Münchner Fotograf in Nordkorea: Alles nach Plan

Der Münchner Fotograf Michael von Hassel reist nach Nordkorea und hält seine Eindrücke in Bildern fest. Im Interview schildert er seine Erlebnisse.
von  Lisa Marie Albrecht
Beklemmend und beeindruckend zugleich: das Wissenschaftszentrum in Pjöngjang, in dem eine Atomrakete steht.  (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Beklemmend und beeindruckend zugleich: das Wissenschaftszentrum in Pjöngjang, in dem eine Atomrakete steht. (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken) © Michael von Hassel

München - Zehn Tage im restriktivsten politischen System unserer Zeit: Der Münchner Fotograf Michael von Hassel hat diese Erfahrung als einer von wenigen Ausländern machen dürfen. Mit einer Reisegruppe besuchte er im Februar diesen Jahres Pjöngjang, die Hauptstadt von Nordkorea.

Seine Eindrücke hat er in Bildern festgehalten – zumindest an den Orten, an denen ihm das Fotografieren erlaubt war. Jetzt zeigt er sie in der Galerie Ruetz in der Gabelsbergerstraße. Dort erzählt er der AZ auch von seinen Eindrücken, skurrilen Erlebnissen und dem Gefühl, immer überwacht zu werden. Ein Reisegespräch.

AZ: Herr von Hassel, wir sind umgeben von Bildern aus Pjöngjang. Wie ist es Ihnen gelungen, diese Reise zu unternehmen?
MICHAEL VON HASSEL: Die Reise wurde veranstaltet von einem Bekannten, der seinen erweiterten Freundeskreis auf wertvolle Reisen mitnimmt. Er ist vor ein paar Jahren auf der Tourismusmesse in Berlin gewesen und hat an der Straßenecke ein paar Asiaten gesehen, die alle den gleichen dunkelbraun-grauen Anzug anhatten. Einer stellte sich als Tourismusminister von Nordkorea vor. Sie hatten kein Hotelzimmer, also hat er sie in seine kleine Wohnung in Berlin mitgenommen. Und diese Begegnung führte dazu, dass er bis heute sechsmal da war und Reisen organisiert hat. Ich konnte mich anschließen.

In einem Lernzentrum für Kinder steht eine echte Atomrakete

Sie sind mit einer Gruppe gereist. Wie frei konnten Sie sich in Pjöngjang bewegen?
In Nordkorea muss alles geplant werden, und man darf auf gar keinen Fall von diesem Plan abweichen. Man darf nicht alleine unterwegs sein, nicht das Hotel verlassen. Begleitet wird man von fünf verschiedenen Parteien. Da ist zunächst der Tourguide, dann der Bewacher vom Tourguide. Beide sprechen perfektes Deutsch. Der Bewacher kontrolliert, ob der Tourguide auch die "richtige" Version der Wahrheit erzählt. Dann gibt es die Fahrer, die einen herumkutschieren. Das darf man auch nicht selber.

Fehlen noch zwei Parteien.
Dann kommt man zum Beispiel in ein Wissenschaftszentrum. Ganz weit hinten sitzen zehn, zwölf Leute. Dann wird einem erzählt, die sitzen dort und lernen irgendwelche Sprachen. Da ist unter anderem eine Frau mit roter Jacke. Dann geht man einen Raum weiter, und da sitzen wieder zehn Leute, und da sieht man wieder die Frau in der roten Jacke. Du kriegst so langsam den Eindruck, es gibt eine vierte Partei, und zwar Schauspieler oder Darsteller, die so tun, als würden sie dort arbeiten und dazugehören. Und die Partei Nummer fünf sind die geheimen Bewacher, die außen herumschwirren und die Gruppe überwachen.

In diesem Wissenschaftszentrum ist auch eines Ihrer Fotos entstanden, das eine echte Atomrakete zeigt – während darum herum Kinder lernen.
Nachmittags gehen die Kinder meistens in Institutionen, wo sie Instrumente, Ballett oder Sticken lernen. Alles mit höchster Perfektion. Im Science Center, gebaut von Kim Chongun, lernen sie Mathe, Physik oder Chemie. Im Hauptsaal steht eine echte Atomrakete. Und die Führerin erklärt dir wahnsinnig stolz, dass jegliche Ausbildung dem Ziel dient, dass alle Ingenieur werden können, damit man eine Rakete bauen kann. Ich finde das einfach nur befremdlich.

