Interview

Münchner Virologe Oliver Till Keppler: "Diese Massentests sind wenig hilfreich"

Der Münchner Virologe Oliver Till Keppler hält äußerst wenig von Antigen-Schnelltests, weil sie so ungenau sind. Im AZ-Interview spricht er außerdem über die Gefahr immer neuer Mutationen.
von  Interview: Ralf Müller
Eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt tropft eine Flüssigkeit auf einen Corona-Schnelltest.
Eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt tropft eine Flüssigkeit auf einen Corona-Schnelltest. © Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild

München - Prof. Oliver Till Keppler ist Lehrstuhlinhaber für Virologie und seit 2015 Leiter der Virologie am Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der LMU.

Virologe Oliver Till Keppler
Virologe Oliver Till Keppler © LMU

AZ: Herr Professor Keppler, Sie haben sich wiederholt kritisch zu den Antigen-Schnelltests geäußert, die jetzt massenhaft vorgenommen werden. Bleiben Sie bei Ihrer Meinung?
OLIVER T. KEPLLER: Ja, diese beruht auf einer ausführlichen Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur und eigenen Studien von LMU und TUM in München. Erfreulicherweise wird die so genannte Pool-PCR-Testung zunehmend diskutiert. Diese soll nach meiner Kenntnis ab Herbst relativ flächendeckend auch in Bayern vorgenommen werden. Damit kämen wir zu deutlich empfindlicheren und zuverlässigeren Aussagen, eine Sars-CoV-2-Infektion insbesondere im kritischen Frühstadium zu erkennen.

Werden viele Infektionen nicht erkannt?

Was ist gegen die Antigen-Schnelltests zu sagen?
Die Kollegen in Österreich haben die negativen Antigen-Schnelltest-Ergebnisse von Schulkindern genauer untersucht. Dabei kam heraus, dass 75 Prozent der Infektionen gar nicht erkannt wurden, also drei von vier potenziell infektiösen Kindern blieben im falschen Glauben, dass sie in der Schule aber auch am Nachmittag und Folgetag nicht infektiös sind. Es gibt aber auch falsch positive Ergebnisse - das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass auf ein richtig positives Ergebnis bis zu zehn falsch positive kommen.

Sie würden aber nicht so weit gehen und sagen, die Sache mit den Antigen-Schnelltests sollte man lassen?
Die derzeitigen Massentestungen mit diesem Verfahren halte ich tatsächlich für wenig hilfreich und eventuell sogar problematisch. Die Befürworter machen geltend, überhaupt Infektionen zu erkennen sei doch besser, als gar keine zu erkennen. Das stimmt nur bedingt. Natürlich erkennt man Personen, welche infiziert sind und das nicht wissen. Die Problematik der falsch Negativen ist aber nicht zu unterschätzen. Das Robert-Koch-Institut hat festgestellt, dass 67 Prozent der Menschen mit einem negativen Antigen-Schnelltest glauben, am Testtag und am Folgetag für andere nicht ansteckend zu sein. Ein potenziell fataler Irrtum, denn diese Leute reduzieren gegebenenfalls ihre Hygiene- und Schutzmaßnahmen. Da ist "Unwissen" vielleicht sogar besser, weil man dann vorsichtiger ist im Umgang mit Risikopersonen als mit diesem scheinbaren Freifahrtschein. Diese Art von Teststrategie könnte eher Öl ins Feuer der Pandemie gießen. PCR-basierte Verfahren sind einfach 10.000-mal empfindlicher.

"Astrazeneca schützt nur zu zehn Prozent vor der Südafrika-Mutante"

Bayerns Ministerpräsident Söder fühlte sich durch das Auftreten der "indischen Variante" in Großbritannien an den Vorlauf zur letzten massiven Infektionswelle in Folge der "britischen Variante" erinnert. Sie auch?
Da kann man schon eine Analogie sehen. Von der britischen Variante, B.1.1.7, wissen wir, dass sie eine hohe Übertragungsfähigkeit hat und Infizierte daran eher sterben, auch eher jüngere Menschen sind betroffen. Die gute Nachricht ist, dass die Erkrankung durch B.1.1.7 von den bisher zugelassenen Impfstoffen sehr gut verhindert wird. Wenn mehr Leute geimpft sind, wird diese Variante auch im nächsten Herbst prima in Schach zu halten sein.

Was ist mit der südafrikanischen und brasilianischen Mutante?
Diese haben in den jeweiligen Ländern das Infektionsgeschehen massiv dominiert, sind aber in der Übertragungsfähigkeit anscheinend nicht ganz so potent wie B.1.1.7. Wir sehen das bei uns: Wir haben in Deutschland etwa 0,5 bis ein Prozent dieser beiden Varianten. Dieser Anteil verändert sich nicht. Sie schaffen es also offenbar nicht, sich gegen B.1.1.7 durchzusetzen. Diese Varianten werden wahrscheinlich auch in Zukunft nicht unser Infektionsgeschehen dominieren.

