Münchnerin auf Dating-Portal abgezockt: Rentnerin wird Opfer von Fake-Profil

München - Sie hat wieder kaum geschlafen. Nacht für Nacht sucht sie im Internet nach dem Mann, der ihr Schreckliches angetan hat.
Den Schlafmangel sieht man Johanna Krieger (Name geändert) nicht an, als sie sich vormittags mit der AZ in einem Café im Münchner Norden trifft. Aus der riesigen Enttäuschung und der bitteren Kränkung ist Zorn geworden. Mit großer Energie setzt die 66-Jährige nun alles dran, diesem Mann und seinen Komplizen das Handwerk legen.
Es kommt nur selten vor, dass sich eine Frau, die Opfer geworden ist von modernen Heiratsschwindlern - sogenannten Love-Scammern - traut, öffentlich darüber zu sprechen. Manche Opfer schämen sich so sehr, dass sie sich nicht einmal Freunden oder Verwandten anvertrauen.
700 Seiten voller zärtlicher Worte – sie glaubt ihm
Die Rentnerin hat einen mehrere Zentimeter dicken Stapel Papier dabei, beidseitig bedruckt – alles Nachrichten und Liebesbriefe von "Benoit Lerouge". So nannte sich der Absender, eine Person, die es in der Realität mit diesem Aussehen gar nicht gibt. Aber das weiß Johanna Krieger erst seit wenigen Wochen. "Er war meine große Liebe", sagt die Sekretärin im Ruhestand. "Ich habe ein Phantom geliebt."
Millionen Menschen suchen auf Datingportalen im Internet nach einem Partner. Doch dort tummeln sich auch massenweise Betrüger, die unter falscher Identität und mit geklauten Fotos und einer Legende nur ein Ziel haben: Geld abzuzocken. Sie gaukeln große Gefühle vor, stellen Vertrauen her. Johanna Krieger ist einem von ihnen aufgesessen. "Ich wurde benutzt und seelisch vergewaltigt", sagt sie.
Sein Foto hatte sie sofort angesprochen. Ein schlanker, sportlicher Mann mittleren Alters mit grauen Haaren und gewinnendem Lächeln. Er hatte sie am 15. Mai 2018 auf dem kostenlosen Datingportal "Zweisam" kontaktiert.
Was der Mann über sich schrieb, gefiel Johanna Krieger: Er habe eine Wohnung in Paris, spreche vier Sprachen und sei Fußballtalentscout. Dadurch käme er viel herum in der Welt. Er lebe allein und sei nur an einer ernsthaften Beziehung interessiert.
Aus dem anfänglichen Abtasten in Chats und Mails, die hin und her gingen, wurde bald mehr. "Benoit Lerouge" schrieb immer liebevollere Briefe, nannte sie "mein Engel" und "meine Prinzessin" und sprach von Liebe. In einer Nachricht schrieb er: "Meine Liebe, ich kann es kaum erwarten, dein Ehemann zu sein. Wenn ich eines Tages sterbe und du mein Herz öffnest, wird es in einem goldenen Brief geschrieben sein: Ich Liebe immer noch".
Dieses Lächeln eines gewissen "Bernoit Lerouge" verzauberte sie. Jetzt nennt er sich in einem anderen Forum anders und wurde bereits gesperrt. Foto: AZ
"Ich fühle mich seelisch vergewaltigt", sagt die Münchnerin
Johanna Krieger und "Benoit Lerouge" planten ein erstes Treffen in München. Er buchte angeblich ein Flugticket. "Am 31. Mai wollte er um 13.25 Uhr mit der LH 2229 aus Paris in München landen." Doch dann kam die Wende. Kurz vor dem geplanten Treffen musste der geliebte Unbekannte angeblich an die Elfenbeinküste reisen, um sich dort ein junges Fußballtalent anzuschauen – so die Story. Dann kamen die Katastrophennachrichten: Er habe einen Unfall gehabt, liege verletzt im Krankenhaus. Als er im Krankenwagen lag, habe jemand seinen Rucksack mit allen Papieren und Geld geklaut. Er schickte ein Foto, vermeintlich aus der Klinik. Bei genauerem Hinsehen ist es ein manipuliertes Foto. Doch das durchschaute die erschrockene Münchnerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht. "Er war sehr überzeugend."

All die Geschichten hatten nur ein Ziel: Johanna Krieger sollte Geld schicken. Zuerst wegen der Krankenhauskosten, dann brauchte er Krücken und neue Papiere. Die Rentnerin ging immer wieder zu Geldtransferinstituten und zahlte, um dem Mann, den sie liebte, aus der vermeintlichen Not zu helfen.
Besonders perfide: Als "Benoit Lerouge" angeblich endlich auf dem Weg zum Flughafen war, um zu ihr zu fliegen, gab's plötzlich Probleme beim Zoll. Er habe ihr eine Kette als Mitbringsel gekauft und nicht gewusst, dass sie aus Elfenbein sei. Die Ausfuhr von Elfenbein ist verboten. "Er hat mir sogar noch die Nummer des angeblichen Zollbeamten gegeben. Ich habe mit ihm gesprochen. Heute weiß ich, dass es ein Komplize war."
Nur wer Anzeige erstattet, kann den Geldhahn zudrehen
Johanna Krieger hat den Mann, für den sie so starke Gefühle entwickelte, nie in Wirklichkeit getroffen. Weil es ihn nicht gibt. Denn hinter "Benoit Lerouge" steckt ein Betrüger. Als der Flug verfiel, wurde der Münchnerin schlagartig klar, dass sie hintergangen worden war. Das verlorene Geld tut ihr weh, aber noch schlimmer ist das üble Spiel mit ihren Gefühlen.
Die 66-Jährige hat beschlossen, zu kämpfen. "Es ist müßig, zu trauern oder zu hassen. Es steckt keine Seele hinter dieser Fassade. Man kann nur versuchen, den Monstern den Geldhahn zuzudrehen", sagt sie heute. Sie ist zur Polizei gegangen und hat Anzeige erstattet. Zwar sagt die Polizei, sie könne nichts tun, doch mit der Anzeige können die Opfer die Konten der Betrüger bei Western Union, RIA, Moneygram oder anderen Geldtransferinstituten sperren lassen. Das müssen sie allerdings selbst aktiv in die Hand nehmen.
Johanna Krieger will den Betrügern das Leben schwer machen. Und sie will verhindern, dass auch andere Frauen betrogen werden – und man ihnen das Herz bricht. Deshalb sitzt sie stundenlang am PC und durchsucht Dating-Portale. Sie sorgte dafür, dass der Account von "Benoit Lerouge" als Fake-Account bei "Zweisam" gesperrt wurde. Aber sie hat den Mann von den Fotos bereits in einem anderen Portal wiedergefunden: dort wurde er inzwischen ebenfalls gesperrt.