Nacht-Pflege einmalig in Deutschland: Erste Plätze in München

Obwohl ein Anspruch darauf besteht, gibt es bis heute deutschlandweit keine einzige reine Nachtpflegeeinrichtung. Das ändert sich nun – in München-Allach. Warum den Betreibern gelingt, woran so viele scheitern.
Lisa Marie Albrecht
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Eine Nacht durchschlafen – für pflegende Angehörige nicht immer möglich. Genau hier setzt der Verein Wohlbedacht an. (Symbolbild)
Eine Nacht durchschlafen – für pflegende Angehörige nicht immer möglich. Genau hier setzt der Verein Wohlbedacht an. (Symbolbild) © imago/photothek

München - Abends in die Oper gehen und danach noch ein Glas Wein trinken, übers Wochenende wegfahren oder einfach nur mal wieder ein paar Nächte durchschlafen: Das alles ist für die meisten Menschen, die eine Pflegebedürftige oder einen Pflegebedürftigen daheim betreuen, Luxus. Um pflegende Angehörige zu entlasten gibt es neben der Kurzzeitpflege und anderen Leistungen auch das Angebot der Nachtpflege - in der Theorie.

Nachtpflege ist eine Leistung der Pflegeversicherung, sie ist im Sozialgesetzbuch verankert und sobald die betreute Person einen Pflegegrad 2 hat, können Aufwendungen dafür von der Pflegekasse zumindest in Teilen erstattet werden. Sie kann sowohl stationär, also eingestreut in Seniorenheime erbracht werden oder teilstationär - wie eine Tagespflege, nur eben nachts.

Angehörigen bietet das Konzept die nötige Flexibilität

Doch all das nützt pflegenden Angehörigen derzeit wenig. Denn: Deutschlandweit gibt es praktisch keine Nachtpflege. Einige eingestreute Betten gibt es in Pflegeheimen, jedoch keine einzige reine Nachtpflege-Einrichtung. Dies könnte sich aber sehr bald ändern - dank des Vereins Wohlbedacht in München-Allach. Vorstandsmitglied Annette Arand und ihr Team werden hier in einem umgebauten Möbelhaus in der Eversbuschstraße unter anderem zwölf Nachtpflegeplätze schaffen. Es wird hierzulande die erste Einrichtung dieser Art überhaupt. Gedacht ist die neue Nachtpflege speziell für demenzerkrankte Menschen, denn darauf ist Wohlbedacht spezialisiert.

Bereits seit 2014, erzählt Arand der AZ, bietet Wohlbedacht neben Wohngemeinschaften für Demenzpatienten und einem Krisendienst auch eine Nachtbetreuung an. Nun soll diese mit dem Umbau des 900 Quadratmeter großen Hauses in eine offizielle Nachtpflege umgewandelt werden. "Der Unterschied ist, dass die Nachtbetreuung eine private Leistung ist", so Arand. "Die Nachtpflege hat eine Kassenzulassung und kann entsprechend abgerechnet werden." Zudem entstehen in dem Gebäude zwei Demenz-Wohngemeinschaften, auch einen Garten soll es geben.

Tages- und Nachtpflege in Kooperation

Dass eine Nachtbetreuung bisher überhaupt funktioniert hat, liegt daran, dass Wohlbedacht eng mit der Münchner Tagespflege Rosengarten zusammenarbeitet und sich ein Gebäude teilt. So sind Angehörige etwa nicht gezwungen, sich strikt an die Öffnungszeiten der Tagespflege zu halten, können Pflegebedürftige auch einmal später abholen, ein Wochenende freimachen oder auch nur "einen gemütlichen Fernsehabend daheim verbringen", sagt Arand.

"Dadurch, dass unsere beiden Träger kooperieren, sind solche Modelle möglich. Und die Nachtpflege profitiert davon." Beide Träger bekamen im Jahr 2021 den Tagespflege Innovationspreis für ihr Konzept der verschränkten Tages- und Nachtpflege.

Zu diesem besonderen Modell läuft derzeit auch eine wissenschaftliche Begleitforschung, bezuschusst durch das bayerische Pflegeministerium. Sie soll unter anderem Erkenntnisse darüber liefern, inwiefern pflegende Angehörige durch diese flexiblen Betreuungszeiten besonders entlastet werden.

