richtige Zeitpunkt für mich aufzuhören.
Deutschland will sich um die Ausrichtung der Spiele 2036, ‘40 oder 44’ bewerben. Einer der möglichen Austragungsorte wäre München – das wäre ja im Zuge der Nachhaltigkeit auch ein perfekter Ort.
Deutschland hätte es wirklich verdient, wieder Olympische Spiele auszutragen. Egal, ob das das jetzt in München, Berlin oder Nordrhein-Westfalen wäre. Olympische Spiele würden dem Sport, dem Ansehen des Sports hier einen großen Schub geben und hoffentlich dazu führen, dass sich junge Menschen wieder für Sport im Allgemeinen, aber auch Leistungssport begeistern können.

Sie haben selber ja nicht nur durch Olympia eine ganz besondere Beziehung zu München.
Das stimmt, ich habe hier mein Studium verbracht. Die Innenarchitektur war ja immer meine zweite Liebe neben dem Sport. Und wie es eben bei Studenten so ist, haben wir die Münchner Biergärten schon alle mal durchgemacht. Ich habe es immer sehr genossen, dass man in München zu fast jeder Tageszeit in einen Biergarten gehen, sein Bierchen trinken und seine Brezn essen kann. Auch der Englische Garten ist ein sehr schönes Fleckchen. Ich muss sagen: Ich bin heute immer noch sehr gerne in München.
Interview: Matthias Kerber
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