NSU-Morde in München: Zwei Tafeln als Mahnmal

Zwölf, bzw. acht Jahre nach den Morden: In Ramersdorf und auf der Schwanthalerhöhe werden Gedenktafeln für die Münchner NSU-Opfer enthüllt.
Anne Kostrzewa |
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Die sieht die deutschlandweit einheitliche Gedenktafel aus. Sie nennt die Namen aller zehn Opfer des NSU-Terrors.
ack 6 Die sieht die deutschlandweit einheitliche Gedenktafel aus. Sie nennt die Namen aller zehn Opfer des NSU-Terrors.
Pinar Kilic, die Witwe des 2001 ermordeten Habil Kilic, verteilt an die Anwesenden weiße Rosen.
Daniel von Loeper 6 Pinar Kilic, die Witwe des 2001 ermordeten Habil Kilic, verteilt an die Anwesenden weiße Rosen.
Gavriil Boulgarides und seine Frau zünden für den getöteten Bruder und Schwager, Theodoros Boulgarides, Kerzen unter der Gedenktafel in der Trappentreustraße an.
Daniel von Loeper 6 Gavriil Boulgarides und seine Frau zünden für den getöteten Bruder und Schwager, Theodoros Boulgarides, Kerzen unter der Gedenktafel in der Trappentreustraße an.
Bürgermeisterin Christine Strobl enthüllt in der Bad-Schachener-Straße in Ramersdorf die Gedenktafel für den 2001 ermordeten Habil Kilic.
Daniel von Loeper 6 Bürgermeisterin Christine Strobl enthüllt in der Bad-Schachener-Straße in Ramersdorf die Gedenktafel für den 2001 ermordeten Habil Kilic.
Enthüllung der Gedenktafeln für NSU-Opfer
Daniel von Loeper 6 Enthüllung der Gedenktafeln für NSU-Opfer
Staatssekretär Eisenreich (links) drückt Pinar Kilic (Mitte), der Witwe des vierten NSU-Opfers, tröstend die Hand. Im Hintergrund: Herzog Franz von Bayern.
Daniel von Loeper 6 Staatssekretär Eisenreich (links) drückt Pinar Kilic (Mitte), der Witwe des vierten NSU-Opfers, tröstend die Hand. Im Hintergrund: Herzog Franz von Bayern.

München - Es ist ruhig vor dem kleinen Gemüseladen, an dessen Werbetafeln bereits Weihnachtsgirlanden hängen. Auffallend ruhig für einen geschäftigen Freitagmorgen an der vierspurigen Bad-Schachener-Straße am U-Bahnhof Innsbrucker Ring. Und für die Menschenmenge, die sich vor dem gelben Haus mit der Nummer 14 versammelt hat.

Vor mehr als zwölf Jahren, am 29.August 2001, wurde hier Habil Kilic ermordet, erschossen vom rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Nun soll der türkischstämmige Familienvater mit einer Gedenktafel an der Hauswand geehrt werden.

Einem Mahnmal, das neben Habil Kilics Namen auch die anderen neun Opfer nennt, die durch die Hände der Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwischen 2000 und 2007 den Tod fanden.

Habil Kilic war das vierte Opfer der rechten Mordserie. Ihr siebtes Opfer fand der NSU ebenfalls in München: Theodoros Boulgarides starb 2005 in seiner Schlüsseldienst-Filiale an der Schwanthalerhöhe.

Die Angehörigen beider Münchner Opfer stehen nun zwischen Polizeibeamten, Journalisten, Vertretern der Bayerischen Staatsregierung und des Münchner Rathauses. Ebenfalls erschienen ist Herzog Franz von Bayern.

Die Polizei hat die Straße gesperrt. Niemand soll die Veranstaltung stören.

An der Fassade, rechts neben dem Schaufenster des Gemüseladens, ist die Gedenktafel hinter schwarzem Stoff verhüllt. Anwohner lugen aus den Fenstern, Kameras klicken, eine Dame sucht in ihrem Mantel nach Taschentüchern. Schweigen.

Es ist die Witwe Habil Kilics, die schließlich die schwere Stille durchbricht. Mit einem großen Strauß weißer Rosen geht sie durch die Menge, gibt jedem eine Blume, um sie an der Gedenktafel abzulegen.

Pinar Kilic wirkt gefasst, schenkt jedem, der ihr die Hand schüttelt, ein schmales Lächeln. Jede Woche komme sie zurück an diesen Ort, sagt sie. Jede Woche, seit zwölf Jahren.

Auch als die Blaskapelle des Münchner Petersturms Händels Sarabande in moll anstimmt und Bürgermeisterin Christine Strobl die Angehörigen der Opfer um Vergebung bittet für das, was in dieser Stadt geschehen ist, blickt Pinar Kilic tapfer geradeaus.

Später steht sie neben der Bürgermeisterin vor der enthüllten Gedenktafel, liest schweigend die Namen der Opfer. Dann legt sie für ihren verstorbenen Mann die erste weiße Rose auf den Gehweg. Strobls Hand ruht dabei auf ihrer Schulter.

„Die Tafel ist schön“, sagt Kilic leise. „Es hat lange gedauert, aber nun ist sie da. Das ist es, was zählt.“

Die Gedenktafel zeige, dass die Gesellschaft ihren Mann nicht vergessen habe: „Das ganze Land steht hinter uns.“

Dass das nicht immer so war, daran erinnert Gavriil Boulgarides, als kurz darauf in der Trappentreustraße 4 auf der Schwanthalerhöhe die Gedenktafel für seinen getöteten Bruder enthüllt wird. Wie die Angehörigen von Habil Kilic fand sich auch die Familie von Theodoros Boulgarides nach dessen brutaler Ermordung im Fadenkreuz der Ermittler.

„Wir wurden alle verdächtigt“, erinnert sich sein Bruder. „Das war eine schwere Zeit für uns, die viel Kraft gekostet hat.“

In keinem der zehn Mordfälle waren die Ermittler von einem rechten Tatmotiv ausgegangen. Lange ermittelten sie nur im Bekanntenkreis der Opfer, vermuteten Verbindungen zur Mafia.

Zu lange.

„Für die Angehörigen der Opfer ist es kein Trost, dass die Staatsregierung nun alles daran setzt, die Morde aufzuklären“, meint auch Georg Eisenreich, Bayerns Kultus-Staatssekretär.

Doch Gavriil Boulgarides ist bereit zu verzeihen. „Hass und Wut haben doch keinen Sinn.“

Im Freistaat gebe es noch immer sehr viel rechte Gesinnung, so Boulgarides, der mit seiner Familie in dritter Generation in München lebt. Das müsse sich endlich ändern.

Er fordert von der Staatsregierung mehr Schutz und Hilfe. „Bayern ist unsere Heimat. Wie kann es sein, dass wir trotzdem Angst haben müssen?“

Seine Schwägerin, die Witwe von Theodoros Boulgarides, sei aus Angst vor rechten Übergriffen nicht zur Gedenkveranstaltung gekommen, meint er. „Sie lebt noch immer in großer Angst.“

Gavriil Boulgarides wünscht sich, dass die Gedenktafel seines getöteten Bruders, vor der nun ein Meer von Kerzen brennt, ein Zeichen setzt und seine Familie endlich wieder nach vorne blicken kann. „Ich hoffe, die Tafel rüttelt viele wach und hilft, dass so etwas nicht wieder passiert.“

 

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