Münchner Univiertel: Jetzt sprechen die lärmgeplagten Anwohner 

Das nächtliche Flaschenbier-Verbot für die Späti-Kioske ist weg. Werden jetzt alle freiwillig rücksichtsvoller sein? Und was passiert mit den Müllbergen der Feiernden? Was Anwohner dazu meinen.
von  Irene Kleber
Die unschöne Seite des fröhlichen Feierns im Univiertel: Plastikbecher und Bierflaschen, die einfach an der Straße stehen gelassen werden – und leider oft auch lautes Gegröle, das Nachbarn um den Schlaf bringt.
Die unschöne Seite des fröhlichen Feierns im Univiertel: Plastikbecher und Bierflaschen, die einfach an der Straße stehen gelassen werden – und leider oft auch lautes Gegröle, das Nachbarn um den Schlaf bringt. © Privat

Natürlich, die Enttäuschung am Dienstag war bei den Anwohnern im Univiertel erst mal „riesengroß“. Da hatte Münchens grüner Bürgermeister Dominik Krause das gerade erst vom KVR verhängte Flaschenbier-Verkaufsverbot für Späti-Kioske ab 22 Uhr rund um die Schellingstraße überraschend wieder einkassiert (AZ berichtete).

„Wir sind immer noch enttäuscht“, sagt Holger F. Pachl, „weil sich in unserem Viertel wirklich etwas ändern muss.“ Es sei aber auch so, fährt er fort: „Wir waren auch mal jung, wir verstehen die jungen Leute, dass sie nah bei der Uni draußen feiern wollen. Wir wollen sie auch gar nicht vertreiben.“ Man wünsche sich einfach nur mehr Rücksichtnahme: „Feiert gern. Aber bitte leiser, und nehmt euren Müll mit.“

Nachbarn bringen das Verbot ins Rollen

Holger F. Pachl (57), ein Kaufmann, der seit 16 Jahren in der Maxvorstadt lebt, ist einer der Sprecher der „Nachbarschaftsinitiative für eine l(i)ebenswerte Maxvorstadt“, die das nächtliche Flaschenbier-Verkaufsverbot ins Rollen gebracht hat.

„Wir hatten hier Anfang Juli Zustände, die waren wirklich schlimm“, berichtet er. Rund 70 Nachbarn hätten sich innerhalb von zwei Tagen in einer Whatsapp-Gruppe vernetzt und ihre Erlebnisse geschildert – vor allem auf der Schellingstraße, an den Kreuzungen zur Türken- und zur Amalienstraße, wo Schanigärten, Stehausschank und Späti-Kioske dicht beieinander liegen.

Sommerabend im Univiertel: Gerade an der Kreuzung Schelling-/Türkenstraße tummeln sich viele junge Leute noch spät nachts.
Sommerabend im Univiertel: Gerade an der Kreuzung Schelling-/Türkenstraße tummeln sich viele junge Leute noch spät nachts. © Privat

"Manche schlafen aus Verzweiflung auf einer Liege im Flur"

„Da gibt es Anwohner“, sagt Pachl, „die können an einem Mittwochabend bei geschlossenen Altbaufenstern im Wohnzimmer kein Gespräch mehr führen vor lauter Stimmenlärm auf der Straße, die hören sogar ihren eigenen Fernseher nicht mehr.“ Andere hätten berichtet, sie schlafen jetzt aus Verzweiflung auf einer Liege im Flur, weil im Schlafzimmer, das zur Straße liege, kein Schlaf mehr zu finden sei. Einige Nachbarn haben mit einer Handy-App Lärmmessungen am Fenster gemacht. Von 70 bis 109 Dezibel kurz vor Mitternacht ist alles dabei, das ist auf Fotos dokumentiert (zum Vergleich: Ein Presslufthammer erzeugt einen Lärmpegel von 100 bis 120 Dezibel).

Alltag im Univiertel: Kaum kommt die Nacht, quellen Mülleimer über, drumherum jede Menge Plastikbecher, Pizzakartons und Flaschen.
Alltag im Univiertel: Kaum kommt die Nacht, quellen Mülleimer über, drumherum jede Menge Plastikbecher, Pizzakartons und Flaschen. © Privat

Pizzakartons, verbieselte Hauswände und Erbrochenes

Aber auch die Müllberge rauben den Nachbarn die Nerven. Pizzakartons und Plastikbecher, die auf der Straße liegen bleiben, zerbrochene Bierflaschen, verbieselte Hauswände, Erbrochenes, sogar Fäkalien in Hauseingängen. „Schon klar“, sagt Pachl, „meistens ist es eine kleine Gruppe, die alle in Verruf bringt. Aber muss das wirklich sein, dass Kinder in der Früh um Scherben und Müll herum zur Schule gehen müssen?“

Bierflaschenscherben – gefährlich, nicht nur für diesen Hund. Hätte das Müllschweinderl auch selber wegräumen können.
Bierflaschenscherben – gefährlich, nicht nur für diesen Hund. Hätte das Müllschweinderl auch selber wegräumen können. © Privat

Ein Wunsch: temporäre Glas-Verbotszonen und Pfandbecher

Noch im Juli hatte die Nachbarschaftsinititative im Bezirksausschuss (BA) Maxvorstadt einen Dringlichkeitsantrag eingereicht – den die Stadtviertelpolitiker einstimmig abgesegnet haben. „Was wir uns da an Maßnahmen wünschen“, sagt Pachl, „gilt bis heute“: mehr Kontrollen, temporäre Glasverbotszonen, verpflichtende Pfand- statt Plastikbecher für Kioske und Gaststätten und mehr Straßenreinigung.

