Interview

Münchner Feuerwehrchef: "Nach 0 Uhr gehen die Notrufe los"

Feuerwehrchef Wolfgang Schäuble rechnet an Silvester mit Hunderten Einsätzen wie vor Corona. Im AZ-Interview erzählt er, in welchen Vierteln traditionell viel geballert wird, was er von Verboten hält - und warum er sich mit alten Bunkern beschäftigt.
von  Nina Job
Wolfgang Schäuble ist Chef der Berufsfeuerwehr mit 1694 Einsatzkräften. Frauen sind hier in der Minderzahl: Es gibt nur 17.
Wolfgang Schäuble ist Chef der Berufsfeuerwehr mit 1694 Einsatzkräften. Frauen sind hier in der Minderzahl: Es gibt nur 17. © Daniel von Loeper

AZ-Interview mit Wolfgang Schäuble. Der Oberbranddirektor (60) ist seit 2005 Chef der Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr. Er leitet außerdem die Krisenstäbe Corona und Ukraine und ist Münchens oberster Katastrophenschützer.

Geht's nach dem Böllerverbot jetzt wieder los?

In den beiden vergangenen Jahren sind Silvesterfeuerwerk und Knallerei so gut wie ausgefallen: Zum Jahreswechsel 2020/21 durften die Münchner nicht mal ihre Wohnungen verlassen. Voriges Jahr gab's Kontaktbeschränkungen und ein Verkaufsverbot für Silvesterknaller. Wie wird es dieses Mal? Werden es die Münchner umso doller krachen und bunte Fontänen vom Himmel regnen lassen? Oder bleiben sie eher zurückhaltend - sparen Geld und vermeiden Feinstaub?

Die Münchner Feuerwehr stellt sich auf jeden Fall wieder auf eine arbeitsintensive Nacht wie zu Vor-Corona-Zeiten ein. Feuerwehrchef Wolfgang Schäuble im AZ-Interview:

AZ: Herr Schäuble, wo sind Sie in der Silvesternacht?
WOLFGANG SCHÄUBLE: In München, zu Hause.

Kein Einsatz, nur Rufbereitschaft

Sind Sie nicht im Dienst?
Ich bin in Rufbereitschaft, wie immer, wenn ich in München bin. Aber ich habe keinen klassischen Einsatzdienst.

Fahren Sie überhaupt noch selbst raus?
Ja, wenn die Ereignisse eine gewisse Größenordnung haben, bin ich schon noch gefragt. Dann übernehme ich auch die Einsatzleitung.

350 Feuerwehrleute zum Jahreswechsel

Wann war das zuletzt?
Als das Prinzregentenbad im August gebrannt hat.

Wolfgang Schäuble, Chef der Feuerwehr in München, beim Interview mit AZ-Chefreporterin Nina Job.
Wolfgang Schäuble, Chef der Feuerwehr in München, beim Interview mit AZ-Chefreporterin Nina Job. © Daniel von Loeper

Wie viele Ihrer Leute sind über den Jahreswechsel im Dienst?
350, das sind zwanzig mehr als sonst. 305 rücken aus. Die anderen sitzen in der Integrierten Leitstelle am Telefon, nehmen die Notrufe an und koordinieren die Einsätze. Außerdem bleibt in unseren zehn Feuerwachen einer vor Ort. Der bleibt immer da. Alle anderen sind weg.

Spannender Tag für Einsatzkräfte

Was ist Silvester für die Einsatzkräfte?
Eigentlich ein ganz spannender Tag. Tagsüber ist es eher ruhiger wie an einem normalen Wochenendtag. Am frühen Abend stellen wir dann auf reduzierte Ausrückung um. Es gibt extra Dienstanweisungen für Silvester. Kurz nach Mitternacht geht es los mit den ganzen Notrufen. Da kann man alarmmäßig die Uhr danach stellen.

Kurz nach Mitternacht kommen die Notrufe

Was bedeutet reduzierte Ausrückung?
Wir fahren zum Beispiel statt mit fünf Wagen nur mit drei, damit wir, wenn sich die Zahl der Einsätze erhöht, trotzdem alle gleichzeitig bedienen können.

