Oktoberfest 2025: Warum es dieses Jahr kein Wiesn-Herz am Himmel gibt

Es ist der 16. September 2023 – der Morgen vom Anstich auf der Wiesn. Vom Fenster seines Flurs blickt Sascha Odermann auf die Menschenmassen, die sich in Tracht in Richtung Theresienwiese schieben. Der Himmel über München ist knallblau. Kein Wind, keine Wolken – perfektes Flugwetter. Der Kunstflieger hat für diesen Tag zwei Flugshows geplant. Eine in Pfarrkirchen, die andere in Straubing.
Tief in Gedanken sucht er seine Ausrüstung zusammen. Seit dem Vorabend lässt ihn eine Idee nicht mehr los: "Wie schön wäre es, heute Punkt zwölf ein Herz über die Wiesn in den Himmel zu zeichnen?" Fast immer beginnt er so auch seine Shows. Doch über dem Festgelände gilt ein strenges Flugverbot. Dennoch beginnt er, herumzutelefonieren: Deutsche Flugsicherung, Behörden, Ämter – einer nach dem anderen.
Sascha Odermann darf fliegen, über die Wiesn – und den Besuchern ein Herzl schenken
Auf dem Weg zum Flugplatz erhält er einen Rückruf. Die Polizei ist dran: Sascha Odermann bekommt eine Sondergenehmigung und darf fliegen, über die Wiesn. Wenn der 49-Jährige von diesem Tag erzählt, beginnen seine hellblauen Augen zu leuchten und er kann mit dem Grinsen nicht aufhören. "Das war irre – ich konnte von oben sogar den Schatten des großen Herzens sehen. Da wusste ich: Wow, das ist richtig schön geworden."
Ein Jahr später, 2024, riefen das Fernsehen und Radiostationen bei ihm an und fragten, ob er wieder ein Herzl fliegen könne. Und das tat er. Doch heuer, 2025, wird der Münchner wohl keines fliegen können – selbst nicht, wenn der Oberbürgermeister höchstpersönlich bei ihm anrufen würde.
Sascha Odermann lebt für das Fliegen. Er ist deutscher Meister im Motorkunstflug, Pilot bei der Lufthansa und Hauptflugleiter beim Segelflugzentrum Königsdorf, nahe Bad Tölz. Für seine Wiesnherzl diente ihm ein eigens gebauter Prototyp des Studentenvereins Akaflieg München (Akademische Fliegergruppe). Ihre quietschgelbe "Mü 30", auch genannt "Schlacro" – eine Wortneubildung aus "Schlepp" und "Acrobatik".
Denn der Verein, der seit über 100 Jahren besteht, hatte in den 80er Jahren eine Vision: Ein Motorflugzeug, das wendig ist, sich gut steuern lässt und dabei starke Flug- und Steigleistungen hat. Alles wichtig für Kunstflüge, aber auch, um Segelflugzeuge in die Luft zu ziehen. Ganz nach ihrem Motto "Konstruieren. Bauen. Fliegen", machte sich die Akaflieg damals ans Werk.
Nach vielen Höhen und Tiefen im Bau hob Schlacro im Jahr 2000 zum ersten Mal ab. Seither ist das Flugzeug fester Bestandteil auf dem Flugplatz – und regelmäßig bei Kunstflugmeisterschaften im Einsatz. Doch Ende 2024 macht der Verein am Flugzeug eine ernste Entdeckung.

Odermann: "Wir haben ein sehr enges Verhältnis zu diesem Flugzeug"
Sascha Odermann zieht die Plane von dem gelben Blechvogel und schaut mit mitleidigem Blick auf sein Gerippe. "Wir haben ein sehr enges Verhältnis zu diesem Flugzeug", erklärt der 49-Jährige. Bei Schlacro wurden die Seitenwände entfernt und zwischen Metallstäben hindurch sieht man auf sein Inneres. Seine Schnauze fehlt vollständig. Dort wo sonst sein Motor mit Propeller verbaut ist, hängen rote Schläuche und Kabel herunter.
"Letzten November haben wir die übliche Jahreswartung gemacht", erzählt Odermann. Für eine kleinere Reparatur wurde die Mü 30 zu einem Wartungsbetrieb gebracht. Doch als der Motor geöffnet wurde, entdeckte man etwas weitaus Gravierenderes – "Das war Glück im Unglück", sagt der Münchner und zieht die Augenbrauen hoch. An einem Teil fand man einen Haarriss, mit bloßem Auge nicht zu sehen. "Den sah man nur unter UV-Licht."
So ein Riss kann gefährlich werden und dafür sorgen, dass der Motor ausfällt. Mit dem Riss war klar: Totalschaden, der Motor muss komplett überholt werden. Das kostet nicht nur Zeit – insgesamt wird Schlacro etwa 100.000 Euro schlucken, bevor er wieder einsatzbereit ist. Ein herber Schlag für den Verein.
20-jähriger Student übernimmt die Verantwortung für Problemkind "Schlacro"
Ein junger Mann kommt über den Flugplatz gelaufen. Er trägt ein knallgelbes T-Shirt – passend zum Schlacro und zur Vereinsfarbe der Akaflieg. Tim Grassinger studiert Luft- und Raumfahrttechnik an der Hochschule München. Vor Kurzem hat der 20-Jährige die Verantwortung rund um die Mü 30 von einem Vereinskollegen übernommen, der zum Studieren ins Ausland gegangen ist.