Wenn es gut läuft, könnte das Setting der verschränkten Tages- und Nachtpflege, mit der nächsten Pflegerechtsreform rechtlich definiert werden und damit bundesweit Verbreitung finden.

Alleinige Nachtpflege aufwändig zu organisieren

Eine solitäre, also alleinige Nachtpflege ohne eine kooperierende Tagespflegeeinrichtung dagegen werde viel schwerer zu betreiben sein, sagt Arand. Für die Nutzer biete sie weniger Flexibilität. Für die Träger sei sie aufwendig und kaum rentabel, denn es brauche ohnehin knappes Fachpersonal, das bereit sei, ausschließlich nachts zu arbeiten. Und zudem bedeute Nachtpflege erheblich mehr Aufwand für Organisation, Pflege und Hauswirtschaft, da die Besucher wie in der Tagespflege häufig wechseln.

Annette Arand, Vorstandsmitglied von Wohlbedacht.
Annette Arand, Vorstandsmitglied von Wohlbedacht. © Petra Schramek

Das bayerische Pflegeministerium hat das Problem der weithin fehlenden Nachtpflege erkannt. Auf AZ-Anfrage teilt man mit, man setze sich "für eine grundsätzliche Reform der Pflegeversicherung mit Aufhebung der Sektorengrenzen im Leistungsrecht ein." Das Pflegeversicherungsrecht müsse konsequent vereinfacht und flexibilisiert werden, so eine Ministeriumssprecherin. Das Gesundheitsministerium hofft darauf, dass auch das Modell der "eingestreuten Nachtpflege" in stationären Pflegeheimen durch die wissenschaftliche Auswertung Rückenwind gewinnt.

Staat fördert stationäre Pflege nur bedingt

Bisher werden Betreibern noch viele Steine in den Weg gelegt. So muss es zum Beispiel eine strikte Trennung bei der Vergütung geben zwischen Pflegepersonal im Heim und der Nachtpflege, erklärt das Ministerium - "was einen komplexen Planungs- und Organisationsaufwand bedeutet". Um den Ausbau auch von Nachtpflegeplätzen voranzutreiben, bietet der Freistaat eine Investitionskostenförderung an. 25.000 Euro pro Platz gibt es, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind, etwa, dass die Einrichtung dauerhaft Nachtpflegeplätze anbietet und dass Aspekte "der Demenzsensibilität und für Menschen mit Hör- und Sehbeeinträchtigung" berücksichtigt werden.

Mithilfe der Freistaatförderung hat auch Wohlbedacht einen Teil der Kosten von insgesamt 2,5 Millionen Euro für den Umbau finanziert. Darüber hinaus haben private und öffentliche Stiftungen Geld gegeben und auch zehn Bezirksausschüsse des Münchner Nord-Westens. "Sehr schwierig" sei die Finanzierung gewesen, sagt Arand, nicht zuletzt weil der Stadtrat mitten im Umsetzungsprozess entschied, die Stadt zahle nur noch Investitionskostenzuschüsse, wenn es kein Geld vom Freistaat gibt. Die sich auftuende Finanzlücke musste der Verein dann selbst durch Geld privater Stiftungen und einen Kredit schließen.

Bald in München: erste stationäre Nachtpflege 

Arand würde sich für die Zukunft wünschen, dass Investitionskosten für Tagespflegen daran gekoppelt werden, dass sie zumindest einmal im Monat am Wochenende auch Nachtpflege anbieten. Bei Wohlbedacht ist der Prozess der Zulassung inzwischen schon recht weit fortgeschritten. Sobald die Zulassung der Kranken- und Pflegekassen vorliegt, kann es losgehen mit der ersten Nachtpflegeeinrichtung Deutschlands. Es wird ein wichtiger erster Schritt zu mehr Nachtpflege in Bayern...

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Nicht nur in der Nachtpflege, auch in der Kurzzeitpflege gibt es in Bayern bisher ein zu kleines Angebot. Im Mai 2022 hatte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) einen deutlichen Ausbau angekündigt. Damals war man laut Holetschek bei 500 Kurzzeitpflegeplätzen. Diese müssten "in den nächsten Jahren" auf 900 Plätze aufgestockt werden.

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