Wer entscheidet, wie viele Einsatzkräfte wohin ausrücken?
Wenn wir in diese reduzierte Ausrückung wechseln, weiß das Computerprogramm automatisch, dass es nicht mehr so viele Autos dazunehmen darf.

In München ist die Regel: Spätestens 8,5 Minuten nach dem Eingang des Notrufs ist die Feuerwehr am Einsatzort. Schaffen Sie das auch an Silvester?
Ja. Wir bemühen uns, diese 8,5 Minuten zu halten. Das ist genau dieser Trick mit der reduzierten Ausrückung. Vor Ort entscheiden wir dann, ob wir mehr Fahrzeuge und Kräfte brauchen. Wohlwissend, dass das zweite Fahrzeug auch länger brauchen kann.

Wie beim Jahreswechsel 2019/20 will die Polizei in der Altstadt auch dieses Jahr mitgebrachte Silvester-Pyro sicherstellen.
Wie beim Jahreswechsel 2019/20 will die Polizei in der Altstadt auch dieses Jahr mitgebrachte Silvester-Pyro sicherstellen. © Nina Job

Lassen die Münchner es heuer krachen?

Was denken Sie, werden es die Münchner heuer doller krachen lassen als früher?
Ich denke schon, dass ein Teil sich freuen wird, wieder richtig Gas geben zu können, und sich ausleben will. Ich glaube aber auch, dass sich ein Teil an das Ruhigere, Zurückgezogenere gewöhnt und Gefallen daran gefunden hat. Aber voraussagen kann man es nur bedingt. Wir gehen davon aus, dass wir uns auf dem Niveau von 2019/20 wiederfinden werden. [Damals gab es 116 Klein- und Großbrände und 432 Notfalleinsätze, d. Red.]

In welchen Stadtteilen wird traditionell viel geballert?
Dort, wo viel ausgegangen wird, das ist sicherlich Schwabing. Viel los ist auch in Milbertshofen, wo einfach sehr viele Menschen leben.

Böllerverbot in der Altstadt!

Seit dem Jahreswechsel 2019/20 gilt in der Altstadt ein Böller- und Raketenverbot. Es gibt ja noch mehr Silvester-Hotspots, wo viele dicht gedrängt feiern. Werden auf dem Olympiaberg, am Friedensengel oder für die Isarbrücken auch Böllerverbote kommen?
Solche Verbote auszusprechen, ist kompliziert. Da muss schon einiges passieren. Das Eingrenzungspotenzial ist nicht so groß. Aber man muss in aller Deutlichkeit sagen, dass das Verletzungsrisiko durch Feuerwerkskörper auf so engem Raum erheblich ist. Meist werden die Raketen ja von Flaschen aus abgefeuert und die können schnell mal umfallen.

Rund um den Marienplatz, am Rindermarkt und dem Viktualienmarkt darf auch heuer nicht geknallt werden.
Rund um den Marienplatz, am Rindermarkt und dem Viktualienmarkt darf auch heuer nicht geknallt werden. © dpa

Aktuell sind in den Münchner Kliniken 443 Betten mit Coronapatienten belegt, davon 33 Intensiv. Haben Sie Sorge, dass für Verletzte nicht genügend Betten frei sein könnten?
Eigentlich nicht. Die richtig schweren Verletzungen sind ja zum Glück selten.

Sind Sie für ein generelles Böllerverbot?
Ach, ich weiß nicht. Das ist auch eine kulturelle Frage. Man muss auch eine gewisse Bandbreite an Risiken schlucken, sonst ist das Leben schon sehr auf Sicherheit fixiert.

Schäuble: "Corona ist nicht vorbei, es hat eine andere Form"

Sie sind seit 2020 Leiter des Krisenstabs Pandemie. Am 31. Dezember werden die Impfzentren geschlossen. Ist die Pandemie in München vorbei?
Sie ist nicht vorbei, weil uns Corona bleibt. Aber sie wechselt die Erscheinungsform. Ich denke, nach dem Winter werden wir uns in der endemischen Phase befinden, in der die Masse der Bevölkerung nicht mehr gefährdet ist durch besonders schwere Krankheitsverläufe.

