München: Singen gegen Demenz

Ehrenamtliche musizieren in Münchner Alten- und Plegeheimen für Demenzkranke – und geben ihnen so ein Stücke Lebensfreude zurück. Ein Besuch.
Annika Schall |
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Dammit wirklich jeder mitmachen kann, werden vor dem Auftritt die Texte der Lieder verteilt.
Daniel von Loeper Dammit wirklich jeder mitmachen kann, werden vor dem Auftritt die Texte der Lieder verteilt.

München - Zu Beginn ist es noch sehr ruhig im Gemeinschaftsraums des Senioren- und Pflegeheims Vincentium. Rund 30 Senioren sitzen still um die Tische, einige wurden von Pflegern auf Liegen und Rollstühlen in den weihnachtlich geschmückten Raum gefahren.

Doch als die ersten Töne von "Schneeflöckchen, Weißröckchen" erklingen, drehen sich alle Köpfe in Richtung der Musikgruppe, die sich neben dem Fahrstuhl aufgebaut hat. Die ersten Senioren beginnen vorsichtig mitzusingen, eine ansonsten recht abwesend wirkende Frau im Rollstuhl macht mir ihren Händen zaghafte Dirigierbewegungen, den Text formen ihre Lippen geräuschlos.

"Sie erinnern sich vielleicht noch an Dean Martin", kündigt Gitarrist Bernd Weber das nächste Lied an, um dann "Winter Wonderland" anzustimmen. Den Klassiker können fast alle im Raum mitsingen, und auch die von den Musikern verteilten Rasseln werden nun kräftig geschüttelt.

Singen speziell für Demezkranke

Dass auf einmal so viel Leben in dem Gemeinschaftsraum ist, ist nicht unbedingt selbstverständlich. Denn das Musikprogramm, das Bernd Weber und seine Mitmusikanten hier auf die Beine gestellt haben, richtet sich speziell an Menschen mit Demenzerkrankungen. "Herr August und Kollegen" heißt das ehrenamtliche Projekt, mit dem die Gruppe regelmäßig in Münchner Altenheimen auftritt.

Gespielt werden vor allem Volkslieder und alte Schlager. Außerhalb der Vorweihnachtszeit geben die Musiker Stücke wie "Rote Lippen soll man küssen", "Marmor Stein und Eisen bricht" und "Love me tender" zum Besten. "Alles Lieder, die die Menschen noch aus ihrer Jugend kennen", erklärt Weber.

Die Idee zu dem ehrenamtlichen Projekt basiert auf den nachgewiesenen positiven Effekten die Musik auf Demenzkranke haben kann. Denn das musikalische Gedächtnis nutzt Areale des Gehirns, die von Demenzerkrankungen wesentlich weniger betroffen sind als die für Faktenwissen oder andere Erinnerungen.

Aktives Musizieren ist gut fürs Gehirn

So zeigte eine Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zuletzt, dass diese Areale bei Alzheimer nicht nur weniger stark abbauen, sondern sogar noch neue Verknüpfungen bilden können. Und eine Untersuchung der Universität von Boston wies nach, dass insbesondere aktives Musizieren helfen kann, die Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung von Alzheimerpatienten zu verbessern.

Wie das Musizieren die Senioren verändern kann, beobachtetet auch Herr August Mitglied Emily Busse: "Am Anfang unserer Auftritte sind die Leute oftmals noch recht weggetreten, aber am Ende sind sie dann immer voll dabei". Damit der positive Effekt des gemeinsamen Musizierens so groß wie möglich ist, motivieren die Musiker von "Herr August", die Senioren immer wieder zum Mitsingen und Klatschen, vor jedem Auftritt verteilen sie Textmappen – auch wenn die wenigsten Senioren die Gehefte wirklich zu brauchen scheinen.

"Die Leute bekommen mehr mit als man denkt",bestätigt auch Bernd Weber. "Es kommt immer wieder vor, dass uns jemand zum Beispiel auf eine vergessene Strophe oder ein falsches Wort im Text hinweist."

Jeder darf mitmachen - vom Profi bis zum Amateur

Auch bei den Altenheimen kommt das Angebot gut an, und weil immer wieder Anfragen von neuen Einrichtungen kommen, will sich die Gruppe künftig auch vergrößern. Mitmachen darf und kann jeder. Schon jetzt besteht das Team aus Profimusikern, Studenten und jungen Berufstätigen. Auch Lampenfieber muss niemand haben. "Die Leute in den Altheimen achten nicht so sehr darauf, dass alles perfekt sitzt, für sie ist die Freude an der Musik entscheidend", so Emily Busse.

Wie groß diese Freude sein kann, zeigt sich am Ende des vorweihnachtlichen Auftritts der Musiker. Während "Stille Nacht Heilige Nacht" verdrückt eine Frau im hinteres Teil des Raumes ein paar stumme Tränen der Rührung. Auch wegen solcher Reaktionen werden Herr August und Kollegen wiederkommen und jeden Menge musikalischer Erinnerungen mitbringen.


Wer bei Herr August und Kollegen mitmachen möchte, entweder als Musiker oder im Organisationsteam, kann sich unter der E-Mail AugustundKollegen@gmx.de melden.

Lesen Sie hier: Liesl Karlstadt: Eine große Münchnerin wird 125

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