Seine Begeisterung fürs Fliegen begleitet Tim Grassinger seit seiner Kindheit. Zwar seien seine Eltern nicht besonders flugbegeistert, sagt er, aber schon als kleiner Junge sei er gerne mit seinen Großeltern in der Flugwerft des Deutschen Museums in Schleißheim gewesen. Nach seinem Schulabschluss war für ihn klar, wohin die Reise geht: "Am ersten Tag meines Studiums bin ich zur Akaflieg marschiert."
Mit 19 macht er seinen Segelflugschein, mit 20 folgt der Motorsegler. Inzwischen habe sich die Begeisterung auch etwas auf seine Eltern übertragen: "Sie freuen sich schon, wenn man mal übers Haus fliegt", sagt er und lacht.
Mit Schlacro hat Tim Grassinger jedenfalls ein echtes Problemkind übernommen. Die Freude darüber lässt er sich trotzdem nicht nehmen – denn der gelbe Flieger gilt als Aushängeschild und ganzer Stolz des Vereins. Selbst der berufliche und private Dauerflieger Sascha Odermann sagt: "Es ist eine Ehre für mich, ihn zu fliegen." Bis Odermann allerdings wieder am Steuerknüppel des Motorfliegers sitzen kann, wird es noch ein bisserl dauern.
Verein bittet um Spenden für ihren gelben Flitzer
100.000 Euro sind für den Verein keine alltägliche Summe. Odermann erklärt: "Die Akaflieg hat zwar unglaubliche Werte als Prototypen rumstehen, aber die sind alle selbst gebaut. Das ist echt irre – die planen und bauen Flugzeuge, die auf dem freien Markt 200.000 Euro wert wären. Aber das ist eben alles Eigenleistung." Ein Betrag wie der für die Reparatur von Schlacro könnte der Verein allein jedenfalls nicht so einfach stemmen – dafür braucht es Unterstützung von außen. Nun hoffen sie auf Spenden für ihren gelben Flitzer.
Auch wenn heute nicht mit dem Schlacro, will Sascha Odermann trotzdem eine Runde drehen. Mit zwei anderen Flugbegeisterten gehört ihm ein Motorsegler. 200.000 Euro hat der weiße Zweisitzer gekostet. Der Pilot kramt in den Spints der großen Flughalle nach einem Headset, dann kann es losgehen. Elegant hüpft er in den tiefen Sitz und reckt den Daumen nach oben – alles bereit.

Der 49-Jährige schmeißt den Motor an und macht sich auf den Weg zum Startpunkt. Dort kommt er zum Stehen. Vor ihm wird noch ein Segelflugzeug mit einem anderen Schleppflugzeug in den Himmel gezogen. Währenddessen checkt der Münchner gründlich alle Steuerfunktionen, Türen und Öffnungen am Flugzeug sowie die Funkverbindung. Dann erhält er die Starterlaubnis. Odermann rollt in Position, dann drückt er aufs Gas.
Sascha Odermann: "Da soll noch mal jemand sagen, dass Fliegen langweilig ist"
Die weiße Maschine hebt ab und gleitet über das grüne, hügelige Oberland hinweg. Sie steigt immer weiter. Der Höhenunterschied macht sich durch Druck auf den Ohren bemerkbar. Man sieht Sascha Odermann die Routine beim Fliegen an. So oft hat er die Welt schon von oben gesehen – und doch scheint er sich jedes Mal aufs Neue zu freuen, wenn sich der Boden unter ihm löst.
Mit einem Lächeln auf den Lippen blickt er nach Süden zu den Osterseen. "Ich möchte sehen, welche Farbe sie heute haben", sagt er und zieht die Maschine sanft nach links. Die Seen nahe Starnberg muten aus der Luft wie ein beinahe unwirkliches Bild an: außen hellgrün, in der Tiefe wie mit dem Pinsel dunkelblau gezogen. Ein ganz anderes Bild bietet der Walchensee, den der Pilot kurz darauf anfliegt.
Den Motor hat er inzwischen abgestellt – die Aufwinde reichen aus, und das Fliegen wird noch friedlicher. Fast lautlos gleitet der Motorsegler über das türkisfarbene Wasser des Sees, der glitzernd in seiner Senke liegt. Dann dreht er zur Benediktenwand. Wanderer am Gipfel winken dem Piloten zu, Sascha Odermann winkt mit einem breiten Grinsen zurück: "Da soll noch mal jemand sagen, dass Fliegen langweilig ist", ruft er in sein Headset und lacht.
Man kann sich wahrlich vorstellen, wie groß seine Freude ist, wenn er über die Wiesnbesucher hinwegschwebt und ihnen zum Anstich ein weißes Herzl schenkt. Wenn Schlacro wieder bereit zum Abheben ist, vielleicht ja schon nächstes Jahr.
Der Verein bittet für seine „Mü30“ um Mithilfe durch Spenden. Empfänger: Akaflieg München e. V.
IBAN: DE50 7025 0150 0017 2830 94,
BIC: BYLADEM1KMS,
Bank: KSK München Starnberg