Welche Probleme bringen Varianten mit sich?
Einige Varianten zeigen sogenannte Fluchtmutationen, die Probleme hinsichtlich der Immunität mit sich bringen. Zum einen sind sie resistenter gegen die Impfstoffe. Zum Beispiel hat der Astrazeneca-Impfstoff in Südafrika nur einen zehnprozentigen Schutz vor der Erkrankung gegen die dortige Variante, B.1.351, gezeigt. Das gilt auch für die mRNA-Impfstoffe, aber lange nicht so ausgeprägt. Die Spezialität der brasilianischen Variante P.1 besteht derzeit in Reinfektionen in Brasilien: Menschen, die im vergangenen Jahr infiziert waren und genesen sind, infizieren sich wieder neu und zum Teil auch schwer. Bei Geimpften wissen wir das noch nicht genau, wahrscheinlich ist der Schutz auch bei P.1 abgeschwächt.

Schützt die Impfung vor der indischen Variante? "Das ist noch nicht klar"

Das Robert-Koch-Institut hat die indische Variante als "besorgniserregend" eingestuft. Warum?
In Großbritannien ist etwa in London die indische Variante, B.1.617, schon bei 25 Prozent der Neuinfektionen zu beobachten, primär aber wohl bei nicht geimpften Personen. Diese Variante scheint noch ansteckender zu sein als B.1.1.7. In Deutschland liegt ihr Anteil inzwischen bei zwei Prozent der Neuinfektionen. Wahrscheinlich wird es in den nächsten zwei, drei Monaten auch bei uns die dominante Virusspezies werden.

Wie sieht es bei dieser Variante mit den Impfstoffen aus?
Das ist noch nicht ganz klar. Es gibt erste Hinweise, dass die Impfstoffe ganz gut funktionieren, aber nicht sehr gut. Fakt ist, dass B.1.617 in der ungeimpften Population in Großbritannien sich so rasch ausbreitet wie keine andere zuvor.

Ist es vor diesem Hintergrund nicht bedenklich, dass es in Bayern jetzt faktisch einen Erstimpfstopp in den Impfzentren gibt?
Wir müssen das ernst nehmen, aber wir haben ja in den letzten Wochen auch einen sehr erfreulichen Impfzuwachs. Wir kommen ja jetzt auch in eine wärmere Jahreszeit, in der wir mehr draußen sind. Das epidemische Geschehen entwickelt sich positiv, die Inzidenz fällt derzeit rasch. Freilich sind wir noch deutlich entfernt von dem, was im Frühsommer 2020 war, da lag die Inzidenz um die 5. Trotzdem bin ich hoffnungsfroh, dass es weiter runtergeht. Wann es wieder eine Gegenbewegung mit der indischen Variante bei den Ungeimpften geben wird, ist schwer vorherzusagen. Ich spekuliere mal, dass wir uns in einem Korridor zwischen 25 und 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner einpendeln werden bis wir mit dem Impffortschritt noch weiter sind.

"Ein Erreger sucht immer einen Weg, sich weiter auszubreiten"

Kann jederzeit eine aggressivere Mutation auftauchen?
Die Gefahr besteht. Bei der britischen Variante, die bezüglich der Impfstoffe ja unproblematisch ist, sehen wir zunehmend eine zusätzliche Einzelmutation, die so genannte E484K. Diese Veränderung einer einzigen Aminosäure im Spike-Protein ist bei der südafrikanischen Variante hauptverantwortlich für die Impfstoffresistenz. Erhöhte Übertragungsfähigkeit von B.1.1.7 plus Impfresistenz ist ein Beispiel, wie zwei unerwünschte Faktoren zusammenkommen können. Aus virologischer Sicht sucht ein Erreger wie Sars-CoV-2 immer nach Wegen, sich weiter auszubreiten und wird in einer zunehmend geimpften Population auch versuchen, Mutationen einzufügen, die es ihm ermöglichen, sich weiter fortzupflanzen und dem Impfschutz zu entkommen. Dass diese Art von Wettlauf so weitergehen wird, ist relativ wahrscheinlich.

Gibt es dagegen auch Waffen?
Die sehr gute Nachricht ist, dass eine zweite Generation von mRNA-Impfstoffen erstmals erfolgreich gegen die Fluchtmutation der südafrikanischen B.1.351 Variante getestet wurde. Wenn beispielsweise Personen, die zweimal die Erstgenerations-Impfung erhalten haben, als Drittes den veränderten mRNA-Impfstoff injiziert bekommen, wären sie dann deutlich besser gegen diese Fluchtmutationen geschützt. Wir können also hoffentlich mit den Impfstoffen auch in Zukunft rasch darauf reagieren, was auch immer das Virus noch an Veränderungen in petto hat.

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