Münchner Betonburg mit Seele

Erst will niemand hin, dann wird es begehrt: das Olympiadorf. Über eine stadtgewordene Sportlerstätte.
von  Christian Pfaffinger
Sitz di nieder: Der Park zieht sich ins Viertel hinein.
Sitz di nieder: Der Park zieht sich ins Viertel hinein. © Nick Frank und Christian Vogel/Volk Verlag

München - Es gibt Olympiastätten, die faulen und bröckeln. Sie sind vereinsamt, kurz nachdem die letzten Athleten abgereist sind und über die Jahre verwahrlost. In Athen ist das etwa so oder in Peking. Nach dem Fest kam der Verfall.

Und es gibt Olympiastätten, bei denen man nach Jahrzehnten sieht, dass sie nicht nur ein Ausdruck eines Sportvermarktungsgrößenwahns waren, sondern ein stadtplanerischer Glücksfall. Wie in München.

Das Olympiadorf am Oberwiesenfeld erzählt so eine Geschichte vom Stadtwerden. Die Betonburg mit Seele hat geschafft, was etwa der „Entlastungsstadt“ Perlach oder dem „Bauen-auf-der-grünen-Wiese“-Satelliten Hasenbergl erst noch gelingen muss: attraktiv zu werden für alle Schichten.

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Dabei sah es erst gar nicht danach aus. Die Olympischen Spiele 1972 waren vorbei, der Schatten des Attentats lag noch überm Olympiadorf. München hatte in den Jahren zuvor gebaut wie narrisch, jetzt schrumpfte die Stadt, die Einwohnerzahl ging bis Anfang der 80er zurück. Und dann dort hinziehen, in diese Retortenstadt aus Grau in Grau?

Mit die begehrtesten Studentenbuden der gesamten Republik

Logisch, täte man heute sagen. In dieses Viertel, das lebt, das Grün und praktisch angelegte Wohnungen bietet, das vieles hat und an das Restliche gut angebunden ist, und bei dem der Verkehr – wie visionär war das eigentlich in den 70ern – unten durch läuft. Für Investoren und Entwickler ist das Quartier zwar weniger interessant, der Ensembleschutz verhindert Luxusumbauten. Mieter schätzen das Olympiadorf, vor allem Familien. Für Studenten gibt es lange Wartelisten für die Bungalows am ehemaligen Frauendorf. Wo die ersten Jahre kaum jemand wohnen wollte, stehen heute mit die begehrtesten Studentenbuden der gesamten Republik.

Mit diesem Fleck München, auf dem heute rund 10 000 Menschen leben, haben sich die Fotografen Nick Frank und Christian Vogel sowie die Autorin Anne Berwanger beschäftigt. Sie haben das Gelände erkundet, mit Bewohnern gesprochen und das Buch „Habitat“ daraus gemacht.

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Die Bilder darin fangen die kahle, kantige, aber auf eine gewisse Art trotzdem leichte Atmosphäre des Quartiers sehr schön ein. Sie zeigen, wie sich das Grün hineingewachsen hat ins Grau, wie modern das über 40 Jahre alte Viertel wirkt und wie viel Charakter es hat. Viele Interviews mit Bewohnern vermitteln einen Eindruck von den Menschen, die diese Zementzone über die Jahre zu einer Betonburg mit Seele gemacht haben.

Das Sportlerdorf ist ein Stück München geworden – und zwar ein sehr besonderes.

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