Nach Leichenfund: Wird Mordprozess neu aufgerollt?

MÜNCHEN - Wie starb Rudolf R.? Jahrelang hatte er seine Familie terrorisiert, seine Töchter vergewaltigt - dann verschwand er. 2005 wurden die Frau des Bauern und der Verlobte der ältesten Tochter verurteilt. Werden sie bald freigesprochen?
Für jemanden, der laut Gerichtsurteil im Herbst 2001 erschlagen, zerstückelt und an die Hunde verfüttert wurde, sah die fast intakte Leiche von Bauer Rudolf R. († 52) noch recht gut aus, als man sie im März am Steuer eines Mercedes bei Neuburg aus der Donau fischte. Für den gemeinsamen Totschlag waren die Frau des Bauern und der Verlobte der ältesten Tochter im Jahre 2005 in Ingolstadt in einem spektakulären Indizienprozess zu jeweils achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden.
Doch für die Münchner Anwältin Regina Rick steht fest: „Das Urteil stimmt hinten und vorne nicht.“ Sie will den Fall neu aufrollen und hat einen Antrag auf Pflichtverteidigung der älteren Tochter (sie war 2005 wegen Beihilfe zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden) verbunden mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft Ingolstadt geschickt. Die sah trotz des neuen Münchner Obduktionsberichtes, der keine Spur von Gewalt gegen Kopf oder Körper feststellen konnte, keinen Grund für eine Wiederaufnahme, hat den Fall inzwischen aber an die Staatsanwaltschaft Landshut weitergeben müssen.
Dort prüft man den Fall. Klar ist, dass die Tatversion, die noch im Urteil angenommen wurde, falsch ist. Der Bauer wurde nicht mit Schlägen gegen den Kopf getötet, das hat die Obduktion ergeben. Die Münchner Gerichtsmedizin hat an den ihr vorgelegten Leichenteilen, einschließlich des Rumpfes, überhaupt keine Spuren von Gewalteinwirkung gefunden. Auch Gift hatte der Bauer nicht im Körper.
Werden die Angehörigen nachträglich freigesprochen?
Dennoch muss abgewogen werden, ob die anderen Indizien für eine Verurteilung wegen Totschlags ausreichend waren oder ob mit dem Fund der Leiche und dem Obduktionsbericht auch ein Freispruch wieder möglich erscheint. „Die Akten sind bei uns. Wir werden in ein bis zwei Wochen unsere Stellungnahme zum Wiederaufnahmeantrag an das Landgericht Landshut weitergeben“, erklärt Pressesprecher Ralph Reiter zum Stand des Verfahrens. Das Gericht wird dann über eine etwaige Wiederaufnahme entscheiden.
Regina Rick ist optimistisch: „Welches Verfahren, wenn nicht dieses, sollte dann überhaupt wiederaufgerollt werden.“ Wie ihr Kollege Klaus Wittmann, der Hermine R. vertritt, äußert auch sie Zweifel an den Vernehmungsmethoden. Warum gestand die Familie übereinstimmend so grausige und sie selbst belastende Details? Beide Anwälte glauben, dass die Aussagen von den Ermittlern beeinflusst wurden. Die Angeklagten hatten ihre Geständnisse später auch wieder zurückgezogen.
Selbstmord, Unfall, Mord oder Totschlag - plötzlich scheint im Fall Rudolf R. wieder alles offen. Wie ist der Mann, der seine Familie jahrelang terrorisierte, seine Töchter vergewaltigte zu Tode gekommen. Doch Regina Rick glaubt nicht an eine Racheaktion: „Meine persönliche Meinung ist, dass Rudolf R. an dem Abend gar nicht mehr nach Hause gekommen war.“
John Schneider