"Es ist in der Früh jetzt viel sauberer."

Gerade Letzteres habe gut funktioniert in den letzten knapp zwei Wochen, seit das nächtliche Flaschenbier-Verbot galt. „Es ist in der Früh jetzt viel sauberer“, sagt der Initiativen-Sprecher. Ob der „gefühlt etwas niedrigere Lärmpegel“ seither durchs Verbot erreicht worden ist – oder einfach weniger Feiervolk da war, wegen schlechteren Wetters und Semesterferien? Schwer zu sagen.

„Ich genieße das  bunte Treiben in der Schellingstraße“, sagt Anwohnerin Vera Matzdorf (65), „ich verstehe aber beide Seiten, die, die feiern und die, die schlafen wollen.“
„Ich genieße das bunte Treiben in der Schellingstraße“, sagt Anwohnerin Vera Matzdorf (65), „ich verstehe aber beide Seiten, die, die feiern und die, die schlafen wollen.“ © Daniel von Loeper

"Ich verstehe beide Seiten."

In der Schellingstraße waren jedenfalls am Donnerstag gemischte bis heitere Stimmen zu hören. „Ich genieße das Treiben in der Schellingstraße“, sagt etwa Anwohnerin Vera Matzdorf (65), „ich verstehe aber beide Seiten, die, die feiern und die, die schlafen wollen.“ Für Nicolas Inzelmann (31) ist die Aufhebung des Bier-Verbots ein Grund zur Freude. "Ich bin Anwohner in der Schellingstraße und denke, auf 95 Prozent der Fläche in Deutschland kann man gut schlafen. Wenn jemand mit dem Lifestyle in der Maxvorstadt nicht zurechtkommt, könnte er sich auch eine andere Nachbarschaft suchen.“

Nicolas Inzelmann (31):  "Ich bin Anwohner in der Schellingstraße und denke, auf 95 Prozent der Fläche in Deutschland kann man gut schlafen. Wenn jemand mit dem Lifestyle in der Maxvorstadt nicht zurechtkommt, könnte er sich auch eine andere Nachbarschaft suchen.“
Nicolas Inzelmann (31): "Ich bin Anwohner in der Schellingstraße und denke, auf 95 Prozent der Fläche in Deutschland kann man gut schlafen. Wenn jemand mit dem Lifestyle in der Maxvorstadt nicht zurechtkommt, könnte er sich auch eine andere Nachbarschaft suchen.“ © Daniel von Loeper

"Das hört sich alles recht konstruktiv an."

Nun ist also ab diesem Freitag To-go-Bier nach 22 Uhr wieder erlaubt – zumindest so lange es halbwegs friedlich bleibt im Univiertel. „Ich glaube“, sagt Pachl, „dass es möglich ist, dass die Feiernden mehr Rücksicht nehmen.“ Mit einigen Kiosk- und Gastrobetreibern seien die Anwohner jetzt auch in direktem Gespräch, „das hört sich alles jetzt recht konstruktiv an.“

Krause: "In die Lage des anderen versetzen."

Bürgermeister Dominik Krause – der für sein Einkassieren des Verbots auch viel Kritik einstecken musste (AZ berichtete), will ebenfalls „zu einer Kultur des Miteinander“ finden. "Ich will Verbote vermeiden. Wenn sich jeder nur ein bisserl in die Lage des anderen versetzt, dann kann das auch funktionieren“, sagt er. Man wolle verstärkt mit Konfliktmanagern präsent sein. „Es sind aber auch die Kiosk-Betreiber gefragt, ihre Verantwortung wahrzunehmen, was die Lautstärke und auch die Müllsituation vor ihren Betrieben betrifft.“

Die Schellingstraße zieht an Sommerabenden viele junge Menschen an, vor allem rund um den Giesinger Stehausschank an der Kreuzung Türkenstraße. Für die Feiernden eine tolle Meile, um sich zu treffen – Anwohner hören das bunte Treiben freilich bis in ihre Wohnungen.
Die Schellingstraße zieht an Sommerabenden viele junge Menschen an, vor allem rund um den Giesinger Stehausschank an der Kreuzung Türkenstraße. Für die Feiernden eine tolle Meile, um sich zu treffen – Anwohner hören das bunte Treiben freilich bis in ihre Wohnungen. © privat

"Wir machen eine ehrliche Analyse, dann sehen wir weiter."

Im BA Maxvorstadt hat man sich darauf eingerichtet, dass das Feierthema im Univiertel so schnell noch nicht vom Tisch sein wird. BA-Chefin Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne) plant mit einem "Runden Tisch" nach den Semesterferien im Oktober, an dem alle sitzen sollen, junge Leute, Anwohner, Gastro- und Kioskbetreiber. „Wir machen da eine ehrliche Analyse, was klappt und was nicht. Dann sehen wir weiter.“

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