Sicher nicht die einzige bizarre Situation.
Wir waren in dem Hotel im Skigebiet Masik-Ryong, und da gab es einen Werbeprospekt auf dem Zimmer. Den habe ich mitgenommen. Bei der Abreise stehen unsere Busse dann bestimmt eine Stunde draußen, und wir fahren nicht los. Plötzlich kommt der Direktor aus dem Haus und spricht mit unserem Betreuer. Der kommt in den Bus und fragt, wer im Zimmer 751 war. Ich melde mich. Da sei ein Hotelprospekt geklaut worden. Ich bin also raus aus dem Bus, habe in meinem Koffer gekramt, diesen Prospekt aus meiner Wäsche wieder rausgezogen, ihn dem Direktor überreicht und mich entschuldigt. Er hat mir dann auch verziehen. Dann kommt er nach vier Minuten mit dem Prospekt raus und sagt, den habe er mir für 10 Euro gekauft, es sei ein Geschenk. Ich wollte das nicht annehmen, aber er bestand darauf.

Kaugummi im Mausoleum

Das ging noch recht glimpflich aus. Gab es auch einen wirklich brenzligen Moment?
Der heftigste Moment war ein Besuch im absoluten Nationalheiligtum, einem riesigen Mausoleum für Kim Il-Sung und Kim Jong-Il. Nach dem Besuch wurden wir eine Dreiviertelstunde im Bus eingesperrt, unsere Betreuer waren weg. Irgendwann kamen sie total irritiert wieder, hatten geschwollene Augen, als ob sie geweint hätten. Am Abend kam heraus, dass eine Frau aus unserer Gruppe im Mausoleum einen Kaugummi im Mund hatte. Und das ist die größte Respektlosigkeit, die du dir überhaupt leisten kannst. Wir wussten nicht, was mit unseren Betreuern passiert. Am Ende mussten Entschuldigungsbriefe geschrieben werden.

Wie haben Ihre Betreuer auf kritische Fragen reagiert?
Man hat uns gesagt, wir dürften alles fragen. Also habe ich einen gefragt, ob es Homosexualität in Nordkorea gibt. Da war er wütend und meinte, das wäre eine Unverschämtheit, natürlich gäbe es so was nicht, und ist weggegangen. Er hat mit seinem Kollegen gesprochen, der etwas aufgeschrieben und telefoniert hat. Und du denkst dir: Ok, das war die letzte Frage, die ich hier gestellt habe. Obwohl man meistens offen mit uns gesprochen hat, gab es Grenzen. Es gibt ja in Pjöngjang dieses riesige Pyramidenhotel, das eine Bauruine ist. Das steht leer, für den Weiterbau gibt es kein Geld. Also habe ich gefragt, was das sei. Und dann sagt ein Betreuer zu mir: 'Da steht nichts'. Und meinte, wir müssten weiter.

Beklemmend und beeindruckend zugleich: das Wissenschaftszentrum in Pjöngjang, in dem eine Atomrakete steht.  (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Beklemmend und beeindruckend zugleich: das Wissenschaftszentrum in Pjöngjang, in dem eine Atomrakete steht. (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken) © Michael von Hassel

Wie sehr bekommen die Menschen die Krise um Trump und Kim Jong-Un mit?
Für den gemeinen Nordkoreaner auf der Straße hat sich überhaupt nichts geändert, weil sie in ihrer Wahrnehmung sowieso immer fünf Minuten vor dem Atomkrieg stehen. Das ist ja der reinste Machiavelli: Es wird immer ein riesiges Bedrohungsszenario aufgebaut, dass die Amerikaner sofort angreifen und sie bereit sein müssen. Und sie bereiten sich, glaube ich, in ihrem Rahmen auch vor.

Was hat die permanente Überwachung in Ihnen ausgelöst?
Einerseits wirkt die Propaganda. Man fängt an zu denken: Ist ja gar nicht so schlimm. Und erst wenn man wieder raus ist und Abstand gewonnen hat, merkt man, was da gesagt und gemacht wurde. Und am Anfang denkt man, dass es wie auf einem Klassenausflug ist. Es war lustig, und wir hatten total viel Spaß. Und plötzlich passiert irgendeine Kleinigkeit, die dich dann sehr schnell wieder realisieren lässt, dass du im verdammten Nordkorea bist.


Michael von Hassels Bilder von Nordkorea und weitere Werke sind bis zum 5. November in der Galerie an der Pinakothek der Moderne / Barbara Ruetz zu sehen. Gabelsbergerstr. 7, Di-Fr 12-19 Uhr, Sa/So 12-18 Uhr.

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