Tagt der Krisenstab noch?
Ja, aber derzeit nur noch alle drei bis vier Wochen. Wir haben nach wie vor eine besondere Überwachungssystematik, so lange besondere Verordnungen noch in Kraft sind. Wir bewerten und beobachten das Geschehen und sind dabei den Umbau in eine neue Normalität zu generieren.

Jetzt haben Sie wieder mehr Zeit für Ihre Aufgaben als Feuerwehrchef.
Ja, aber die Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine ist auch nach wie vor ein Thema.

Leiter des Krisenstabs Ukraine: "Haben immer noch rund 60 Ankömmlinge pro Tag"

Den Krisenstab Ukraine leiten Sie auch. Wie viele Geflüchtete kommen derzeit noch an?
Wir haben immer noch rund 60 Ankömmlinge pro Tag. Das ist organisatorisch gesehen noch kein Selbstläufer, auch wenn Mechanismen gefunden wurden, die Bereiche zu verstärken, die diese Last schultern mussten. Wir müssen jetzt mal abwarten, ob die Zahlen wieder anziehen, wenn der Winter hart wird.

Mit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und dem Krieg in der Ukraine ist auch bei uns der Zivil- und Katastrophenschutz wieder ein großes Thema. Ist der Probealarm am 8. Dezember gut gelaufen?
Ja. Der ist ganz gut gelaufen. Wir konnten messen, ob er auch angekommen ist.

Werden wir auch wieder Sirenen brauchen, um die Bevölkerung bei Gefahr zu warnen?
Sirenen sind ein antiquiertes Warnmittel, aber wir überprüfen derzeit alle möglichen Warnsysteme. Auch Sirenen.

Der alte Bunker neben der Schranne könnte reaktiviert werden.
Der alte Bunker neben der Schranne könnte reaktiviert werden. © Nina Job

Sind Sirenen ein sinnvolles Warnsystem?

Finden Sie sie sinnvoll?
Der bessere Weg aus meiner Sicht wären elektronische Bauteilchen in Radiogeräten oder auch Fernsehern, die sich bei Warnungen automatisch einschalten. Damit ist schon vor Jahrzehnten experimentiert worden. Hätten wir das vor 30 Jahren umgesetzt, hätte heute jeder mehrere solcher Geräte zu Hause. Aber nach dem Ende des Kalten Kriegs hielt man das nicht mehr für notwendig.

Wie ist es mit Bunkern? Brauchen wir wieder welche?
Alle, die wir in München hatten, sind aufgelassen, das heißt, sie sind nicht mehr betriebsbereit. Wir haben keine mehr. Zu den Schutzräumen gehörten auch Tiefgaragen, die man entsprechend hätte umrüsten und instandhalten müssen, mit Lüftungen ausstatten und so weiter. Diese Schutzräume waren aber nie für die gesamte Bevölkerung gedacht, sondern für die Menschen, die bei einem Luftalarm im Freien sind.

Fehlende Bundesvorgaben zum Schutzraumkonzept

Wird jetzt geprüft, ob man alte Bunker wieder nutzen kann?
Derzeit nicht wirklich. Denn es fehlen noch die Bundesvorgaben zum Schutzraumkonzept. Aber die Veräußerungen und Entwidmungen sind dieses Jahr gestoppt worden.

Wo gibt es denn noch welche?
Viele sind es nicht mehr. Es gab eine Tiefgarage im Hauptbahnhof, die aber im Zuge des Umbaus vielleicht schon umgewidmet ist. Der Hochbunker auf der Rückseite der Schrannenhalle darf auf jeden Fall nun nicht mehr veräußert werden.

Zum Ende noch drei persönliche Fragen. Wie war das Jahr 2022 für Sie?
Es war das spannendste seit langem.

Haben Sie Vorsätze für 2023?
Ich segele sehr gern an Küsten entlang. Nächstes Jahr würde ich gern das Nordkap umrunden.

Und lassen Sie es knallen an Silvester?
Nein, ich mach's ruhig. Aber es ist nicht so, dass ich prinzipiell etwas hätte gegen Feuerwerk.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.