OB Reiter: "383 Millionen für den Klinik-Notfall"
Fünf Kliniken besitzt die Stadt München (Neuperlach, Harlaching, Schwabing, Bogenhausen, Thalkirchner Straße). Seit Jahren werden diese nur mit viel Aufwand am Leben gehalten. Jetzt hat OB Dieter reiter eine hoihe Millionen summe zugesagt - das AZ-Interview.
AZ: Grüß Gott, Herr Reiter, ausnahmsweise beginnt ein AZ-Interview mit einem Dankeschön. Sie haben in einem Rundbrief alle SPD-Mitglieder aufgefordert, die Abendzeitung in schweren Zeiten zu abonnieren. Und die Stadt hat sich unter Ihrer Leitung als OB engagiert, damit eine Transfergesellschaft entsteht für die vielen Kollegen, die nun nicht mehr bei der AZ arbeiten dürfen.
DIETER REITER: Die Nachricht, dass die Abendzeitung insolvent sein soll, hat mich erschüttert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wir haben als Stadt dann alles getan, was zur Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AZ möglich war. Und mein Brief an die Genossen ist mir spontan eingefallen. Ich bin seit vielen Jahren Abonnent der Abendzeitung: Obwohl ich täglich alle Münchner Zeitungen lese, ist die AZ die einzige, die bei uns morgens im Briefkasten liegt. Ich werde die weitere Entwicklung auf jeden Fall sehr genau verfolgen.
Wie ist zuletzt Ihre persönliche Entwicklung verlaufen, der Start nach einer Verwaltungs-Karriere ins Amt des OB?
Natürlich kennen mich heute mehr Menschen als vorher. Wenn ich jetzt über den Marienplatz gehe, oder sonst in der Stadt unterwegs bin, sprechen mich viele an, halten mich auf, geben mir ihre persönlichen Anliegen mit auf den Weg. Die Leute erwarten zu Recht, dass sich jetzt etwas bewegt.
In welchen Bereichen?
Wir waren – angesichts des enormen Wachstums der Stadt – ein bisschen spät dran mit manchen Dingen. Wir haben es zum Beispiel lange nicht hinbekommen, eine gemeinsame Anmeldestelle für Kinderbetreuungsplätze einzurichten. Dass es daran fehlt, habe ich in den vielen Gesprächen mit Eltern, vor allem Müttern, immer wieder gehört. Die brauchen einen Betreuungsplatz, weil sie arbeiten müssen, um sich München leisten zu können. Dazu gehört, dass Eltern per Computer Name und Adresse eingeben – und dann der nächste freie Betreuungsplatz angezeigt wird. Unkompliziert und schnell. Das werden wir jetzt umsetzen.
Wo noch?
Das Thema bezahlbares Wohnen ist eine der größten Herausforderungen – viele Menschen können sich die Mieten in München kaum noch leisten. Da müssen wir dagegen steuern, schnelle und unbürokratische Schritte einleiten. Bezahlbare Wohnungen zu schaffen für junge Menschen, Familien und Senioren, das ist der Mittelpunkt meiner politischen Arbeit der nächsten Jahre. Ich will Oberbürgermeister der Bürger sein und dazu gehört zwingend, auch die Themen der Bürger aufzugreifen. Bezahlbares Wohnen steht da an oberster Stelle.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Kliniken, Schulen, etc. – hat Ihr Vorgänger Christian Ude es zu sehr schleifen lassen?
Die Kliniken waren zunächst ja nicht in seiner Zuständigkeit, das muss man schon noch einmal klar stellen. Er mag politisch verantwortlich gewesen sein, aber es gab eben auch ein zuständiges Betreuungsreferat und einen Aufsichtsrats-Vorsitzenden. Vergangene Woche leitete ich das erste Treffen des Lenkungskreises. Ich bin wild entschlossen, alles dafür zu tun, dass die Kliniken wieder in ruhiges und solides Fahrwasser kommen – und zwar nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter, die machen ja eine hervorragende Arbeit. Wir werden viele Millionen investieren, um eine gute Gesundheitsvorsorge für die Münchner aufrecht zu erhalten.
Wie viele Millionen?
Wir werden nach erster Einschätzung 383 Millionen Euro Eigenkapital zuführen, um die Insolvenz abwenden zu können. Hier retten wir als Stadt ein Unternehmen, das in der freien Wirtschaft längst insolvent wäre – weil die Münchnerinnen und Münchner durchaus zu Recht erwarten, dass wir als Stadt eine umfassende medizinische Versorgung gewährleisten.
Was wäre, wenn die Kliniken privatisiert würden?
Diese Frage stellt sich nicht, weil ich alles dran setzen werde, die Kliniken in städtischer Hand zu halten. Eine Privatisierung schließe ich aus.
Die Zahl der Krankenhausbetten je Einwohner ist in München überdurchschnittlich hoch. Hier kommen 216 Einwohner auf ein Krankenhausbett. In Hamburg oder Berlin sind es über 500.
Völlig richtig. Aber ich werde nicht der erste Oberbürgermeister sein, der – erstens – in diesem Bereich mehrere tausend Menschen auf die Straße setzt. Und – zweitens – das Ende dessen einläutet, was wir jahrzehntelang als Eckpfeiler der kommunalen Daseinsvorsorge verstanden haben, nämlich die städtischen Kliniken.
Knapp 400 Millionen Euro von der Stadt, um die Pleite abzuwenden – und dann ist in den Häusern noch nichts saniert?
Doch, die Summe beinhaltet vorwiegend Investitionen. Das hängt ja damit zusammen: Wenn Sie investieren müssen und kein Fremdkapital mehr bekommen, müssen Sie Eigenkapital zuschießen. Weil die Banken nicht bereit sind, der Klinikum GmbH Kredite zu geben, bleibt nur die Öffentliche Hand: die Stadt München. Wir hoffen natürlich, dass wir mit dieser finanziellen Aufstockung das operative Ergebnis langfristig auf eine schwarze Null bringen. Dazu muss man auch neu bauen, um alte Gebäudeteile ersetzen zu können.
Schwabing, Bogenhausen, Neuperlach, Harlaching sind betroffen. Mit wie vielen Standorten planen Sie in Zukunft?
Wir wollen alle vier Standorte erhalten. Das ist mein festes Ziel. Aber wir müssen uns jeweils mit der Bettenzahl am Markt orientieren. Wir werden Betten abbauen müssen, daran führt kein Weg vorbei. Es macht keinen Sinn, ein Drittel aller Betten in München zu halten, aber nur 18 Prozent des ganzen Umsatzes zu machen. Ich gehe nach wie vor fest davon aus, dass wir ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen werden. Und natürlich werden wir mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften einen Sanierungstarifvertag verhandeln. Es kursieren ja täglich neue Hiobsbotschaften – das ist wenig hilfreich. Es muss darum gehen, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten – nicht mehr, nicht weniger.
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- Christian Ude